
Frauen in der Formel 1: 0,5 WM-Punkte und 26 Jahre Wartezeit
Machowelt Formel 1 Niemand will von einer Frau überholt werden
Ein Gang durch das Fahrerlager der Formel 1 zeigt, wie weiblich die wichtigste Rennserie der Welt im Laufe der Jahre geworden ist. Es gibt Ingenieurinnen wie Ruth Buscombe bei Sauber, Moderatorinnen, Journalistinnen, freiwillige Helferinnen, Testfahrerinnen oder Pressesprecherinnen wie Sebastian Vettels ständige Begleitung Britta Roeske. Monisha Kaltenborn führte das Sauber-Team fast fünf Jahre als Chefin. Claire Williams ist als stellvertretende Teamchefin für wesentliche Teile des operativen Geschäfts beim Williams-Rennstall zuständig.
Nur im Renncockpit hat sich seit der ersten Weltmeisterschaft 1950 nahezu nichts verändert. Fünf Pilotinnen haben es in 68 Jahren versucht, sich für ein Rennen zu qualifizieren. Giovanna Amati war 1992 die Letzte, sie scheiterte in drei Qualifikationen auf einem Brabham. Die Erste war Maria Teresa de Filippis, die 1958 im Maserati an zwei Rennen teilnahm. In Frankreich ließ man sie nicht - weil der Organisator etwas dagegen hatte. "Er sagte, der einzige Helm, den eine Frau tragen sollte, ist der beim Frisör", erzählte die 2016 verstorbene de Filippis dem britischen "Observer" 2006.

Monisha Kaltenborn
Foto: imago/BildbyranDass solches Machogehabe nicht aus der Formel 1 verschwunden ist, zeigt die Diskussion um die Abschaffung der Grid Girls. Die neuen Eigentümer von Liberty Media betonen, dass die leicht bekleideten Präsentatorinnen von Startnummern "klar im Widerspruch zu modernen gesellschaftlichen Normen stehen".
So weit der Veranstalter, die Haltung von Fahrern und Teams klingt überwiegend anders. So nennt Niki Lauda es eine "Entscheidung gegen die Frauen", Sebastian Vettel findet die Entwicklung "traurig", und selbst Nachwuchsrennfahrerin Sophia Flörsch kann die Aufregung nicht nachvollziehen. "Es ist ja kein Zwang dahinter, und die Frauen machen mit, weil es ihnen gefällt", sagte Flörsch in einem Gespräch mit dem SPIEGEL.

Frauen in der Formel 1: 0,5 WM-Punkte und 26 Jahre Wartezeit
Warum schafft es also seit 26 Jahren keine Frau in ein Formel-1-Cockpit?
Selbst beim eigenen Geschlecht fehlt die bedingungslose Unterstützung. Carmen Jordá, seit Ende vergangenen Jahres Mitglied der Frauen-Kommission des Motorsport-Weltverbands Fia und selbst Rennfahrerin, vertritt eine ganz eigene Meinung: Die Spanierin glaubt, Frauen können in der Formel 1 aus physischen Gründen nicht mit ihren männlichen Kollegen mithalten. Sie forderte via Twitter eine eigene Formel-1-Serie für weibliche Pilotinnen. Tatsächlich wird eine solche Serie für 2019 geplant. Die Resonanz bisher: gering.
I believe a women's F1 championship would give us the chance to achieve our dreams and compete on an equal footing - as in other sports. https://t.co/icPOOEFu8R
— Carmen Jorda (@CarmenJorda) October 12, 2017
Das Echo war, verhalten ausgedrückt, verheerend. Jordá habe alle Kolleginnen verraten, wolle nur Aufmerksamkeit und könne die Ansprüche an ein Formel-1-Rennen gar nicht einschätzen. Für Ellen Lohr, einzige Siegerin in der DTM-Historie, führt die Diskussion in eine falsche Richtung. "Wir reden über eine Sportart, in der die Jungs 1,60 Meter groß sind und 55 Kilogramm wiegen. Das sind keine Typen mit maximaler Muskelmasse." Tatsächlich wiegt in der laufenden Formel-1-Saison kein Fahrer über 75 Kilogramm, die meisten liegen sogar deutlich darunter.
"Wir müssen im physischen Bereich einfach härter arbeiten", erklärt Sauber-Testpilotin Tatiana Calderón. "Wir haben 30 Prozent weniger Muskelmasse, aber das ist kein Problem." Die Kolumbianerin fährt parallel im dritten Jahr in der GP3-Serie und fühlt sich mittlerweile akzeptiert: "Wenn mir die Jungs nach einem Rennen nicht in die Augen schauen, weiß ich, dass ich einen guten Job gemacht habe."

