Formel 1 Wettrennen der Spione

Sie klauen Software, knipsen verdeckt, schleichen sich verkleidet beim Konkurrenten ein: Werkspionage hat Tradition in der Formel 1. Um sich davor zu schützen, soll ein berühmter Rennstall sogar beim israelischen Geheimdienst Mossad um Hilfe gebeten haben.
Von Jörg Schallenberg

Der Plan war gut: Als der Große Preis von Österreich gerade gestartet wurde, da schlich sich der Lotus-Renningenieur Peter Collins in die verlassene Box des Konkurrenten Williams, legte sich unter den Ersatzboliden, nahm Kamera und Maßband zur Hand und begann, den Unterboden des Wagens zu kartographieren. Doch Collins hatte Pech. Ein Williams-Mechaniker kehrte früher als erwartet zurück und zerrte den verblüfften Spion an den Hosenbeinen unter dem Objekt der Begierde hervor. Später stellte sich heraus: Lotus-Chef Colin Chapman hatte seinen Angestellten losgeschickt, um Details vom Erzfeind zu besorgen.

Die Anekdote aus dem Jahr 1980 zeigt, dass Boxen- und Werkspionage eine lange Tradition in der Formel 1 besitzt. Mittlerweile geht man allerdings nicht mehr ganz so plump vor wie der verhinderte Agent Collins. Abgesehen von der laufenden Affäre um McLaren-Mercedes sorgte zuletzt ein illegal kopiertes Computerprogramm für einen Skandal. 2003 war ein Ferrari-Ingenieur zu Toyota gewechselt und hatte offenbar eine Software zur Berechnung der Aerodynamik als Begrüßungspräsent für seinen neuen Arbeitgeber mitgebracht. Ihn zu überführen, war allerdings ähnlich simpel wie im Fall Collins. Als die Zentrale des Toyota-Rennstalls in Köln durchsucht wurde, sprang den Ermittlern beim Starten des Programms das Pferd des Ferrari-Wappens entgegen. Es war den Spionen nicht gelungen, diesen Kopierschutz zu entfernen.

Weil wechselwillige Techniker und unzufriedene Mitarbeiter immer ein potenzielles Risiko für die Formel-1-Rennställe sind, müssen leitende Ingenieure oft Sperrklauseln unterschreiben, die es ihnen verbieten, unmittelbar zu einem Konkurrenten zu wechseln. Erst nach einem Jahr Pause dürfen sie wieder aktiv werden. Wie der Fall des einstigen Ferrari-Chefmechanikers Nigel Stepney zeigt, nützen allerdings alle Verträge nichts, wenn persönliche Enttäuschung und Rachegelüste zum Geheimnisverrat motivieren.

Zudem galt das geschickte Ausspionieren des Gegners in der technikversessenen Branche, in der jede Neuentwicklung für einen mittleren Aufruhr und unbändige Neugier sorgt, eher als Kavaliersdelikt. In so ziemlich jedem Rennstall, der schon ein paar Jahre länger in der Formel 1 dabei ist, kann man Legenden darüber hören, wie sich verkleidete Ingenieure bei der Konkurrenz eingeschlichen haben, wie bezahlte Paparazzi im Auftrag von Teamchefs geheime Details bei neuen Boliden abfotografierten oder Hacker versuchten, die technischen Daten der anderen Rennställe zu entschlüsseln, die per Funk vom Wagen an die Box übertragen werden. Laut "Berliner Kurier" soll Ferrari einst einen Spezialisten des israelischen Geheimdienstes Mossad beauftragt haben, den eigenen Boxenfunk abhörsicher zu machen. Man muss das nicht alles glauben. Man sollte in einem Geschäft, in dem Teams routiniert mit Etats in dreistelliger Millionenhöhe hantieren, allerdings auch nicht zuviel für unmöglich halten.

Solche Geschichten werden zumeist mit einem Augenzwinkern erzählt, obwohl die Auswirkungen mitunter handfest sind. 1978 wechselte der Designer Tony Southgate vom Team Shadow zu Arrows und baute dort einfach große Teile des Shadow detailgetreu nach. Soviel Dreistigkeit ließ sich Southgates ehemaliger Arbeitgeber allerdings nicht gefallen, zog vor Gericht und erreichte schließlich, dass Arrows den kopierten Rennwagen aus dem Verkehr ziehen musste. Der frühere McLaren-Mercedes-Motorenchef Mario Illien berichtete davon, dass 1997 vor dem Großen Preis von Argentinien eine Motorenkiste aufgebrochen, ein darin befindliches System zum Kühlereinlass zerlegt und mehrere Teile gestohlen waren.

Andererseits nutzte McLaren in den neunziger Jahren schon mal heimlich aufgenommene Fotos, um bei Ferrari regelwidrige Bleche zu entdecken und diese prompt beim Weltverband anzuzeigen. Das gegenseitige Beobachten ist dermaßen alltäglich, dass Fernando Alonso im Frühjahr 2005, als er die WM-Wertung für Renault kurzzeitig anführte, resigniert bemerkte, man werde den technischen Vorsprung wohl nicht halten können, weil "alle jetzt bei uns spionieren" werden: "Das ist ganz normal in der Formel 1. Da werden Fotos gemacht, Beobachtungen angestellt und Nachbauten versucht."

Dass Alonso jetzt selbst ins Zentrum der jüngsten und möglicherweise gravierendsten Spionageaffäre geraten sein könnte, hat möglicherweise auch mit einem gering ausgeprägten Unrechtsbewusstsein in der Formel-1-Szene zu tun, in der man schon immer mit so ziemlich allen Mitteln versuchte, der Konkurrenz um die entscheidenden Zehntelsekunden davonzufahren. Dass der nunmehr gefeuerte McLaren-Mitarbeiter Mike Coughlan fast 800 Seiten an Informationen über Ferrari gesammelt hatte, die offenbar diversen Personen in seinem Team zugänglich waren, ohne dass daraus irgendein Nutzen gezogen werden wollte, erscheint auch vor diesem Hintergrund unwahrscheinlich.

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