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FUSSBALL / HALLER Ein Mensch

aus DER SPIEGEL 21/1970

Mit einem verlorenen Sohn hofft Bundestrainer Helmut Schön künftig mehr Fußballspiele zu gewinnen. Eine Woche vor dem Abflug nach Mexiko holte er den wochenlang verletzten Kicker Helmut Haller wieder in den Weltmeisterschafts-Kader.

»Schön, daß du wieder bei uns bist«. begrüßte der Bundestrainer nachts auf dem Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel den Spätheimkehrer und tätschelte ihm die Wange. Dann brachte er ihn persönlich in »die Gartenlaube des deutschen Fußballs« ("Stuttgarter Zeitung"> -- zur holsteinischen Sportschule Malente-Gremsmühlen. Nimmermüden Reportern verriet Schön mit Nachdruck: »Haller hatte trotz seiner Verletzung in meinen Planungen stets eine große Rolle gespielt.«

Doch ähnlich wie dem Bundeskanzler Brandt unterstellte besonders die Springer-Presse nun auch dem Fußball-Bundestrainer Geheimniskrämerei. Der im Straßenverkauf gerade um fünf auf 20 Pfennig verteuerte Konzernriese »Bild« nutzte das populäre Haller-Thema zur Empörungs-Kampagne. Drei Tage vor der Haller-Heimkehr hatte »Bild« noch gerügt, daß »am Fall Haller etwas faul Ist« und der Kicker »keine Chance hat, für Deutschland bei der Weltmeisterschaft zu spielen«,

Als Haller doch kam, wertete die Konzern-Presse es als einen Sieg über Schön und den Deutschen Fußball-Bund (DFB). Die bevorstehenden Weltspiele gerieten immer mehr zu »Bild«-Spielen. »Schön ließ wieder vieles im unklaren«, mäkelte auch Springers »BZ« in Berlin. »Hoffentlich sieht das der Bundestrainer ein und spielt nicht weiter die beleidigte Leberwurst«. Und »Bild« belehrte: »Uns ging es nur uni den Menschen.«

Mensch Haller, 31, hatte sich Anfang April beim Länderspiel gegen Rumänien das Schultergelenk ausgerenkt. Der beim Fußballklub Juventus Turin als Profi angestellte Deutsche trug wochenlang einen Gipsverband und setzte mit dem Training aus. Ohne Haller erlitt Juventus Turin nach 13 erfolgreichen Spielen sogleich eine Niederlage. Die Juventus-Bosse um den Fiat-Großaktionär Agnelli ließen den DFB über Italiens Verbandspräsidenten Dr. Artemio Franchi bitten, Schön möge Haller nicht für Mexiko berücksichtigen. Doch der Bundestrainer setzte den wichtigen Spieler, der 1966 beim WM-Turnier von 15 deutschen Toren allein fünf erzielt hatte, abermals auf die Meldeliste.

Als Schön den kampfunfähigen Kicker um die Einsendung ärztlicher Befunde bat, verpackte Haller Röntgenaufnahmen und bat die Geschäftsstelle seines Vereins um Weiterleitung nach Deutschland. Doch dort trafen sie bis zum nächsten Länderspiel nicht ein. »Man vermutet, daß sie noch immer im Aktenschrank der Italiener liegen«, argwöhnte die Deutsche Presse-Agentur. »Bild« freilich reimte fröhliche Kunde aus Italien: »Mit Hallers Arm ist alles okay' der Gips ist ab, es tut nicht weh.«

Als der deutschen Nationalelf ohne Haller in Berlin gegen die drittklassigen Irländer nach kläglichem Spiel nur ein 2:1-Sieg gelang, wies »Bild am Sonntag« den Bundestrainer an: »Holen Sie Haller!«

Der verärgerte Schön schwieg zwar weiter vor der Presse, sprach aber am vorletzten Montag mit Haller. Noch am gleichen Tag flog der blonde Deutsche in die Heimat ein. Im Malenter Krankenhaus der Landesversicherungsanstalt schrieb DFB-Arzt Professor Dr. Hans Schoberth Haller für Mexiko gesund.

»Ich zweifelte nie an meinem Mexiko-Einsatz«, entlarvte Schön-Spieler Haller die Pressekampagne als Sturm im Wasserglas.

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