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»Ein lebendes Depot«

aus DER SPIEGEL 16/1992

Der »wissenschaftliche Beweis« war im Fall Krabbe nicht gefragt. Als der Kölner Doping-Analytiker Professor Manfred Donike vor dem DLV-Rechtsausschuß seine Auswertungen offenlegen wollte, hielt das der ausschließlich auf Verfahrensfehler fixierte Verwaltungsjurist Günter Emig für überflüssig.

So blieb bei der Urteilsfindung ein weiteres schwerwiegendes Indiz unberücksichtigt: Der Urin der Sprinterinnen Katrin Krabbe und Grit Breuer war nicht nur, wie bislang bekannt, bei zwei Proben identisch - sondern gleich dreimal.

Der Kölner Biochemiker hat für alle in seinem Labor geprüften Urinproben der beschuldigten Athletinnen seit dem 12. April 1991 den sogenannten Steroid-Quotienten ermittelt, der das Verhältnis von Androsteron (AN) und Etiocholanolon (ET) angibt - eine Art hormoneller Fingerabdruck, der für jeden Menschen ganz individuell ausfällt. Die Wahrscheinlichkeit, daß bei zwei Menschen dieser Steroid-Quotient bei zur gleichen Zeit abgenommenen Urinproben identisch ist, ist um ein Vielfaches geringer als die eines Lotto-Volltreffers.

Dennoch waren die Werte von Krabbe und Breuer gleich bei zwei Proben, am 22. Juli und 1. August 1991, während ihrer WM-Vorbereitung im Trainingslager von Zinnowitz deckungsgleich. Bei der Trainingskontrolle am 24. Januar im südafrikanischen Stellenbosch wies zusätzlich noch Silke Möller den Wert von Krabbe und Breuer auf.

Besonders aus dem Kurvenverlauf der Werte von Katrin Krabbe kann auf eine kontinuierliche Manipulation bei der Urinabgabe geschlossen werden. Bei den unbeanstandeten Proben erreichte sie stets Werte über 1,0, einen Monat vor Zinnowitz lag ihr Quotient gar bei 1,62. Aber beim Training für die Weltmeisterschaft in Tokio - in der Ex-DDR galt eine solche Phase als besonders dopingintensive unmittelbare Wettkampfvorbereitung - sackte Krabbes Steroid-Quotient medizinisch unerklärbar weit ab (siehe Grafik).

Auffällig wurden die Läuferinnen auch durch die scheinbar belanglose Angabe der benutzten Anti-Baby-Pille. Katrin Krabbe vertraute monatelang der Marke Trisiston, Grit Breuer setzte auf Minisiston - beides Pillen aus der Produktion der Ex-DDR. Doch immer dann, wenn die Identität des Urins festgestellt wurde, hatten die Läuferinnen angeblich mit Gravistat verhütet - ebenfalls ein Mittel der einst volkseigenen Jenapharm.

Diese auffälligen Wechsel, für Donike ein weiteres Indiz für Manipulation durch die Athletinnen selbst, erklärten die Neubrandenburgerinnen mit »trainingsmethodischen Gründen«. Donike erkundigte sich daher beim ehemaligen Sportmedizinischen Dienst der DDR und notierte für die Verfahrensakte: _____« Es gibt keinen schriftlichen Beleg in den bekannt » _____« gewordenen DDR-Dokumentationen, daß Ovulationshemmer als » _____« leistungssteigernd anzusehen sind und daß insbesondere » _____« Gravistat als leistungssteigernd empfohlen wurde. » _____« Gravistat enthält eine geringfügig höhere Dosierung an » _____« Ethinylestradiol, ein Östrogenderivat. Östrogenderivate » _____« werden als nachteilig für die Leistungsfähigkeit » _____« insbesondere bei hohen Belastungen angesehen. »

Die These einer Selbst-Manipulation wird noch gestützt durch spezifische Angaben von Katrin Krabbe: Sie will innerhalb von zwei Menstruationsperioden zunächst das westdeutsche Präparat Diane genommen haben, dann in Stellenbosch zu Gravistat gewechselt und anschließend wieder zu Diane zurückgekehrt sein. Dabei ist nur der Wechsel zu Diane erklärbar - diese Pillen werden Frauen empfohlen, die zu starker Aknebildung neigen. Akne wiederum blüht besonders nach Anabolika-Konsum.

