Der Brite Jenson Button ist neuer Formel-1-Weltmeister. Jahrelang fuhr er hinterher, dann bot ihm ein Geniestreich seines Teamchefs eine unerwartete Chance. Der Brawn-Pilot löst Landsmann Lewis Hamilton ab - und ist zugleich der komplette Gegenentwurf zu ihm.
Die Geschichte begann mit Geld. Nicht unüblich in der Formel 1, doch diese war ungewöhnlich. Der eine Protagonist gab ein symbolisches englisches Pfund aus. Der andere gab den Anspruch auf einige Millionen ab.
Für das Pfund erwarb Ross Brawn ein komplettes
Formel-1-Team von Honda. Die Japaner waren aus der Serie ausgestiegen, der Rennstall günstig zu haben. Der Autobauer wollte 2009 noch enorme finanzielle Verpflichtungen erfüllen, das Team somit am Leben halten.
Auf die Millionen verzichtete Fahrer Jenson Button angeblich bei Unterzeichnung eines neuen Vertrages.
Diese beiden Beträge symbolisieren den Beginn eines Traums. Geträumt haben ihn Button und das gesamte Brawn-GP-Team. Nun ist er real geworden: Der 29-jährige Jenson Button, jahrelang erfolglos und unbemerkt hinterhergefahren,
ist neuer Formel-1-Weltmeister.
Mit dem Rennen in São Paulo hat der Brite eine Saison gekrönt, die er bereits nach dem Auftakt-Grand-Prix treffend beschrieb: "Es ist irgendwie surreal", sagte Button Ende März, kurz zuvor sensationell als erster der Piloten
in Melbourne abgewunken. Premierensieg im Premierenrennen des Brawn-Teams. Ein one-two-victory sogar, ein Doppelsieg. Rubens Barrichello auf zwei. Die Formel 1 stand Kopf.
Und es sollte so weiter gehen. Button triumphierte in Malaysia, Bahrain, Spanien, Monaco und der Türkei. Sechs Siege in den ersten sieben Grand Prix, eine fulminante Bilanz. Einzig in China kam ihm
Sebastian Vettel im Red Bull dazwischen, Button musste sich mit Rang drei begnügen.
Keine weltmeisterliche Bilanz im zweiten Saisondrittel
Ausgerechnet bei seinem
Heim-Rennen in Silverstone ließ ihn der Brawn ("Auf dieses Auto habe ich mein ganzes Leben gewartet") dann erstmals im Stich, bei kalter Witterung weigerten sich die Reifen auf Temperatur zu kommen. Als sechster fuhr Button über die Ziellinie. Kein Podiumsbesuch, keine Champagnerdusche - und das vor 100.000 Briten. Es ging so weiter: Fünfter auf dem Nürburgring, siebter in Ungarn, siebter in Valencia, Ausfall in Belgien, zweiter in Monza, fünfter in Singapur. Keine weltmeisterliche Bilanz im zweiten Saisondrittel, doch die Rivalen Barrichello, Vettel und Mark Webber (Red Bull) nutzten die Schwäche nicht aus, verpassten Chance um Chance, Button in der
Gesamtwertung signifikant näherzukommen.
Buttons schwerer Start in der Formel 1
Der neue Weltmeister dagegen hat seine Chance genutzt. Vollkommen unerwartet bot sie sich dem 29-Jährigen, der in seiner Karriere 68 Rennen auf den ersten Podestplatz hatte warten müssen, gar 114 auf den ersten Sieg. Erinnerte man sich vor der laufenden Saison an ihn, so war es einzig das von britischen Medien getaufte "Buttongate", das einem einfiel. 2004 hatte Button plötzlich angekündigt, Ende des Jahres von BAR zu Williams wechseln zu wollen. Trotz gültigen Vertrages. Anwälte wurden bemüht, Button musste bleiben, ein Vertrag mit Williams für 2006 und 2007 unterzeichnet. Doch im nächsten Sommer überlegte Button es sich erneut, sah keine Perspektive bei Williams, kaufte sich für viele Millionen frei, blieb.
