Udo Ludwig

EM zwischen Pandemie und Spektakel Fußball ist unkaputtbar

Udo Ludwig
Ein Kommentar von Udo Ludwig
Die EM war bisher geprägt von schweren Themen. Am Montagabend aber hat sich der Fußball mit aller Wucht wieder in den Mittelpunkt gespielt.
Feiernde Schweizer nach dem Triumph gegen Frankreich

Feiernde Schweizer nach dem Triumph gegen Frankreich

Foto: Justin Setterfield / Getty Images

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Wer bisher nichts von der Faszination des Fußballspiels verstanden hat, bekam am Montagabend eine Lehrstunde.

Es ist Europameisterschaft, Spanien spielte in Kopenhagen gegen Kroatien, man sah einen Torhüter, der einen lächerlichen Fehler machte. Man sah Kroaten, die sich 120 Minuten lang gegen die Niederlage stemmten und am Ende dramatisch verloren.

Und dann Schweiz gegen Frankreich. Wer am Fernsehgerät miterlebte, wie sich der französische Superstar Paul Pogba nach seinem spektakulären Treffer zum 3:1 wie ein Pfau präsentierte und am Ende – nach der Niederlage im Elfmeterschießen – wie ein geprügelter Hund das Spielfeld verließ, der verstand plötzlich: Dieses Leiden, diese Leidenschaft ist es, was die Menschen bewegt. Einer der »geilsten Fußballabende überhaupt«, sagen sogar Fachleute, die viele Hundert Spiele gesehen haben.

Der Fußball ist eine Hure – er ist hinreißend schön, betörend, verlockend.

Aber es gibt eben auch die andere Seite. Sie ist so ernüchternd, so schrecklich geschäftlich.

Als die Schweiz den amtierenden Weltmeister aus dem Turnier warf, meldete sich gleichzeitig der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu Wort: Er kritisierte die Zuschaueraufstockung für das Wembley-Stadion in London und die Bilder von vollen Stadien. »Die Uefa und der DFB müssen dringend dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden. Der Plan, jetzt noch mehr Leute in die Stadien zu lassen, wie in Wembley, ist unverfroren«, sagte Kretschmann in einem Interview. Dieser Leichtsinn mache ihn fassungslos.

Auch der Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen, ein Arzt, kritisierte die EM-Verantwortlichen. »Wir machen so alles kaputt, was wir uns an niedrigen Fallzahlen aufgebaut haben.« Fußball solle »Vorbild sein und nicht in trügerischer Sorglosigkeit selbst zum Pandemietreiber werden«.

Die beiden Grünenpolitiker hatten natürlich recht. Es ist zwar wissenschaftlich umstritten, ob es Superspreader im Stadion geben kann, schließlich finden die Spiele im Freien statt. Aber inzwischen ist bekannt, dass sich viele Fußballfans bei der EM angesteckt haben.

Und der Gedanke, dass der Besuch einer Fußballbegegnung schwere Erkrankungen und Todesfälle nach sich ziehen kann, ist unerträglich. Es ist doch nur ein Spiel.

Die Uefa will die EM nutzen, um das Fußballgeschäft nach der Pandemie wieder in Gang zu bringen. Aber braucht sie die Bilder voller Stadien wirklich? Den Lärm der Zuschauer, um zu zeigen, wie attraktiv ihr Produkt ist?

Die Europameisterschaft hat die Menschen aufgewühlt. Das Drama um den dänischen Spieler Christian Eriksen; der Gleitschirmflieger, der im Münchner Stadion landete; der Streit über die Illuminierung des Münchner Stadions in Regenbogenfarben – all diese Themen bewegten die Zuschauer.

Und jetzt in den K.-o.-Spielen sind es die Hauptdarsteller, die Spieler, die die Menschen in Wallung bringen. Die Ästhetik, die Hochspannung, die Freude, die Tränen. Fußball ist unkaputtbar.

Die Liebe zu diesem Sport wäre noch größer, wenn es die Geschäftemacher nicht gäbe. Natürlich ist es naiv zu glauben, man könne sie alle rausschmeißen, die geldgierigen Funktionäre, die kalten Investoren, die gefühllosen Manager.

Aber es gibt Momente, in denen man sie wenigstens vergessen kann. Der Montagabend war so ein Moment.

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