Rekordstrafe für McLaren-Mercedes Der 100-Millionen-Dollar-Kompromiss

Null Punkte in der Konstrukteurswertung plus eine Rekord-Strafsumme: Der Weltverband Fia hat ein drakonisches Urteil gegen die Silberpfeile verhängt - aber den Rennzirkus der Formel 1 gerettet. Für McLaren drohen nach der absurden Entscheidung bittere Konsequenzen.
Von Jörg Schallenberg

Die Zahl klang so unfassbar, dass man dreimal hinschauen musste, um sich zu versichern, nicht gerade eine Null doppelt zu sehen. Doch auch nach dreimaligem Augenwischen blieben es sagenhafte 100, in Worten: hundert Millionen Dollar, die McLaren-Mercedes zahlen muss. Das ist nicht nur angesichts des Jahresbudgets von 350 Millionen Euro ein verdammt hoher Preis für 780 Seiten an internen Dokumenten, die der frühere Ferrari-Chefmechaniker Nigel Stepney dem Rennstall geliefert hatte.

Keine Frage, diese Strafe ist, verbunden mit dem Rauswurf aus der Konstrukteurswertung, enorm. Aber sie ist zugleich ein absurder Kompromiss, bei dem McLaren-Mercedes in zwei wichtigen Punkten ungeschoren davonkommt.

Denn der Rennstall wird weder aus der laufenden Saison ausgeschlossen noch für das kommende Jahr gesperrt - was das Team möglicherweise noch härter getroffen hätte als die drakonische Geldstrafe. Zudem dürfen Fernando Alonso und Lewis Hamilton den Weltmeistertitel für die Piloten in ihren Silberpfeilen nun unter sich ausfahren, als wenn nichts gewesen wäre. Dabei ist die Fahrerwertung in der breiten Öffentlichkeit von weit, weit größerer Bedeutung als das Konstrukteurs-Klassement, das eher von den eingeschworenen Rennfans mit Spannung verfolgt wird.

Nur noch aberwitzig wirkt es, dass der Weltverband Fia, dessen oberster Gerichtshof mit dem klingenden Namen World Motor Sports Council das Urteil fällte, bei seiner Entscheidung eine Trennung zwischen Team und Piloten oder, genauer betrachtet, zwischen den Rennwagen und jenen, die sie steuern, zog. Das kann niemand nachvollziehen, der sich einen Rest an logischem Denken bewahrt hat.

Die Höhe der Strafe macht deutlich, dass es offenbar klare Beweise gegen McLaren-Mercedes gab. Die Fia hat bislang nichts über den Verlauf der Verhandlung verraten - und allzu viele Details darf man von einem Gericht, das mit zweifelhafter Legitimation und Besetzung hinter verschlossenen Türen tagt, auch nicht erwarten.

Wenn das Council aber den Rennstall hart bestraft, weil er sich anscheinend durch massiven Missbrauch geheimer Informationen einen Wettbewerbsvorteil verschafft hat, die Fahrer aber mit windigen Begründungen völlig außen vor lässt, dann tun die 26 Mitglieder des Rates so, als hätten Alonso und Hamilton ihre Siege auf den Rennpisten zu Fuß erlaufen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie wenig die sogenannte Sportgerichtsbarkeit mit der ordentlichen Rechtsprechung zu tun hat - bitte, hier ist er.

Nur zur Erinnerung: Ein stimmberechtigtes Mitglied des Councils heißt Bernie Ecclestone. Der 76-jährige Brite, der als Chefvermarkter alle wichtigen Fäden der Formel 1 in der Hand hält, besitzt ein enormes Interesse daran, nicht auf zwei der größten Stars seiner Show und den wichtigsten und traditionsreichsten Rennstall neben Ferrari verzichten zu müssen. Sein Einfluss innerhalb des Gremiums ist kaum zu überschätzen. Wie er sich wohl während der zehnstündigen Verhandlung gestern verhalten hat?

Das Urteil der Fia, das McLaren-Mercedes zugleich straft und schont, dürfte allerdings weitreichende Auswirkungen auf die Machtverhältnisse und die Zusammenarbeit innerhalb des deutsch-britischen Teams haben. Schon seit längerem drängt der deutsche Motorenlieferant auf eine stärkere Rolle, der britische Konstrukteur sträubt sich. In den vergangenen Tagen wurde in Fachmedien bereits ein Szenario durchgespielt, nach dem Mercedes zu seinem 40-Prozent-Anteil weitere 15 Prozent von McLaren-Boss Ron Dennis und einem weiteren Mitbesitzer dazukauft und damit de facto das Sagen hätte.

Nach der Spionageaffäre und dem heutigen Urteil gehen dem stolzen Briten Dennis, der stets auf seine Autonomie pochte, die Argumente für seine Haltung aus. Denn es waren, soweit bislang bekannt ist, McLaren-Mitarbeiter und nicht Mercedes-Angestellte, die sich Informationen von Ferrari beschafften.

Mehr noch: Die Affäre zeigt einen fundamentalen Gegensatz auf. Während die Schnüffelei beim Gegner zwischen den Formel-1-Rennställen traditionell eher sportlich betrachtet wird, ist der Verdacht der Werksspionage für das Image eines weltweit agierenden Konzerns wie Mercedes - und damit auch Daimler - katastrophal.

Nach Jahren des mäßigen sportlichen Erfolgs und großer technischer Probleme wird das neuerliche, weitaus schlimmere PR-Desaster in der Zentrale des Konzerns scharf diskutiert werden. Den Verantwortlichen dort wird nicht verborgen geblieben sein, dass mit Ferrari, Renault und BMW die härtesten Konkurrenten in der Formel 1 die Fäden in ihren Rennställen selbst in der Hand halten.

Zuletzt trennte sich BMW nach der Saison 2005 entnervt vom Partner Williams - auch, weil Arbeitsweise und Philosophie nie in Übereinstimmung zu bringen waren. Mittlerweile gilt BMW, das den Schweizer Rennstall Sauber aufgekauft hat, als Team mit den besten Perspektiven. In der Konstrukteurswertung rücken die Weißblauen nach dem Fia-Urteil auf Platz zwei vor.

Für den Rennstall McLaren-Mercedes in seiner bisherigen Form, das darf man nach der heutigen Entscheidung gefahrlos prophezeien, wird es wohl keine Zukunft geben. McLaren-Chef Ron Dennis ist der größte Verlierer des Tages. Der 60-Jährige steht vor den Trümmern seiner Karriere.

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