Tatiana Calderón
Foto: imago/LAT PhotographicJosef Leberer, einst Betreuer von Ayrton Senna bei McLaren und mittlerweile Physiotherapeut bei Sauber, bestätigt Lohr und Calderón. "Als es noch keine Servolenkung gab, wäre es für eine Frau wesentlich schwieriger gewesen, konkurrenzfähig zu sein", sagte Leberer dem SPIEGEL. "Es geht nicht um Maximalkraft, sondern um Kraftausdauer und da kann eine Frau mit entsprechendem Training auf die notwendige Fitness kommen."
"Mädchen wollen mit Puppen spielen"
Nico Hülkenberg glaubt - unabhängig von Fitness-Fragen - nicht, dass er in seiner Formel-1-Karriere noch gegen eine Fahrerin antreten wird. "Motorsport ist generell eine Männersache, das war schon immer so", sagte der Renault-Pilot dem SPIEGEL in Barcelona (hier geht es zum Interview mit Hülkenberg). "Jungs wollen mit Autos aufwachsen, Mädchen wollen mit Puppen spielen. Es sind verschiedene Interessen, und der Drang nach Automobilen ist bei Mädchen nicht so vorhanden."
Sätze, die eher nach 1978 als nach 2018 klingen.

Das Coronavirus legt den Alltag lahm. Auch der Sport ist betroffen - Veranstaltungen fallen aus. Für die Zeit empfehlen wir Klassiker aus der Sportredaktion. Hier finden Sie eine Übersicht.
Für die deutsche Kart-Meisterschaft 2018 haben sich über 180 Piloten angemeldet. Fahrerinnen machen nicht mal fünf Prozent des Feldes aus. Das gilt für alle Nachwuchsrennserien und zeigt ein grundsätzliches Problem. Es betreiben zu wenige Mädchen Motorsport.
Susie Wolff möchte das ändern. Die ehemalige Testfahrerin von Williams und Ehefrau von Mercedes-Teamchef Toto Wolff hat 2016 die Stiftung "Dare to be different" mitgegründet. Dort will sie mithilfe von Claire Williams, Calderón, der Rennfahrerin Simona De Silvestro oder in Deutschland mit Flörsch und der Sky-Moderatorin Tanja Bauer junge Mädchen an den Kartsport heranführen - dort, wo die Grundlagen für Karrieren im Motorsport gelegt werden.

Susie Wolff (M.) am Williams-Kommandostand
Foto: imago/LAT PhotographicWie nachhaltig die Stiftung für weiblichen Nachwuchs sorgen kann, wird man erst in ein paar Jahren wissen. Bis dahin muss im Kopf vieler Formel-1-Verantwortlicher umgeparkt werden. "Der Sport wird leider immer noch als Männerdomäne wahrgenommen", sagt die ehemalige Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn. "Es ist für Mädchen weiter schwierig, überhaupt im Rennsport gefördert zu werden." Kaltenborn selbst hat es versucht, 2014 musste ihre Testfahrerin De Silvestro - auch wegen Problemen mit dem Budget - den Einsatz bei Sauber wieder beenden. Mittlerweile werden immer mehr Cockpits in der Formel 1 nur noch gegen eine Mitgift in zweistelliger Millionenhöhe vergeben.
Die merkwürdige Rolle der Fia
Die Fia, die aus Vermarktungsgründen eigentlich großes Interesse an einer Formel-1-Pilotin haben müsste, hält sich zurück. Michèle Mouton, in den Siebziger- und Achtzigerjahren eine erfolgreiche Rallyefahrerin, sitzt der Frauen-Kommission des Weltverbands vor und glaubt wie ihre Kollegin Jordá nicht an den Durchbruch einer weiblichen Pilotin. Der Grund: Angst. "Wir Frauen sind psychologisch anders und dieser Unterschied macht sich bemerkbar, wenn es um Top-Speed geht", sagte Mouton 2016 dem Fachmagazin motorsport.com. Dem SPIEGEL wollte sie trotz mehrfacher Anfrage keine Fragen beantworten.
Calderón, De Silvestro, Flörsch oder auch die langjährige Indy-Car und Nascar-Fahrerin Danica Patrick - es gibt verheißungsvolle Talente. Auffällig ist, dass die vier deutlicher über ihr Aussehen vermarktet werden, als gleichstarke männliche Konkurrenten. Diesen Vorwurf weisen alle Beteiligten von sich. "Das Aussehen spielt für die Performance keine Rolle", sagt Kaltenborn und Calderón bestätigt: "Ich bekomme immer Aufmerksamkeit, auch wenn ich mal nicht so gut gefahren bin und eher meine Ruhe will."
Und was denken die männlichen Entscheidungsträger in der Formel 1? Offizielle Stellungsnahmen gibt es nicht, aber hinter vorgehaltener Hand ähneln die Meinungen den Stellungnahmen von Lauda und Vettel bezüglich der Grid Girls: Sollte es in den kommenden Jahren tatsächlich eine Pilotin in die Formel 1 schaffen, fährt sie gegen alle anderen. Niemand will von einer Frau überholt werden.
Die Formel 1 bleibt eine Machowelt.