BERNHOLDS Fröhlich nach Vorschrift
Das erfolgreichste deutsche Sportlerpaar tritt zum Wettkampf mit tüllgestufter Abendrobe und numeriertem Frack an. Aber sie benötigen die Kraft und die Kondition von 5000-Meter -Läufern. Deshalb beziehen sie ins ihr Trainingsprogramm Waldläufe, Gymnastik und Turnlektionen ein.
Am vorletzten Wochenende wurden die Hamburger Turniertänzer Helga und ihr ein Jahr älterer Ehegatte Dr. Jürgen Bernhold, 32, zum viertenmal Weltmeister. Sie sind die besten von 12 500 organisierten Amateur-Tänzern in der Bundesrepublik, die den deut-, schen Medaillen-Hort seit 1960 schon um insgesamt sieben Welt- und vier Europameisterschaften bereicherten.
Dabei hatten die deutschen Funktionäre die Sportler im Frack 40 Jahre lang bewußt geschnitten. 1934 verhinderte sogar Propaganda-Minister Goebbels, daß die Tanz-Amateure in den Reichssportbund aufgenommen wurden. Er ordnete den »Deutschen Tanz« dem »deutschen Kulturgut« zu.
Erst 1953 erkannte der Deutsche Sportbund (DSB) den Deutschen Tanzsportverband als jüngsten Pflegling an. Im gleichen Jahr begannen. Bernhold und seine Tanzstunden-Partnerin ihre Parkett-Karriere. Ihr Tanz-Talent war frühzeitig erkannt worden: Die beste Leistung beim Abschluß-Ball der Anfänger, hatte ihnen eine Gratis-Karte für den Fortgeschrittenen-Kursus ihrer Tanzschule eingebracht.
Der durchschnittlich sechs Jahre währende Aufstieg von der untersten Leistungsklasse D über die Stufe A bis in die Sonderklasse gelang Bernhold und seiner späteren Frau in der halben Frist. Der Diplom-Volkswirt übertrug seinen sportlichen Ehrgeiz von normalen Sportstätten auf das Parkett. Er hatte Fußball und Handball gespielt, war Hamburger Jugendmeister im Faustball, Deutscher Juniorenmeister und Studentenmeister in Mehrkämpfen aus Turnen und Leichtathletik geworden. Schon als Kunstturner hatte er zum Kader der Nationalmannschaft gehört.
»Im Turniertanz ist die Partnerin beteiligt«, entschied sich Bernhold für die jüngste der anerkannten Voll-Sportarten. Doch in bedeutenden Turnieren walzten die Bernholds jahrelang im Schatten des Weltmeisterpaares Breuer aus Köln.
Der Konkurrenz-Kampf zwischen den Breuers und den Bernholds steigerte das Interesse. Die wichtigsten Turniere in Deutschland füllten selbst die Berliner Deutschlandhalle (22 000 Plätze) restlos und wurden zudem durch die Glasaugen der TV-Kameras live übertragen. Auf die Trainer trieb eine neue Welle tanzlustiger Sportfreunde zu. Auch Sportklubs, wie der letzte Deutsche Fußball-Meister München 1860; gründeten Tanzsport-Abteilungen. So lösten sie zugleich das Problem der vernachlässigten Fußballbräute. Die »Hamburger Turnerschaft von 1816« - der älteste Sportverein der Welt - mußte die Werbung stoppen. Die Zahl der Tanzwilligen überstieg die Kapazität.
Der erhöhte Zulauf steigerte die Leistungen und zugleich die Anforderungen. Spitzenpaare feilen viermal wöchentlich bis zu zwei Stunden nach Schallplatten an ihrem Stil und ihrer Tanz-Technik. Bernhold, inzwischen Alleininhaber der Binnen-Tankreederei »Hamburger Lloyd Tietjens und Co.«, trainierte nach Büroschluß außerdem noch an Turngeräten. Die 20 besten deutschen Paare werden zusätzlich zu Trainings-Lehrgängen einberufen. Sie sollen vor wichtigen Wettkämpfen durch Waldläufe und besondere Konditions -Gymnastik auf die Turnier-Strapazen vorbereitet werden.
