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Eine Art von Krieg

Fünf Millionen Mark bot der spanische Fußballklub CF Barcelona für den deutschen Torjäger Gerd Müller. Müller sagte ab. Da warf Barcelona sieben Millionen für den Holländer Johan Cruyff aus. Cruyff nahm an.
aus DER SPIEGEL 34/1973

Zwei Jahre lang drehte der Amsterdamer Juwelier Cornelius Coster durch. In dem abendfüllenden Film »Nr. 14 -- Johan Cruyff« sollten sich Hollands Fußballfans an ihrem Idol satt sehen.

Hauptdarsteller Johan Hendrikus Cruyff, 26. ist Costers Schwiegersohn und mit 20 Prozent an den Einnahmen beteiligt. Gewinn aus dem Filmgeschäft schien sicher zu sein, denn Cruyff hatte mit Ajax Amsterdam den Weltpokal und dreimal den Europacup gewonnen. 26 Zeitungen zwischen Reykjavik und Rom wählten ihn zu »Europas Fußballer des Jahres«. Klubs aus Spanien, Italien und Deutschland köderten ihn mit Millionengagen -- vergebens.

Im letzten Frühjahr erblickte der Zuschauer den »Superstar« ("Time") 90 Minuten lang erstmals auf Breitwand, oft in Großaufnahme oder Zeitlupe, mal daheim in Ruhestellung, meist auf dem Fußballfeld in praller Muskelfülle.

»Fußball ist eine Art von Krieg«, hatte Cruyff (Jahresverdienst: rund eine Million Mark) einmal erklärt. »Jeder muß kämpfen, um zu gewinnen.« Costers Gliedmaßen-Ballade zeigte den Kampf bis auf die Knochen unverhüllt. In Cruyffs Rippen bohrte sich die Faust eines Italieners, mit dem Knie traf ihn

* Am 7. März 1973 beim 4:O-Europacupsieg gegen Bayern München.

ein Grieche in der Magengrube und ins Auge fuhr ihm der Finger eines Mannes aus Uruguay.

»Phantastisch, solche Bilder habe ich noch nie gesehen«, rief Hennes Weisweiler, Trainer des deutschen Pokalsiegers Borussia Mönchengladbach und einer der 800 geladenen Gäste im Amsterdamer City-Kino. Die »Süddeutsche Zeitung« empfand Cruyff mal als »Gazelle«, die ihre »Gegenspieler foppt«, dann als »Kranich, der die Außenlinie entlang fliegt« und mitunter als eine »Synchronisation von Armen, Händen und Beinen«, die Cruyff zu einer »Wildkatze stilisieren«.

Dem Fußballvolk blieb das Fabelwesen auf der Kinoleinwand fremd. Nach wie vor verlangte es, den Balltreter im Stadion statt auf Zelluloid zu sehen. Nur im Strafraum, als Torschütze für Holland oder Ajax. gefällt J. C. Superstar. Nur im bisweilen Muskeln zerreißenden Drama mit unbestimmtem Ausgang grünt die Zukunft von Rasenspielern wie Cruyff. Im Kino löste ihn nach Tagen »Macbeth« ab.

Womöglich spielt der Streifen von Coster und Cruyff demnächst doch noch millionenfach Gulden ein, wenn Hollands laut Coster »einziger lebender Nationalheld« das Land verlassen hat. Vergangene Woche verfing nämlich bei Cruyff ein Angebot des CF Barcelona, das dem Kicker 2,7 Millionen Mark netto verheißt.

Seit Real Madrid den deutschen Nationalspieler Netzer engagiert hat, suchten die in ihrem Stolz verletzten Katalanen ein Gegenstück. Der Münchner Gerd Müller sagte ab. Da umwarb Barcelona Europas Größten: Cruyff. »Wir verkaufen keinen Spieler«, erklärte Ajax-Präsident Jaap van Praag, ein Schallplattenhändler. »Jedenfalls nicht gegen den Willen des Spielers.« Doch Cruyff will. Ajax Amsterdam würde für den Verkauf dreieinhalb Millionen Mark kassieren.

Allerdings hatten Barcelonas Einkäufer, wie schon zuvor bei Müller, den Transfer-Termin versäumt. Am vorletzten Sonntag hatte Cruyff im ersten Meisterschaftsspiel der neuen Saison in Groningen beim 4:0-Sieg für Ajax gespielt und zwei Tore geschossen. Einen Vereinswechsel lassen die Statuten jedoch nur vor Beginn der Spielzeit oder erst wieder im Dezember zu.

