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SEGELN Flaute in Bayern

aus DER SPIEGEL 20/1966

Wo wird gesegelt?« wollte Griechen -König Konstantin vor der Wahl der Olympia-Orte für 1972 wissen. Die Antwort konnte dem Hellenenherrscher und Segel-Olympiasieger nicht gleich zuteil werden. Denn »sämtliche bayrischen Seen«, die Münchens Oberbürger: meister Dr. Hans-Jochen Vogel in Rom offerierte, eignen sich nicht für Olympia -Regatten.

Die Entscheidung fällt vielmehr zwischen der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel (280 000 Einwohner) und der Hansestadt Lübeck (240 000). Gegen die bayrischen Gewässer und den Bodensee protestierte der Internationale Segler-Verband. Er fürchtet Flauten. 1965 mußten die Drachensegler auf dem Bodensee ihre Meisterschaft nach dreitägiger Windstille abbrechen. Die Satzungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) schreiben zudem »offene Seereviere« vor. Nur einmal, 1924 in Paris, segelten die Einmann-Jollen - unter äußerst widrigen Bedingungen - auf der Seine. Die übrigen Bootsklassen kämpften vor Le Havre um die Olympia-Medaillen.

Kiel - das 1936 die Olympia-Regatten auf der Förde ausrichtete - nutzte die Chance und bewarb sich vorsorglich bereits im Dezember 1965. Da meldete sich ein Rivale in der Nachbarschaft an: Kurort Travemünde, Stadtteil von Lübeck.

»Lübeck liegt gut im Rennen«, meldeten die »Lübecker Nachrichten« optimistisch. Die »Kieler Nachrichten« konterten: »Mit München freut sich Kiel auf die Spiele 1972.« Sogar der deutsche Segler-Präsident Dietrich Fischer und sein zur Zeit erfolgreichster Segler gerieten durch die Rivalität der norddeutschen Nachbarstädte auf entgegengesetzten Kurs.

Der Präsident sprach von »entscheidenden Vorteilen für Travemünde«. Dagegen erklärte Olympiasieger Willi Kuhweide: »Ich bin für Kiel.« Der gebürtige Berliner ist in Kiel verheiratet. Die Kieler wählten ihn sogar zum Karnevalsprinzen.

Seit 84 Jahren organisierten die Kieler auf der Förde, dem Segelrevier des letzten deutschen Kaisers, die »Kieler Woche«. Bei dieser bedeutendsten deutschen Regatta mit internationaler Beteiligung starteten in den letzten Jahren jeweils 600 Boote. (Bei den Olympischen Spielen 1964 vor Tokio segelten nur 109 Boote.) Außerdem richtete Kiel verschiedentlich Weltmeisterschaften in einzelnen Bootsklassen aus. Auf der Förde segelten 1964 die Skandinavier sogar ihre Olympia-Ausscheidung.

Im Juni dieses Jahres wird in Kiel -Schilksee ein moderner Jachthafen mit 300 Liegeplätzen eingeweiht. Zusammen mit sieben benachbarten Segelhäfen bietet Kiel insgesamt 1100 Booten Platz. Außerdem ist in der deutschen Marine -Hauptstadt mit der »Hilfestellung der Bundesmarine bei allen Segelwettbewerben« zu rechnen, argumentierte Dr. Bischoff, Segel-Olympiasieger von 1936.

Um die Segel-Olympier rasch an ihre Boote zu bringen, müßte freilich eine 15 Kilometer lange Schnellstraße nach Schilksee gebaut werden. Als Alternative bot Kiel an, zwei Kilometer vor dem neuen Jachthafen ein Olympisches Dorf zu errichten. »Ein geplantes neues Hotel am Segelhafen«, stand in den offiziellen Bewerbungsunterlagen, »kann für Funktionäre reserviert werden.«

Schwieriger wird es sein, den Seglern bis 1972 verkehrssichere Bahnen zu reservieren. Denn in Kiel mündet der Nord-Ostsee-Kanal, den alle vier Minuten ein Schiff verläßt. Sollen aber die beiden Bahnen für die 5,5-m-Klasse, Drachen-, Starboote und Flying Dutchmen in küstennahe Gewässer verlegt werden, müßten die Segler vermutlich durch eine braune Kloake kreuzen. Bei Schilksee/Bülk läßt Kiel »seine Abwässer ungeklärt in die See fließen« ("Stuttgarter Nachrichten"). Eine Kläranlage kostet 30 Millionen Mark.

Travemünde bietet hingegen drei Segelbahnen in einem von der Schiffahrt unbehinderten Seegebiet an. Der Jachthafen, der noch weiter ausgebaut werden soll, verfügt schon heute über 700 Liegeplätze und alle für große Regatten erforderlichen technischen Einrichtungen, wie Kräne und Werftanlagen. Bei den internationalen Wettfahrten der 5,5-m-Klasse zum »Coppa d'Italia«, zum »Coupe de France« und den »Coppa -Twins«, die im vergangenen Jahr in der Lübecker Bucht ausgetragen wurden, äußerten sich die ausländischen Segler begeistert über das Travemünder Revier. Ebenso wie bei der Kieler Woche half die Bundesmarine auch bei den Regatten der Travemünder Woche.

Obwohl alle Teilnehmer in einem »bevorzugten Kurgebiet in guter Lage« in die besten der Travemünder Fremdenbetten schlüpfen können, bieten überdies auch die Lübecker großzügig ein Olympisches Dorf an.

Auch organisatorische Erfahrung vermochten die Lübecker nachzuweisen: Seit 1889 veranstalten sie die segelsportlich bedeutende »Travemünder Woche«. Im vergangenen Jahr erkannte der Deutsche Segler-Verband den Badeort als Segelzentrum an. Er gründete in Travemünde auf dem ausgedienten Segelschiff »Passat« sein Trainingszentrum für Leistungssegler.

Vorerst hat sich der Deutsche Segler-Verband noch nicht gegen einen der Rivalen entschieden. Er vertraute das Vor-Urteil den Wissenschaftlern des Deutschen Hydrographischen Institutes in Hamburg an. Sie werden in beiden Segelrevieren Windstärke und Richtung, die Strömungen sowie ihren gegenseitigen Einfluß messen.

Die Revierforscher sollen im Juli je vier Strömungsmesser in die Ostsee senken - zur selben Zeit, in der 1972 um Olympia-Medaillen gesegelt wird.

Die letzte Entscheidung aber wird ohnehin nicht beim Deutschen Segler -Verband liegen. Zuständig für das endgültige Verdikt ist der mit der Ausrichtung von olympischen Segelwettfahrten beauftragte Vizepräsident des Internationalen Segler-Verbandes, Dr. Beppe Croce. Er will am 26. Juli an die Ostseeküste reisen, um beide Reviere in Augenschein zu nehmen.

Da der Internationale Verband nicht die Kasernierung der Segler in einem Olympischen Dorf wünscht, sondern sie lieber individuell in Hotels und Pensionen unterbringen möchte, stehen die Chancen für Travemünde günstig. Der Kurort verfügt über 5000 Betten und könnte mithin mühelos alle anreisenden Segler samt Anhang beherbergen.

Spätestens im Herbst will Vizepräsident Dr. Croce sich entscheiden. Aber schon jetzt hat er durchblicken lassen, daß er mit dem ranghöchsten Mitglied und bedeutendsten Segler des Internationalen Olympischen Komitees, Griechenkönig Konstantin, einer Meinung ist: Ihr Favorit heißt Travemünde.

Olympiahafen Kiel, Regatta der »Travemünder Woche": Entscheidung im Herbst

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