Die Zeit verging. Aus BAR wurde Honda, aus Honda Brawn GP. Aus Button ein Weltmeister.
Einer, der seinen Titel nicht unerheblich einem Geniestreich seines Teamchefs verdankt: Es ist die Geschichte von Ross Brawn und dem Doppel-Diffusor. Eine riskant ausgelegte Variante des Reglements, die das Auto dank des besseren Abtriebs deutlich schneller machte als die der Konkurrenz. Gemeinsam mit Toyota und Williams, die Gleiches entworfen hatten, setzte man sich auch vor dem Automobilweltverband (Fia) durch,
der die Beschwerde anderer Teams zurückwies. Der Diffusor war legal, die Unterlegenen mussten nachrüsten.
Hamilton und Button - Saubermann gegen Raubein
Doch der Weltmeister-Bolide lebt nicht nur vom Doppel-Diffusor alleine. Immer wieder betonte Teamchef Brawn, dass er mit der Entwicklung des Autos extrem früh begonnen hatte. Während Ferrari und McLaren-Mercedes 2008 bis zur letzten Kurve um den Titel fuhren, brütete der oft als "Superhirn" betitelte 54-jährige Engländer schon über dem neuen, aufgrund bedeutender Reglementsänderungen massiv veränderten Wagen für 2009. Und konstruierte ein Sieger-Auto.
Button hat nun Lewis Hamilton als Weltmeister abgelöst. Somit folgt zwar ein Engländer auf einen Engländer, doch unterschiedlicher können die beiden Titelträger kaum sein. Hier der Saubermann Hamilton, dort das Raubein Button. Während der McLaren-Pilot und entthronte Weltmeister Hamilton mit
seiner ehemaligen Pussycat-Doll-Freundin Nicole Scherzinger händchenhaltend durchs Fahrerlager bummelt, verschwindet Button schon mal mit seiner Freundin, einem japanischen Dessous-Model, direkt nach dem Rennen für zehn Minuten in ein Kabuff im Brawn-Motorhome, wie in Australien geschehen. Hamiltons Karriere verlief, am Reißbrett geplant, blitzschnell bergauf. Button kämpfte sich durch die erfolglosen Jahre - und wirkt möglicherweise auch deshalb manchmal authentischer.
Vater Button hat die grobe Richtung früh vorgegeben
Man erkennt die Söhne auch in den Vätern, beide auf den Rennstrecken dieses Planeten immer dabei. Anthony Hamilton scheint immer darauf bedacht, seriös zu wirken, immer adrett gekleidet, agiert als Manager seines Filius. John Button, früher Rallycross-Fahrer, dagegen öffnet bei entsprechender Wärme gerne auch den zweiten Knopf des rosa Hemds und verfolgt die Rennen mit einem Bier gemütlich im Motorhome. Die Geschäfte seines Sohnes betreut er nicht.
Die grobe Richtung aber hat er schon ganz früh vorgegeben. Im April 2000, kurz nach dem Formel-1-Einstieg seinen Sohnes, erzählte John der Zeitung "Independent" folgende Geschichte: "Meine Frau hat die Namen für Jensons ältere Schwestern ausgesucht. Als wir einen Sohn bekamen, bestand ich darauf, ihn nach einem Rallycross-Freund zu nennen, Erling Jensen. Aber ich wollte nicht dieselbe Schreibweise, denn jeder hätte gedacht, wir haben ihn nach der gleichnamigen Automarke benannt, also fügte ich ein 'o' hinzu."
19 BilderWeltmeister Button: Unaufhaltsam Richtung Titel
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Überraschender Saisonstart: Nachdem die guten Testergebnisse des Brawn-Teams bereits viel Beachtung hervorgerufen hatten, ging Jenson Button auch beim Auftaktrennen in Melbourne als Führender in die erste Kurve und ...
Foto: A3762 Jens Buettner/ dpa
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... durfte wenig später gemeinsam mit Teamkollege Rubens Barrichello (l.) den sensationellen Doppelsieg im Premierenrennen des Brawn-GP-Rennstalles feiern. Grund zur Freude für Sieger Jenson und ...
