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DFB Einer wie Hansi

Wen der Chef liebt, der spielt. Nach dem Europameisterschafts-Finale von Rom soll Spielmacher Hans Müller auch bei der Weltmeisterschaft 1982 in Spanien die Ballrichtung bestimmen.
aus DER SPIEGEL 26/1980

Bundestrainer Jupp Derwall stand unter kreativem Druck. Dreimal binnen sieben Tagen mußte er eine Nationalmannschaft aufstellen. So hatte die Verantwortung ihn noch nie gedrückt.

Denn bei der Fußball-Europameisterschaft in Italien spielten neben Spielern auch Zweifel mit. Als »Comandante Derwall«, so »Gazzetta dello Sport«, den Stürmer Klaus Allofs nach der Fehlleistung gegen die CSSR herausnehmen wollte, stellte er fest: »Ich habe ja keinen anderen.« Also spielte Allofs auch gegen Holland und schoß drei Tore. »Das hatte ich echt nicht geglaubt«, staunte Derwall.

Wenn aber Bundestrainer Derwall und seine beiden Assistenten noch rechnen und wägen, hat einer stets den Durchblick: Hermann Neuberger, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und Chef des Lehrstabes, läßt sich seine Ratschläge zur Mannschaftsaufstellung nicht nehmen. »Die Mannschaft weiß gar nicht, wie stark sie ist«, sprach der Zeus vom DFB. »Und so einen wie unseren Hansi Müller besitzt kein anderes Land, nur er glaubt es selbst noch nicht.«

Durch Neubergers Vorliebe für den Spielmacher aus Stuttgart wurde das Trikot mit der Nummer zehn sozusagen in Erbpacht vergeben. Wer Müllers Kreise stört, wer gelegentlich gar besser oder selbstbewußter spielt, wie etwa Felix Magath vom Hamburger SV, muß zugucken oder kommt erst gegen Ende des Spiels als Ersatzmann auf den Rasen. Hier darf Derwall gar keinen anderen zur Wahl stellen.

Im letzten Länderspiel vor der Abreise nach Italien hatte Magath gegen Polen einmal von der ersten bis zur letzten Minute für Deutschland gespielt, zusammen mit Müller. Er trumpfte groß auf, während Müller viel mißlang. Spieler wie Karl-Heinz Rummenigge aus München und Allofs aus Düsseldorf kombinierten häufiger mit Magath als mit Müller.

Der junge Stuttgarter wurde nervös. Sobald er den Ball bekam, gab er ihn nicht mehr her, sondern probierte Tricks mit Kopf und Brust, Hacke und Spann. Demonstrativ aber zeitraubend legte er elegante Dauerläufe ein. Das Publikum pfiff, viele brüllten: »Müller raus.«

Nach 70 Minuten hörte Derwall zwar auf das Volk, rügte aber: »Die Leute wissen ja gar nicht, was sie anrichten, etwas Größeres als den Hansi haben wir doch gar nicht.« Magath kam bei Derwall nicht so gut weg wie fast einhellig bei der Presse.

In Italien spielte Müller immer, auch wenn mal eine grünblau geschwollene Prellung, ein sogenannter Pferdekuß, seinen Oberschenkel verunzierte. DFB-Masseur Erich Deuser bekämpfte die Schwellung mit Unterwassermassage -erfolgreich. Magath, den Ersatzspieler, stufte Derwall als »den Beruhiger« ein. Hansi Müller war und blieb »das Genie«.

Ausländische Trainer sehen den DFB-Hansi nüchterner. »Er spielt so schön, wie er aussieht«, erklärte Nationaltrainer Cesar Luis Menotti vom Weltmeister Argentinien. »Aber das ist keiner, mit dem man einen Krieg gewinnen kann.«

Der Spanier Ladislao Kubala meinte: »Ein Mann für die Variete-Bühne, weniger für den Fußballplatz.« Und der Grieche Alketas Panagoulias sagte: »Gut für Ballett, für Schwanensee.«

Doch die deutschen Müller-Aufsteller, Europameisterschaft hin, Europameisterschaft her, lassen ihren Liebling nicht verkommen. »Wer nicht sieht, was Hansi kann, der handelt schon bösartig«, meinte Müller-Fan Neuberger.

