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Ein Trojanisches Pferd für Montreal?

aus DER SPIEGEL 29/1976

Im Jahre 1908, bei den IV. Olympischen Spielen der Neuzeit in London, addierten sich die Ausgaben für öffentliche Sicherheit ("Ausrüstung, polizeilicher Nachrichtendienst, Überwachung der Massen und Botendienste") auf 5000 Dollar.

1976 in Montreal wird die größte Sicherheitsoperation der Geschichte fast 300 Millionen Mark kosten.

Die Sicherheitsstreitmacht aus 16 999 Soldaten und Polizisten soll eine Wiederholung des Massakers der Münchner Spiele von 1972 verhindern. Der Vizepräsident der Montrealer Polizei, Guy Toupin, organisiert mit einem Stab von 146 Mitarbeitern die Zusammenarbeit. 14 Ausschüsse befassen sich mit den unterschiedlichen Sicherheitsaufgaben, vom Ausschuß für Einwanderer bis zur sogenannten Alpha-Gruppe, einer Art mobilen Spezialtruppe, vergleichbar etwa den Mobilen Einsatzkommandos in der Bundesrepublik.

Mit Hilfe moderner Computersysteme und in Zusammenarbeit mit Interpol wurden 60 000 Menschen (die 30 000 Angestellten des Organisationskomitees, vom Direktor bis zur Putzfrau, alle Offiziellen, die 8000 Journalisten und sogar die Athleten selbst) vor ihrer Anreise auf dunkle Flecken in ihrer Vergangenheit abgeklopft.

Die amerikanisch-kanadische Grenze wird zwischen Buffalo und Derby Line auf einer Länge von 725 Kilometern überwacht wie niemals zuvor. Im Unterholz verborgene seismische Sensoren, die Erschütterungen der Erdoberfläche an Einsatzzentren melden (und bei regem Wildverkehr schon jetzt massenweise für Fehlalarme sorgen), infrarote Lichtstrahlen, die Alarm senden, wenn sie unterbrochen werden. und künstlich aufgebaute Magnetfelder, die auf jede Störung durch metallische Objekte reagieren, sind die stationären Wachtposten an der Grenze. Hinzu kommen häufige Patrouillenflüge und die Dauerüberwachung grenznaher Wasserwege durch sonarbestückte Patrouillenboote.

Doch der US-Kriminologe Arnold Trebach von der »American University« bezweifelt, »daß man diese Grenze überhaupt sichern kann«, und auch Sicherheitschef Toupin räumt ein: »Einen hundertprozentigen Schutz gibt es natürlich nicht.«

Das gilt für alle Sicherheitsvorkehrungen der olympischen Bewacher, so ausgeklügelt sie auch sind. Das olympische Dorf zum Beispiel wurde schon unter Berücksichtigung aller möglichen Sicherheitsbelange konzipiert. Beim Bau wunderten sich Unternehmer und Arbeiter über den Zweck sinnlos scheinender Aussparungen oder geheimnisvoller Metallverkleidungen.

* M-16 mit Restlichtaufheller, der das Restlicht 40 000fach aufhellt. Jedes Gerät kostet etwa 7 700 Mark.

Abhöreinrichtungen und Fernsehkameras. hinter Ventilatoren, Lampen und Uhren verborgen, sollen jede Bewegung in den Aufzügen und den 16 Kilometer langen Korridoren zwischen den 983 Appartements überwachen.

Jedes Appartement ist mit einer Sprechanlage ausgerüstet, die auf Druck der Sicherheitszentrale die genaue Lokation anzeigt. Der Luftraum über dem Olympia-Park ist für den Zivilverkehr gesperrt, Eingreifreserven der Armee lagern in der Nähe.

Mit dem Flugzeug ankommende Athleten steigen aus der Maschine direkt in einen von Soldaten geschützten Bus, den sie erst in der unterirdischen Garage des olympischen Dorfes wieder verlassen. Hier erst werden Zoll- und Reiseformalitäten erledigt.

Schon seit sechs Wochen dürfen Besucher des olympischen Dorfes die zukünftigen Zimmer der Athleten nur in Gegenwart eines Angestellten des Organisationskomitees und eines Soldaten betreten. Und schon beim Bau des olympischen Dorfes waren Soldaten die Fahrer vieler Lkw.

Denn auch schon vor dem Geiseldrama in Entebbe hatten die kanadischen Sicherheitsbehörden genug Grund zur Sorge.

Am 22. August 1975 wurde der japanische Terrorist Yashamasa Gyoja bei dem Versuch festgenommen, die Grenze nach Vermont zu überschreiten. Gyoja, der nach langen Verhören zugab, Mitglied der japanischen »Roten Armee« zu sein, war illegal eingereist und weigerte sich, eine Erklärung für seinen Aufenthalt in Kanada abzugeben. Er wurde nach Japan abgeschoben.

In der Provinz Quebec gibt es, so glaubt die Polizei, einen großen Personenkreis, der mit Terror die Aufmerksamkeit der Welt auf seine Ziele lenken möchte. Etwa die separatistische Front de Libération du Quebec (FLQ). oder militante Indianer, die erhebliche Gebietsansprüche an Kanada stellen (derzeit nach einem vertraulichen Bericht der Bundespolizei an das kanadische Justizministerium die »größte Gefahr für die Sicherheit des Landes"), und linksextreme Splittergruppen, etwa das »Canadian Maoist Movement«.

Unbestätigt allerdings blieb bislang ein Bericht des amerikanischen Enthüllungsjournalisten Jack Anderson, der erfahren haben will, daß sich bereits ein Trojanisches Pferd auf dem Weg nach Kanada befinde: In einem umgebauten Tanklastwagen sollen 15 bis 20 entschlossene Terroristen, ausgerüstet mit modernstem Mordwerkzeug, auf ihre Chance warten.

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