Foto: Oliver Multhaup/ AP
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... seinen Vater John Button, der seinen Sohn bei den meisten Rennen rund um den Globus begleitet. Gleiches gilt ...
Foto: Mark Thompson/ Getty Images
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... für seine Freundin, die Japanerin Jessica Michibata. Zwei Wochen später ...
Foto: Clive Mason/ Getty Images
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... in Malaysia begann der Grand Prix noch unter regulären Bedingung und erneut mit Jenson Button als Polesetter. Doch nach kurzer Zeit setzte Regen ein, der immer stärker wurde und letztlich ...
Foto: Clive Mason/ Getty Images
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... den Rennbetrieb unmöglich machte. Immer mehr Boliden drehten sich trotz Regenreifen und langsamer Fahrt hinter dem Safety Car von der Piste. Button hielt seinen Renner auf dem überspülten Asphalt und ...
Foto: Mark Thompson/ Getty Images
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... wurde nach Abbruch des Rennens als Sieger gelistet. Da zu diesem Zeitpunkt weniger als 75 Prozent der vorgesehenen Renndistanz absolviert war, bekamen die Piloten jedoch nur die Hälfte der Punkte gutgeschrieben. Beim dritten Saisonrennen in China durfte Button 2009 erstmals nicht auf das oberste Podest steigen. In Shanghai triumphierte Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel, Button wurde Dritter. Erneut als Erster ...
Foto: Oliver Multhaup/ AP
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... sah der Brite die Zielflagge beim folgenden Rennen in Bahrain. In ...
Foto: LUCA BRUNO/ AP
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... Barcelona wurde Button (l.) beim Start zwar von Teamkollege Barrichello überholt, doch ...
Foto: Mark Thompson/ Getty Images
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... die Champagnerdusche genoss er als Sieger des Rennens. Einen Traum erfüllte sich Button, ...
Foto: A2800 epa Robert Ghement/ dpa
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... als er den Großen Preis von Monte Carlo gewann. Bereits seinen ...
Foto: GERARD JULIEN/ AFP
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... sechsten Saisonerfolg im siebten Rennen des Jahres feierte er wenig später in Istanbul. Die erste Enttäuschung ...
Foto: Ibrahim Usta/ AP
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... musste Button ausgerechnet bei seinem Heimrennen in Silverstone hinnehmen. Bei kühler Witterung zeigte sich das Problem der Brawn-Boliden: die Reifen waren nicht auf Temperatur zu bekommen. So blieb dem WM-Spitzenreiter vor 100.000 Fans nur ein frustrierender sechster Rang. Es folgten der Nürburgring (Platz fünf), Ungarn (7.) und Valencia (7.), wo Button eher unauffällig hinterherfuhr. Das änderte sich ...
Foto: MAX NASH/ ASSOCIATED PRESS
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... beim Rennen in Belgien, wo der Engländer bereits in der ersten Runde mit Renault-Pilot Romain Grosjean kollidierte und den frühen Ausfall, ...
Foto: Clive Mason/ Getty Images
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... wie offensichtlich auch Landsmann Lewis Hamilton, nicht wahr haben wollte. In Monza ...
Foto: DENIS CHARLET/ AFP
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... stand dann zwar erneut ein Brawn-GP-Pilot ganz oben auf dem Podest, doch es war nicht Button - erstmals 2009 gewann Barrichello ein Rennen. Feiern ...
Foto: A2800 epa Robert Ghement/ dpa
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... ließ sich anschließend aber wunderbar gemeinsam. In ...
Foto: Mark Thompson/ Getty Images
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... Singapur fuhr Button auf Rang fünf und kam damit dem WM-Titel erneut einen Schritt näher. Den Triumph machte ...
Foto: A2800 How Hwee Young/ dpa
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... Button im vorletzten Saisonrennen in Brasilien perfekt. Auf der Strecke von Interlagos reichte ihm ein fünfter Rang, um sich uneinholbar von den Konkurrenten Vettel und Barrichello abzusetzen.