Tagelang drückte sich der Königlich-Niederländische Fußballverband (KNVB), Cruyff sofort ausreisen zu lassen. Zu oft hatte der Star, der jetzt mit einer Klage droht, die KNVB-Oberen als »hilflose Amateure« geschmäht, denen es zu verdanken sei, daß sich Hollands Elf seit 1938 nicht mehr für ein WM-Turnier zu qualifizieren vermochte. Auch jetzt versprechen Cruyff-Tore am ehesten die Teilnahme.

»Wir geben ihn für jedes Länderspiel der Holländer frei«, versprach Barcelonas Trainer Rinus Michels, selber ein Holländer und Entdecker Cruyffs. 1965 hatte es Michels riskiert, Cruyff für 120 Gulden im Monat als Ajax-Spieler zu engagieren. Viele Vorstandsmitglieder lehnten den 60 Kilo leichten 18jährigen, dessen Mutter im Klub als Putzfrau arbeitete, als »zu schmächtig« ab. Am meisten mißfiel ihnen, daß er Zigaretten rauchte.

Doch Michels trimmte Cruyff durch tägliche Hantelübungen und Waldläufe fit. »Abends war der Schlacks so müde, daß er im Stehen einschlief«, stellte Michels fest. »Und wenn er eine qualmende Zigarette sah, mußte er kotzen.« Für 100-Meter-Spurts benötigte Cruyff nur 11,5 Sekunden -- schneller spurteten nicht einmal die Sprinter der Leichtathletik-Abteilung.

Auf den ersten 20 Metern verfügt Cruyff fast über die gleiche Antrittsgeschwindigkeit wie Weltklassesprinter. »Das ist genau der Aktionsradius«. verriet er, »um als erster am Ball zu sein. Im ersten Länderspiel 1966 gegen Ungarn schoß er ein Tor, im zweiten wurde er vom Platz gestellt. Ein Gegenspieler versuchte den Renner am Trikot festzuhalten, Cruyff schlug ihm dafür ins Gesicht. Der KNVB sperrte den häufig aufmuckenden Star ein Jahr für Länderspiele.

Doch auch außerhalb des Fußballfeldes blieb Cruyff am Ball. Die Heirat mit der Juwelierstochter Danny Coster verschaffte dem »idealen Arbeitnehmer«, wie die Tageszeitung »Het Parool« Cruyff nannte, einen findigen Manager als Schwiegervater. Bald warb der Ballstar mit Produkten der Pariser Textilfirma »Coq Sportif« ebenso wie mit Sportschuhwerk des deutschen Herstellers Rudolf Dassler (Puma). Und wenn Hollands Königsfamilie Fußball sehen wollte, ging sie statt zu Darbietungen der Nationalelf lieber zu Spielen von Ajax« bei denen der für Länderspiele gesperrte Cruyff auftrat. Ehefrau Danny machte Fußball in Amsterdam auf besondere Weise gesellschaftsfähig: Sie gründete eine Damen-Equipe.

Getreu befolgte Cruyff einen Grundsatz, dem auch Ajax-Präsident Jaap van Praag huldigte: »Kein Pech haben, ist schon Massel genug.« Jahrelang entzog sich Cruyff jeglichem Risiko, indem er sich von seiner Umwelt abschloß. Gesellschaften und Partys mied er ebenso wie gemeinsame Abende mit Ajax-Spielern. Selbst vor dem Publikum fürchtet er sich, seitdem er erlebt hatte, wie es einen alten Spieler auslachte, der nach langer Verletzungspause wieder mitspielte und kläglich versagte. Verletzungen an seinen kostbaren Beinen und Füßen riefen oft Fieberanfälle bei ihm hervor.

Verdrossen reagierte Cruyff auch beim Besuch im Londoner Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud. Bei der Vermessung seines Körpers begutachtete eine Mitarbeiterin besonders lange seine Beine. »Die haben es Ihnen wohl angetan«, scherzte der Athlet.

Die Frau schüttelte den Kopf: »Jeder, der bei uns verewigt wird, verdankt seine Popularität irgend etwas Besonderem, bei Ihnen sind es eben die Beine, die modellieren wir deshalb sorgfältiger als den Kopf.«

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