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RADRENNEN / DOPING Dynamit geladen

aus DER SPIEGEL 31/1967

Mit starren Augen und fahrigen Bewegungen zickzackte der Rennfahrer zum Gipfel des Mont Ventoux in den französischen Voralpen. Plötzlich fiel er vom Rad. Eine Stunde später war der englische Tour-de-France-Fahrer Tom Simpson, 29, tot.

In einer Tasche seines Trikots steckten zwei Röhrchen, eines war leer. Es hatte das aufputschende Mittel »Onidrine« enthalten.

»Seit 50 Jahren schlucken die Fahrer Aufputschmittel«, erläuterte der französische Rad-Star Jacques Anquetil. »Es geht auch ohne Doping -- aber nur mit 25 Stundenkilometern.« Doch sogar den Zeitplan der Tour stellten die Veranstalter auf einen Schnitt von 37 Stundenkilometern ab.

Untersuchungen haben erwiesen, daß sogenannte Weckamine (Amphetamin, Pervitin) Dauerleistungen steigern, indem sie die natürliche Ermüdung hinauszögern. »So können ohne Krampf alle Reserven bis zur totalen Erschöpfung verausgabt werden«, beschrieb das Ärzte-Magazin »Selecta«.

Aber die Rennfahrer spielen mit den Tabletten gleichsam Russisch-Roulette. »Mehr als 1000 Fälle von Doping bei Radrennfahrern endeten tödlich«, enthüllte der französische Professor Chailley-Bert, Präsident des Internationalen Sportärztebundes.

Oft schlucken Etappenfahrer nacheinander Vitaminpräparate, um ihre Kraftreserven anzureichern« Amphetamine, um die Reserven restlos in Leistung umzusetzen, und Beruhigungsmittel, durch die sie am Etappenziel die aufgeputschten Nerven wieder betäuben. Bei Fehldosierung oder übertrieben häufigem Gebrauch können Doping-Drogen die Nieren blockieren, so zu allgemeiner Vergiftung führen und in extremen Fällen auch das Herz überlasten.

Vor allem eine zusätzliche Kreislauf-Belastung von mehr als 20 Hitzegraden halten Pillen- und Pulver-Athleten vielfach nicht mehr aus. 1955 bei der Straßen-Weltmeisterschaft in Frascati bei Rom kletterte die Temperatur auf 35 Grad. Das gesamte DDR-Kollektiv fiel aus dem Sattel.

Während der Tour de France leiden die Fahrer am schattenlosen, 1895 Meter hohen Mont Ventoux meistens unter einer Hitze von 40 und mehr Grad. »Man erklettert keinen Berg«, stöhnte der besiegte französische Tour-Favorit Raymond Poulidor, »sondern einen brennenden Kohlenhaufen.« Zudem fällt den Rad-Athleten in der sauerstoffärmeren Höhenluft das Atmen schwerer. »Ferdi ist mit Dynamit geladen, Ferdi explodiert«, brüllte der Schweizer Ferdi Kübler nach seinem Zusammenbruch am Ventoux.

Die meisten Länder, darunter auch Deutschland, haben das Doping verboten. In Frankreich drohen Drogensündern bis zu 4000 Mark Geldstrafe und maximal zwei Jahre Gefängnis. Doch kein Verbot dämmte die Pillenpest ein.

Auch nach Simpsons Tod, fürchtete die französische Zeitung »L'Aurore«, »wäre es vergeblich zu glauben, daß die Fahrer von sich aus verzichten werden.«

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