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Erwünscht ist der gläserne Fan

Soziologen beklagen mangelnde Betreuung ausländischer Fans bei der Fußball-Europameisterschaft *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Der Bericht in den »Sturmtruppen News«, hektographierten Blättern, die eine der militantesten Gruppierungen deutscher Fußball-Fans unter Gesinnungsfreunden verbreitet, las sich wie das Siegesgebrüll nach erfolgreich beendetem Feldzug. Es war »ein Super-Mob«, hieß es da. »Ein Steinhagel schockte die Bullen total. Einer wurde vom Pferd gezogen und gut bearbeitet.« Es habe »richtiger Krieg« geherrscht.

Nach dem Abpfiff des Länderspiels Deutschland gegen England im September vorigen Jahres in Düsseldorf hatten sich deutsche und englische Fans zunächst gegenseitig vermöbelt und waren dann gemeinsam auf die Polizei losgegangen, die das Spiel als ersten Test für die Sicherheitsmaßnahmen während der Europameisterschaft vom 10. bis 25. Juni in der Bundesrepublik betrachtete. »Uns ist die Probe geglückt«, kommentierte der »Sturmtruppen«-Berichterstatter die verheerenden Prügelszenen, »den Bullen wohl kaum.«

Spätestens seit diesem 9. September rüsten die für die Sicherheit zuständigen Verantwortlichen im Organisationskomitee und bei der Polizei auf. Bei der Europameisterschaft, so der Sicherheitsbeauftragte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Wilhelm Hennes, werde »durch eine starke und sichtbare Polizeipräsenz für Abschreckung gesorgt«.

Eine Einschätzung, die eher zurückhaltend formuliert ist. Nachdem immer mehr Details der Sicherheitspläne durchsickern, steht fest: Die Titelkämpfe werden zu Polizeispielen bisher ungekannten Ausmaßes. CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann schickt seine Ordnungshüter in eine Personal- und Materialschlacht gegen die Fans. Nur so könne eine Katastrophe wie 1985 im Brüsseler Heysel-Stadion, die 39 Tote forderte, vermieden werden.

Das schier grenzenlose Vertrauen in die Demonstration staatlicher Macht reduziert jedoch offenbar die Bereitschaft, auch andere, womöglich gewaltfreie, Lösungen zu forcieren. Der Vorschlag von Sozialwissenschaftlern, die in sogenannten Fanprojekten in einigen Bundesligastädten die problematische Fußballklientel betreuen, den Fans während der Europameisterschaft mit »Kultur statt Knüppel« zu begegnen, wurde jedenfalls bisher nur in einer der acht EM-Städte, in Hannover, realisiert.

Bereits vor knapp einem Jahr hatten die Wissenschaftler den EM-Organisatoren Vorschläge unterbreitet, wie durch ein Kultur-, Sport- und Spielangebot für ausländische Fans »die Räume für mögliche gewalttätige Handlungen enger gemacht werden können«. Doch von der Europäischen Fußball-Union (Uefa) als Veranstalter über den DFB als Ausrichter bis hin zu sieben von acht betroffenen Stadtverwaltungen waren die Reaktionen äußerst zurückhaltend.

So ließ Uefa-Generalsekretär Hans Bangerter am 23. Juli vergangenen Jahres in anderthalb Zeilen einem Vertreter der Fanprojekte »für den uns zugestellten

Brief« danken und »mit freundlichen Grüßen« mitteilen, daß man ihn an den DFB weitergeleitet habe.

Dort rührte sich erst einmal nichts und dann vor allem das Bürokratentum. Die Funktionäre vermißten, was nun mal jeder deutsche Vereinsmeier als Basis für Aktivitäten braucht: ein »solides Konzept« ebenso wie einen »ordentlichen Finanzierungsplan« und natürlich »ganz konkrete Vorstellungen«. Bei Erfüllung aller Voraussetzungen, so Hans Florian von der Frankfurter DFB-Zentrale, werde man sich »selbstverständlich engagieren und finanziell beteiligen«.

In einem Atemzug wollte der DFB-Mann aber auch »deutlich sagen«, daß sein Verband keine Maßnahme unterstützen werde, »die in eine Art Sauforgie ausartet«. Es müsse schon ein jugendgemäßes Kuiturprogramm geboten werden, wobei der DFB »durchaus nicht von konservativen Ansätzen wie etwa einem Opernbesuch« ausgehe.