Denn bei einer Weltmeisterschaft etwa müssen - die Endrunden-Paare fünf Tänze von durchschnittlich zweieinhalb Minuten Dauer viermal an einem Abend mit voller Konzentration tanzen, mithin 50 Minuten lang. Bernhold, »in dessen Gesicht der Schweiß Rinnsale bildete« ("Frankfurter Rundschau"), verlor bei Turnieren bis zu fünf Pfund an Gewicht. Die Tanzpaare müssen zudem lächelnd leisten. »Wer keine Kondition hat, der hat auch nichts zu lächeln«, erklärte Bernhold. »Aber eine Zatopek -Grimasse dürfen wir auch in der letzten Runde nicht zeigen.«
In der Tanz-Theorie beweist erst natürliches Lächeln die vollendete Harmonie eines Tanz-Teams. Doch vorschriftsmäßig fröhlicher Gesichtsausdruck sichert noch keineswegs günstige Urteile. Denn die Punktrichter drücken wie im Eiskunstlauf oder Kunstturnen ihren subjektiven Eindruck in Punkten aus. Sie haben allerdings einen Vorteil: Die zu vergleichenden Paare tanzen gleichzeitig. So heben sich unterschiedliche Leistungen deutlicher voneinander ab. Taktisch routinierte Paare versuchen freilich gelegentlich, ihre Konkurrenten aus dem Blickfeld der Punktrichter und in die Ecken zu manövrieren.
Zumindest die Damen trachten durch aufwendige Tanzroben die Aufmerksamkeit des Kampfgerichts zu fesseln. Die diplomierte - Mode-Meisterin Helga Bernhold entwirft und näht ihre Turniergarderobe selbst, in Eilfällen innerhalb von drei Tagen. Pro Jahr benötigt sie in der Regel vier Abendkleider. Die Maaterialkosten von ungefähr 200 Mark je Kleid gleicht sie aus, indem sie ihre Kreationen nach einiger Zeit für den Materialpreis an andere Turniertänzerinnen weiterverkauft.
Ihre Anstrengungen im Training und an der Nähmaschine konzentrierten die Bernholds auf ein Ziel: Sie wollten die Leistungen der führenden englischen Weltklasse-Paare erreichen. Ihr »Club Céronne«, der sich einschließlich Bernholds auch am Hamburger Straßen -Staffellauf rund um die Alster beteiligt, engagierte den englischen Trainer John Little. Er führte sieben Klub -Paare in die deutsche Sonderklasse.
In Deutschland wurden die Bernholds in beiden Turnier-Disziplinen je dreimal Meister: in den lateinamerikanischen (Rumba, Samba, Cha-Cha-Cha, Paso doble) und in den Standard-Tänzen (Langsamer Walzer, Tango, Wiener Walzer, Slowfox, Quickstep). Nach den moderneren Rhythmen ertanzten die Hamburger 1962 und 1963 je zwei Welt- und Europameisterschaften. Eine dritte Weltmeisterschaft gelang ihnen in der aus neun verschiedenen Tänzen zusammengesetzten Kombination, bevor sie ein Jahr aussetzten. Frau Bernhold erwartete Nachwuchs.
Doch 1965 knüpften sie wieder an ihre Erfolge an. Vor der Weltmeisterschaft am letzten September-Wochenende in der Bremer Stadthalle verpflichteten die Bernholds sogar die Londoner Star-Trainer Len Scrivener und Nina Hunt zu einigen Sonder-Lektionen. Erfolg: Sie errangen in den lateinamerikanischen Tänzen ihre vierte Weltmeisterschaft. In den Standard-Tänzen erreichten sie das beste Ergebnis eines deutschen Paares. Sie wurden Zweite hinter den Engländern Patricia Thompson und George Coad.
Die deutschen Sportfunktionäre trachten die Tanzerfolge möglichst bald auch ihrer olympischen Medaillen-Statistik nutzbar zu machen. Bis zum Olympia in München wollen sie für den Turniertanz auch die olympische Anerkennung erreichen.
Tanzpaar Bernhold beim Training
Waldläufe und Turnlektionen ...
Tanzpaar Bernhold im Wettkampf
... vor dem Auftritt in Gala