Donikes These, »daß der Urin, der in Köln ankam, in Stellenbosch abgegeben« und nicht nachträglich manipuliert worden ist, stützt sich zum einen auf den Zustand der Urinproben, zum anderen auf die von allen angegebene Malariaprophylaxe mit Chloroquin. Über diese Punkte heißt es in den Akten: _____« Chloroquin ist ein Wirkstoff, der nur sehr langsam » _____« resorbiert wird. Bevor Konzentrationen von Chloroquin im » _____« Urin erscheinen, die den in den Urinproben von » _____« Stellenbosch festgestellten entsprechen, vergehen » _____« mindestens 7 Stunden. Die Höhe der » _____« Metabolitenkonzentration wird erst nach weiteren Stunden » _____« erreicht. » _____« Ein weiteres Argument gegen irgendeine Manipulation auf » _____« dem Transportweg ist das Aussehen des Urins und die » _____« Eigenschaften des Sediments. Laut mikroskopischer » _____« Untersuchung bestand das Sediment neben Urinsalzen aus » _____« Bakterien. Ein solch starker Bakterienbefall läßt sich » _____« nicht innerhalb weniger Stunden erzeugen. »

Daraus ergibt sich, daß der von Emig für wahrscheinlich erachtete unbekannte Manipulator des Urins nicht nur über seherische Fähigkeiten, sondern auch über eine besondere Kaltblütigkeit verfügt haben muß.

Unter vier Proben hätte er zielsicher durch die Verpackung hindurch die Flaschen mit den Kodenummern G1 3/9 (Krabbe), B1 3/9 (Breuer) und D1 3/9 (Möller) herausfinden und die Siegel knacken müssen. Nach dem Studium der beigefügten Testprotokolle hätte dann eine Frau die Anti-Baby-Pille Gravistat und das Malariamittel Chloroquin schlucken müssen. Nach rund zwölf Stunden hätte die Spenderin 360 Milliliter Urin abgeliefert, der zudem noch einen halben Tag offen aufbewahrt und erst dann hätte abgefüllt werden können.

Das gesamte Täuschungsmanöver wäre also an einem Tag gar nicht zu erledigen gewesen, der Manipulator hätte sich zudem zweimal Zutritt zu den Proben verschaffen müssen. Daher kommt Donike zu dem Schluß: »Es gibt ein lebendes Depot.« Der Biochemiker grenzt die Person dann weiter ein: _____« 1.) Der unterschobene Urin stammt von einer Frau. » _____« 2.) Der Urin ist in charakteristischen Parametern so » _____« unterschiedlich, daß er nicht von in Frage kommenden » _____« Athletinnen stammen kann. » _____« 3.) Der Urin stammt infolgedessen von einer Frau, die » _____« ebenfalls mit der Trainingsgruppe Springstein trainiert » _____« oder zum Umfeld zählt. Zum Umfeld zählen in dem Falle » _____« auch die Personen, die in Südafrika waren. »

Durch weitere Quervergleiche von Athletenproben kann Donike ausschließen, daß der ominöse Urin von den Läuferinnen Sigrun Grau oder Manuela Derr stammt, die zusammen mit Krabbe, Breuer und Möller in Stellenbosch trainierten. Zunächst war Staffel-Europameisterin Derr als »Depot« verdächtigt worden, da ihre Urinprobe vom 22. Juli 1991 ebenfalls mit der von Krabbe und Breuer weitgehend übereingestimmt hatte. Nach Aktenlage ist als allzeit bereite Urinspenderin jetzt nur noch eine weibliche Person, auf die alle Verdachtsmomente zutreffen, erkennbar: Conny Springstein, die Frau des Krabbe-Trainers Thomas Springstein, die in Stellenbosch ebenfalls dabei war.

[Grafiktext]

_278b Doping: Das Urin-Wunder: Dreimal übereinstimmende Proben

_279_ Doping: Das Urin-Wunder: Dreimal übereinstimmende Proben

[GrafiktextEnde]

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