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Durch göttliche Fügung wichtig

aus DER SPIEGEL 37/1972

Am Anfang wandte sich der neue IOC-Präsident Lord Killanin noch verlegen beiseite: »Wie war doch der Name dieses bayrischen Ministerpräsidenten?« Und als man ihm den Namen Goppel zuflüsterte, da wunderte er sich: »0, so heißt doch eines meiner Pferde.«

Dann aber breitete sich über der Nabelschau der höheren olympischen Gesellschaft die füllige Landesväterlichkeit des christsozialen Regenten so dominierend aus, daß jede VIP es merken mußte: Dies sind auch Spiele von Goppels Gnaden.

Er fühlt sich ersichtlich in der Nachfolge des Herrscherhauses Wittelsbach, wenn er die dünne Creme des Völkerfestes bewirtet, jene Leute vor allem, die -- so Goppels Worte -- »durch göttliche Fügung oder Wille und Wahl ihrer Mitbürger« mächtig oder irgendwie wichtig sind. Über eine alte Residenz zu verfügen, über Hofoper und Königsloge, zahlt sich nun aus. »Gut«, sagt Goppel, »daß unsere Könige das gebaut haben, und daß wir"s wieder haben aufbauen müssen.«

Das war letzte Woche bei einem mit immerhin 15 königlichen (wenn auch nicht sehr mächtigen) Hoheiten durchsetzten Hundert-Personen-Souper im Kerzenlicht unter dem großen Renaissancegewölbe der Münchner Residenz. Nach Hummer, Haselnußeis und Klängen von Telemann schlürften die von Gott und den Menschen Erwählten ihren Mokka in der goldstrotzenden Wittelsbacher Ahnengalerie, die Goppel sonst vor Tabaksqualm geschützt sehen will, »weil das unsere Ahnen verräuchert«.

Stimmen draußen im dunklen Residenzhof die Sänger aus dem Oberland ihr »Holeridldidldo, wann i a Musi hör« an, so legt er die Hand mit der glimmenden Zigarre wie ein guter Onkel um den Rücken der Gracia von Monaco. Folgt die Tanzgruppe Sigi Ramstötter mit einem Schuhplattler, so erinnert er den heimatvertriebenen Griechenkönig Konstantin, der nur leider überhaupt nicht aufpaßt, sondern mit dem englischen Prinzgemahl Philip lauthals Witze austauscht, an die weiland Athener Gardisten, die sich wie diese Mannsbilder in der Lederhose drehen. Und Goppels Frau Gertrud lobt den Abend umfassend: »Das ist schon was anderes als unser Neujahrsempfang.«

Dem Staatsoberhaupt Heinemann, das sich für die Zeit der Spiele etwas widerwillig in den Kurfürstenzimmern der Wittelsbacher Residenz bettet, vermittelt dies höfische Milieu samt Him-

* Griechenkönig Konstantin. Königin Anne-Marie.

melbett nicht im mindesten Erhebung. Belustigt liest er Gästen vor, was auf den Museumstäfelchen um ihn herum steht, und nennt die gemessen vor ihm einherschreitenden bayrischen Staatslakaien in ihrer blauen Prunklivree die »letzten Wittelsbacher«.

Als Gustav Heinemann in der gleichen Residenz mit Hilfe des gleichen Party-Restaurateurs den olympischen Gastgeber spielte, preßten sich die 1600 Repräsentanten aller oberen Schichten, eingeschlossen Willy Brandt, das halbe Kabinett und die Spitzen der Opposition, in einem Saal bis zur Ermattung. Bei vielen sprach es sich erst nach zwei Stunden herum, wie man von da durch eine winzige alte Türe hinaus in eine komfortable Flucht von Innenhöfen und weiteren luftigen Sälen, hin zur eigentlichen Atzung kommt.

Hessens Ministerpräsident Osswald, der schweißnaß endlich da hindurchgebrachen war, schalt sogleich den Kollegen Goppel, aber der feixte nur genießerisch. Er verwies auf das in diesem Falle Regie führende Bundesprotokoll. »Immer mir folgen«, spottete er, »die Bayern wissen das.«

Da wie auch bei Goppels Opernempfang am Vorabend der Spiele (Beethovens Neunte, kaltes Büfett und ein Goppelscher Hinweis auf den »Vater überm Sternenzelt") und schließlich wieder bei Goppels erwähntem Galasouper offenbarte sich heftig der Widerspruch zum olympischen Vorsatz, aus diesen Münchner Spielen ein allgemeines Völkerfest zu machen. In elitärer Abgeschlossenheit drehen sich immer wieder gehobene und höchste Kreise und deren Zugehörige um sich selber.