Seit Jahren hofften er und die Trainer auf den Durchbruch von Müller zu einer Muster-Karriere, wie sie einst Fritz Walter und Franz Beckenbauer gelungen war. Jeden Morgen durfte Müller auch mit Sondergenehmigung bei Radio Luxemburg Lageberichte abgeben. 1982 bei der Weltmeisterschaft in Spanien soll sein Reifeprozeß beendet sein. S.163

Doch Müller-Mäzen Neuberger hatte sich schon manchesmal in den falschen Star verguckt. Zu Zeiten des seligen Josef Herberger förderte der Fußballherr aus Saarbrücken den Saarbrücker Linksaußen Heinz Vollmar, ohne Titelerfolg. Dann hatte es ihm der Frankfurter Ernst Kreuz angetan, aber auch er erwies sich als nicht durchschlagskräftig genug.

»Wenn einer die Sonne eines DFB-Herren auf sich scheinen fühlt«, kritisierte der frühere Bundesligatrainer Otto Knefler, »dann ist er nur mit sich, aber nie mehr mit der Mannschaft beschäftigt.«

Doch Neuberger erwärmte sich nicht nur für zartbesaitete, verwöhnte oder egozentrische Spieler. Für den Libero-Posten hatte er vor Jahren schon den Kölner Bernd Cullmann ausersehen.

»Der Culli hat alles, er ist stark, er ist elegant, er ist gut am Ball, und er ist intelligent.« Als Franz Beckenbauer zu Neubergers »tiefer Enttäuschung« nach Amerika ging, bugsierte der Präsident Cullmann 1978 für die WM in Argentinien in den Mannschaftskader.

Doch der damalige Bundestrainer Helmut Schön, der schon zum Rücktritt entschlossen war, stellte Cullmann nicht auf. Vor Ort gab es sogar offenen Streit zwischen Neuberger und Schön.

Nachfolger Derwall indes fand an dem nie aufsässigen, nie mürrischen, sondern vorwiegend heiteren Athleten und »Kumpel« unverbrüchlichen Gefallen. Von den 19 Länderspielen unter Derwall war Cullmann 17mal dabei.

Als der 1. FC Köln mit seinem Mannschaftskapitän Cullmann das Pokalendspiel gegen Fortuna Düsseldorf mit 1:2 -- trotz eines Cullmann-Tores -- verlor, sprach Neuberger seinem Schützling noch auf der Ehrentribüne Trost zu: »Kopf hoch, Culli, in Italien wird alles besser.«

Zwar mußte Cullmann bei der Europameisterschaft nach dem äußerst mäßigen Auftaktspiel gegen die CSSR gegen Holland zusehen, wo es ohne ihn beim 3:2-Sieg gleich besser klappte, aber im dritten Spiel gegen Griechenland tauchte Cullmann wieder auf -zwar nicht als Libero, aber als defensiver Spieler im Mittelfeld. Auch dieses Experiment mißlang: 0:0.

Dennoch vermuten einige Spieler, das der »Culli wieder da sein wird«, wenn im Dezember die Qualifikationsspiele zur WM 1982 beginnen. Gegen Finnen und Albaner, Bulgaren und Österreicher ist Derwall, wie einst Vorgänger Schön, vor internationalen Turnieren wieder die leichteste aller Qualifikations-Gruppen zugelost worden.

HSV-Spielmacher Magath indes zweifelt daran, ob DFB-Spielregisseur Müller noch jemals den Durchbruch schafft. »Das dauert schon zu lange, und der Hansi steht sich selbst im Weg.«

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