Sebastian Vettel in Montreal Erst das Rennen verloren, dann die Nerven

Sebastian Vettel
Foto: Dan Istitene / Getty Images / AFPDie Szene des Rennens: Sebastian Vettel ist beim Großen Preis von Kanada erstmals in dieser Saison von der Pole Position ins Rennen gegangen, blieb auch am Start vor Lewis Hamilton und verteidigte die Spitze trotz aller Angriffe des Weltmeisters. In der 48. Runde kam Hamilton dem Deutschen bedrohlich nahe. Unter Druck leistete sich Vettel einen folgenschweren Fahrfehler: Er verpasste die Einfahrt in Kurve vier und musste über einen Grasstreifen ausweichen. Eigentlich hätte Hamilton überholen können, doch Vettel lenkte seinen Wagen quer über die Fahrbahn und bremste den Briten aus.
Das Ergebnis: Vettel verteidigte seinen knappen Vorsprung zwar bis ins Ziel. Doch wegen "unsicherer Rückkehr auf die Strecke" brummte ihm die Rennleitung eine Fünf-Sekunden-Zeitstrafe auf. Dadurch wurde Hamilton zum Sieger erklärt - es war sein fünfter Erfolg im siebten Saisonrennen. Hier geht es zur Meldung.
Vettels Reaktion: "No! No! No!" schrie Vettel immer wieder in den Boxenfunk und fragte, was er denn hätte anders machen sollen. Unmittelbar nach dem Rennen stampfte er wutentbrannt an sämtlichen Funktionären vorbei in die Ferrari-Kommandozentrale. Keine Lust auf Interviews und schon gar nicht auf Diskussionen mit Fia-Funktionären. Nachdem er sich beruhigt hatte, kehrte Vettel zurück. Vor Beginn der Siegerehrung nahm er aber noch eine "Korrektur" vor, indem er das Schild mit der großen Ziffer "2" für den Zweitplatzierten vor den Mercedes von Lewis Hamilton stellte. Die "1", vor der Hamilton eigentlich geparkt hatte, nahm er dort weg und platzierte sie auf der leeren Fläche, auf der Vettel seinen Ferrari hätte abstellen sollen - wenn er nicht auch dafür zu wütend gewesen wäre.
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— Formula 1 (@F1) June 9, 2019
Hamiltons Reaktion: Der Weltmeister hatte keinen Grund, das Siegerinterview zu schwänzen. Er räumte ein, dass er eigentlich nicht auf diese Art gewinnen wolle. Trotzdem freue er sich natürlich für sein Team. Auf dem Podest holte er Vettel dann kurz zu sich aufs oberste Treppchen. Merke: Es ist leichter, ein guter Sieger zu sein als ein guter Verlierer.
Netz-Reaktionen: In den sozialen Netzwerken wurde der Rennausgang kontrovers diskutiert. Die einen echauffierten sich über Vettels Verhalten. Die anderen - vor allem diejenigen, die in ferrariroter Bettwäsche schlafen - sahen in der Entscheidung einen weiteren Beweis, dass der Weltverband Fia grundsätzlich Mercedes bevorzuge.
Zweierlei Maß: Ein Kernpunkt der Kritik an der Fia: Hamilton hatte in einer vergleichbaren Szene in Monte Carlo 2016 keine Strafe erhalten. Damals war der Brite in einer Schikane von der Strecke abgekommen und hätte danach fast Daniel Ricciardo in die Mauer gedrängt. Die Untersuchung ergab kein Fehlverhalten Hamiltons. Das ist kein Beweis dafür, dass Mercedes bevorzugt wird. Es zeigt aber, dass man Szenen wie die zwischen Vettel und Hamilton unterschiedlich bewerten kann.
Und sonst so? Vettels Teamkollege Charles Leclerc wurde Dritter. Dabei wäre für den Monegassen mehr drin gewesen. Doch Ferrari wählte mal wieder eine eigenwillige Strategie: Nachdem Vettel (27. Runde) und Hamilton (28. Runde) zu ihren planmäßigen Stopps an die Box gekommen waren, übernahm Leclerc die Spitzenposition. Hätte Ferrari auch ihn sofort zum Reifenwechsel beordert, hätte er eventuell sogar eine Chance gehabt, vor Hamilton wieder auf die Strecke zu kommen. Stattdessen hieß es, Leclerc solle so lange wie möglich draußen bleiben. Die Folge: Er wurde langsamer und verlor damit wertvolle Zeit im Vergleich zum Spitzenduo. Zum Ende fuhr Leclerc dank der frischeren Reifen zwar bessere Zeiten als Vettel und Hamilton, es reichte aber nicht, um den Rückstand aufzuholen.
Der Streit des Tages: Durch das kontroverse Ende verkam eine denkwürdige Diskussion zwischen dem Haas-Piloten Kevin Magnussen und seinem Teamchef Günther Steiner zur Randnotiz. Magnussen, zu diesem Zeitpunkt auf dem 18. und vorletzten Platz liegend, beschwerte sich über den Boxenfunk lautstark über sein Auto. "Das hier ist die schlimmste Erfahrung, die ich je machen musste, seit ich Rennen fahre", sagte Magnussen. Das wollte Steiner nicht auf sich sitzen lassen und herrschte seinen Fahrer an: "Es reicht jetzt. Genug ist genug!"
Fazit und Ausblick: So bitter das Ende und die Entscheidung für Ferrari war: Zumindest hat das Rennen gezeigt, dass Mercedes in dieser Saison nicht unbesiegbar ist. Allerdings erscheint fraglich, ob Vettel wirklich gestärkt aus Montreal abreist und positive Energie zum Großen Preis von Frankreich (Sonntag 23. Juni, 15.10 Uhr, TV: RTL/Sky, Liveticker: SPIEGEL ONLINE) mitnehmen kann. Immerhin hat Ferrari nach wie vor nicht gewonnen. Zudem hat Vettel gezeigt, wie sehr die Pleitenserie an ihm nagt - und ihn zu Fehlern verleitet. Durch seine Trotzreaktionen nach Rennende kann man nicht mal von einem moralischen Sieg sprechen. Ganz im Gegenteil: Da Vettel gegen das Reglement verstoßen hat, könnten weitere Strafen folgen - möglicherweise auch mit Auswirkungen auf die kommenden Rennen.