Klaus Schütz bewältigte diesen gesellschaftlichen Reigen, indem er jedem halbwegs auf ihn blickenden Fremden wie ein Automat die Linke entgegenstreckte und versicherte: »I am the Mayor of Berlin.« Der Olympia-Architekt Behnisch nomadisierte mit seiner Frau nach Möglichkeit so schnell durch die Säle, daß nicht zu viele ihr mit dem alten Witz über das Olympia-Dach kommen konnten: »Wissen Sie, Gnädigste, was das teuerste Kleidungsstück der Welt war? ihr Strumpf! Der, den damals Ihr Mann als Zelt über sein Modell geklebt hat ...«

Die Frau des Ministerpräsidenten Gerhard Stoltenberg hört man sagen: »Auf der Kieler Woche war dem Gerhard nicht genug Wind.« Und Agrarminister Ertl kokettiert noch und noch mit seinem Umfang: »Nein, ich reite nicht, das Pferd würde mir leid tun.«

Schickeria, Diplomatische Korps, Banken, die Bosse der Industrie folgen dem Beispiel. der Politik ohne Zwang. In solcher Dichte rufen sie einander zu Empfängen, zu Gala- und Knödel-Abenden, daß die Mitwirkenden beim Wechsel von Smoking in den Trachtenanzug, vom Dirndl zu Dior wahrhaft sportliche Leistungen vollbringen.

Es gibt vielerlei Wege zu olympischer Selbstbestätigung;

auch den des Schriftstellers Richard D. Mandell ("Die Nazi-Olympiade"), der mit ein paar alten Turnschuhen zu Willi Daume kam und -- erfolgreich -- bat, einmal selber ums Stadion rennen zu dürfen. Doch die Society funktioniert die eigentlich klassenlos, musisch und offen gedachten Spiele um zum bloßen Vorwand für eine Party-Saison mehr.

Freilich, als anregende Staffage für die Photographen sollen möglichst ein paar wirklich unvergeßliche Symbolfiguren der olympischen Geschichte mit von der Party sein: Jesse Owens, Emil Zátopek, Vera Cáslavska.

»Die Spiele werden ja nicht um gesellschaftlicher Ereignisse willen durchgeführt«, entdeckte letzte Woche Bayerns Finanzminister und potentieller Goppel-Nachfolger Ludwig Huber, »sondern im Interesse des Sports.« Er, einer der Vizepräsidenten des OK, tat sich mit dem zweiten Vizepräsidenten, Hans-Jochen Vogel, zusammen, und die beiden gaben vom Geld der Bayerischen Landesbank einen festlichen Delikatessen-Abend am Tegernsee. Dahin reisten die Gäste mit einer Flottille blumengeschmückter Motorschiffe. Der dringlich um Popularität bemühte Ludwig Huber befehligt nämlich unter anderem Bayerns Binnenschiffahrt.

Er holte sich sein Sportidol aus Afrika, und es kam im Rollstuhl: Abebe Bikila, der infolge eines Unfalls querschnittgelähmte äthiopische Marathonsieger von Rom. Melancholisch und gerührt inmitten einer Übermacht weißblauer Gesellschaft, aus der Peter von Siemens sen., der Society-Maler Padua und der Industriesprecher Rodenstock hervorragten, lauschte er Hubers Worten.

Durch Bikilas Anwesenheit, fand der Minister, »wird am besten das Menschliche an diesem Beisammensein unterstrichen«. Ein Duett im Dirndl sang: »Zwei schneeweiße Täuberl fliag'n über mei Haus ...«

Die vom olympischen Magnetismus angezogene Aristokratie Europas kultiviert in den Präsidialsuiten der Münchner Luxushotels ihre eigene Splendid Isolation, von Furcht nicht frei. Mit dem neunjährigen Erbprinzen von Marokko zogen eigene Köche und Sicherheits-Agenten ins »Holiday Inn«. Doch bei einem Bankett des Herzogs von Edinburgh ("Hilton") kümmerten sich auch Herren von Scotland Yard, damit mit den Pilzen wirklich alles in Ordnung war.

Welch inniger, beständiger Zusammenhalt in diesen Kreisen gepflegt wird, lehrte Philips dringender Wunsch, mit seinem dänischen Vetter, dem alten IOC-Funkionär Prinz Axel, zu speisen. der wohl auch in München sei. Philips Helferin, Prinzessin Kyra von Preußen. forschte nach und fand heraus, daß der Gesuchte leider schon seit acht Jahren in seiner Gruft bei Kopenhagen schlummert.

Peter Brügge
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