Mit 9000 Mark beteiligt sich der DFB an den Kosten von 30 000 Mark, die die Fanbetreuung in Hannover verursacht, wo im Juni Dänemark gegen Spanien und Irland gegen die UdSSR antreten. Dort werden die Fans am Hauptbahnhof von der Calenberger Blasmusik erwartet, auf dem Marktplatz soll »die größte Paella der Welt« angerichtet und in der Altstadt ein Flohmarkt aufgebaut werden. Schließlich gibt es in Stadionnähe erst eine Spielstraße mit Rockmusik und Torwandschießen, später dann die Übertragung der Spiele auf eine Großbildwand für alle diejenigen, die keine Karte ergattert haben, und schließlich noch ein Zeltlager für preiswerte Übernachtungen.

Ob das Programm tatsächlich vor Randale schützt, diese Frage mag auch der Hannoveraner Sozialwissenschaftler Gunter A. Pilz, der das Projekt mitbetreut und in der Szene als der »Gewalt-Papst« schlechthin gilt, »lieber erst nach der EM beantworten«. Aber selbst die Polizei glaube, daß die Fans so angesprochen und von Prügeleien abgehalten werden können - und arbeite deshalb auch mit.

Was in Hannover möglich ist, hätte anderswo auch sein können, so Pilz, »wenn der DFB und die Städte es wirklich gewollt hätten«. Die Initiativen allein den Fanprojekten und deren Betreuern aufzubürden, hält der Wissenschaftler für »schlicht albern«.

Das sieht Hennes, im Zivilberuf Präsident des Aachener Landgerichts, anders. Der DFB sei weder »Erziehungsinstitut« noch »jugendpflegerische Institution«. Zudem habe sein Verband »nichts dazu beigetragen, daß die Gewalt größer geworden ist«.

Der DFB-Sicherheitsmann mißtraut weiter den Erkenntnissen der »Theoretiker«, daß sozialpädagogische Maßnahmen Gewalt verhindern könnten: Die »kriminellen Chaoten«, die sich zunehmend

aus der sozialen Mittelschicht rekrutierten, seien durch ein Kulturprogramm »bestimmt nicht zu begeistern«.

Dabei gibt es ein konkretes Beispiel, das den Wissenschaftlern recht gibt. Zum Europapokalspiel gegen Celtic Glasgow hatte Borussia Dortmund zusammen mit der Stadt für die 1800 schottischen und die Dortmunder Fans ein Treffen arrangiert. Dortmunds Polizeipräsident Wolfgang Schulz registrierte, daß so »schon im Vorfeld Aggressionen abgebaut« worden seien. Es blieb friedlich, obgleich die Schotten den Trick mit dem ausgeschenkten alkoholfreien Bier schnell durchschauten und sich nebenan in der Gaststätte »Zum Alten Markt« mit »richtigem Dortmunder Bier« versorgten.

Von der Grenze an soll die Polizei nach dem Willen der EM-Organisatoren die ausländischen Fans nicht aus den Augen lassen, sie in die Stadien und direkt wieder zurück begleiten. Ein internationaler Datenverbund soll Hinweise auf potentielle Gewalttäter geben. Erwünscht ist nur der gläserne Fan.

Die Holländer etwa, neben den Briten die vermutlich größten Rabauken, verteilen die ihnen zustehenden rund 70 000 Tickets an einen computerverlesenen Fan-Kreis, bei dem auch das Strafregister überprüft wurde, was sogar die liberale »Süddeutsche Zeitung« für »rigide, aber gerechtfertigt« erachtet. In England wurde gar überlegt, die Pässe aller polizeibekannten Hooligans einzuziehen. Aber da mochte selbst Margaret Thatcher nicht mehr mitspielen.

Mit allen Maßnahmen, bei denen am Ende, so fürchtet der Frankfurter Soziologe Dieter Bott, »der Knast zur Jugendherberge wird«, erleben Organisatoren und Polizei womöglich ein Debakel. So weiß sein Hannoveraner Kollege Pilz von Diskussionen in der Fanszene, in denen »abenteuerliche Wege« gehandelt würden, wie die Polizeifallen zu umgehen seien, etwa durch Umwege über Spanien oder Schweden.

Die Polizei werde, befürchtet er, nur »die abfangen, die eh keine Probleme machen«, und denen obendrein durch die geballte Staatsmacht noch ein »schlechtes Deutschlandbild vermitteln«.

»Diejenigen, so Pilz, die »kommen wollen, werden kommen. Und sie selbst und nicht die Polizeibeamten werden bestimmen, wie lange sie bleiben.« _(Beim Länderspiel Deutschland gegen ) _(England am 9. September 1987 in ) _(Düsseldorf. )

Beim Länderspiel Deutschland gegen England am 9. September 1987 inDüsseldorf.

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