Formel 1 in Bahrain Das Drama um George Russell in vier Akten

Für George Russell ging auf dem Bahrain International Circuit so gut wie alles schief, was schiefgehen konnte
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Das Drama: Nach dem Rennen saß George Russell auf einem Bordstein der Boxengasse. Sein Blick war leer, dann ließ er sich nach hinten fallen. Gerade feierte er den größten Erfolg seiner Karriere, aber erlitt zugleich wohl auch die größte Niederlage. Lange Zeit führte Russell den Großen Preis von Sakhir an, am Ende holte er auf Rang neun zumindest die ersten Punkte seiner Formel-1-Karriere. Sergio Pérez gewann das erste Rennen seiner Karriere in der Motorsport-Königsklasse, aber lesen Sie selbst.
Die Vorgeschichte: Aufgrund einer Corona-Infektion von Weltmeister Lewis Hamilton wurde Williams-Pilot Russell in den Mercedes befördert. Russell ist Mitglied des Juniorenprogramms von Mercedes und gilt als großes Talent, deswegen gab man ihm sogar den Vortritt vor dem eigentlichen Ersatzfahrer Stoffel Vandoorne. Nur drei Einheiten hatte der 22-Jährige bis zum Qualifying am Samstag bestritten, dennoch fuhr er direkt auf die zweite Startposition. Besonders dabei: Zum Mercedes-Veteranen Valtteri Bottas fehlten ihm nur 26 Tausendstelsekunden. Danach hatte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff gesagt, dass Russell die Zukunft gehöre.
Die Eingewöhnung: Ganz ohne Probleme verlief die Umstellung vom nicht konkurrenzfähigen Williams zum Klassenprimus unter den Rennwagen aber nicht: Weil Russell mehr als zehn Zentimeter größer ist als Hamilton, gab es Schwierigkeiten bei der Anpassung an den Boliden. Es sei wie das Quetschen in eine Badewanne, sagte Russell am Samstag. Und auch die technischen Gegebenheiten sorgten anfangs für Probleme. Nach dem Qualifying wusste er nicht, wie er den Wagen ausmachen sollte. Nach der Aufforderung der Boxencrew, doch in »P Zero« zu schalten, fragte Russell: »Wie mache ich das?«
Der erste Akt: Trotz der Umstände zeigte Russell am Sonntag eine herausragende Leistung. Bereits beim Start kassierte er Bottas und baute in der Folge seinen Vorsprung immer weiter aus. Selbst ein Restart nach einer Safety-Car-Phase meisterte Russell und blieb in Führung. Er, der zuvor nie unter die besten Zehn gekommen war, dominierte das Rennen.

Chaos bei Boxenstopps des Formel-1-Teams von Mercedes gibt es eigentlich nur selten zu sehen
Foto:Steven Tee / imago images/Motorsport Images
Der zweite Akt: In der 62. Runde schlug sich Jack Aitken, der wiederum Russell im Williams ersetzte, auf der Start-Ziel-Geraden den Frontflügel ab. Das virtuelle Safety-Car wurde aktiviert und die beiden führenden Mercedes hintereinander in die Box gerufen. Es entwickelte sich ein Chaos um die richtigen Reifen, Russell bekam die Pneus von Bottas statt seiner eigenen. Bottas musste wiederum mit seinen alten Reifen weiterfahren – und zuvor noch warten. Eine Runde später wurde Russell erneut in die Box gerufen, um die richtigen Slicks aufzuziehen.
Der dritte Akt: Zurück auf der Strecke war Russell plötzlich nur noch Fünfter, unter anderem hinter Bottas. Und er griff seinen Teamkollegen direkt wieder an. Mit einem spektakulären Manöver überholte er seinen Teamkollegen für ein Rennen. Wenig später hatte Russell auch Lance Stroll und Esteban Ocon überholt. Als Zweiter fehlten ihm nur wenige Sekunden auf den Führenden Pérez. Bis zum Rennende hätte Russell den Racing-Point-Piloten wohl eingeholt und möglicherweise auch überholt.
Der vierte Akt: Hätte, weil sich wieder der Boxenfunk des Mercedes-Teams zu Wort meldete. Russell habe einen Platten am hinteren linken Reifen, hieß es. Wieder musste Russell an die Box, nach dem Stopp schrie er nur noch in den Funk. Weil das Feld auf dem schnellen Kurs in Bahrain so dicht beieinander lag, kam Russell in der 79. Runde diesmal als 14. zurück auf die Strecke. Unter anderem mit der schnellsten Rennrunde arbeitete er sich zumindest noch auf den neunten Rang vor.
Die Nachwirkungen: Nach dem Rennen und der bewegenden Bilder um Russell meldete sich Mercedes-Boss Wolff zu Wort. Er sprach von einem »colossal fuck up« des Teams, zuvor hatte er sich am Boxenfunk bereits persönlich bei Russell entschuldigt. Wolff fand aber auch aufbauende Worte; »a star is born«, sagte er über den 22-Jährigen. Sollte nichts Außergewöhnliches passieren, wird Russell aber erst einmal weiter für Williams fahren. Die Frage, die sich stellt: Wie lange noch?
Mercedes jedenfalls muss 20.000 Euro Strafe zahlen wegen unrechtmäßigen Einsatzes der Reifen, das entschieden die Rennkommissare nach dem Rennen. Russell darf seine Punkte aber behalten.
Der große Verlierer: Angesichts der schwachen Leistung von Bottas schien sich Wolff nicht mehr sicher, mit der Verlängerung des Finnen die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Bottas blieb bereits in den vergangenen Wochen hinter den Erwartungen zurück, nun wurde er über weite Strecken von einem Jungstar deklassiert. »Man kann nur mit den Informationen arbeiten, die man hat«, sagte Wolff auf die Frage, ob man die richtige Entscheidung getroffen habe, mit Bottas und nicht Russell für die kommende Saison geplant zu haben.