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SEGELN Für jeden ein Boot

aus DER SPIEGEL 42/1964

Das kleinste olympische Segelboot vermochte auch der mächtigste Olympier nicht auf Kurs zu halten. Avery Brundage, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), mußte in Tokio seine Entscheidung revidieren, je ein Finndingi aus Ost - und Westdeutschland zur Olympia -Regatta zuzulassen.

Bei den deutschen Olympia-Ausscheidungen hatte das Kollektiv der Zone den West-Berliner Favoriten, Luftwaffen-Fähnrich Willi Kuhweide, 21, durch Teamsegeln, wie es im Fachjargon heißt, »eingemauert« und an der Entfaltung seines Könnens gehindert (SPIEGEL 32 und 36/1964). Der Segler -Verband der Bundesrepublik hatte die Ergebnisse nicht anerkannt. Doch keine Instanz der internationalen Sport -Hierarchie schlichtete den innerdeutschen Segler-Krieg, und niemand entschied, wer bei Tokio starten dürfe. Sogar Brundage fühlte sich zunächst überfordert, als zum erstenmal sein allerhöchster Schiedsspruch angefordert worden war.

Da verfiel der Schweizer Oberschiedsrichter Dr. Auer auf eine Patentlösung. Je zwei ost- und westdeutsche Finndingis sollten an der Europameisterschaft vor Kopenhagen-Hellerup teilnehmen. Der beste von ihnen sollte für Tokio als qualifiziert gelten. Die Zonen-Segler sagten ab. Kuhweide wurde Europameister. Eine Entscheidung war noch immer nicht gefallen.

So reisten Ost-Dehmel und West -Kuhweide nach Tokio. Der Segler -Weltverband empfahl dem zuständigen olympischen Organisations-Komitee, die Medaillenjagd für beide Finndingis aus Deutschland freizugeben, obgleich eigentlich für jedes Land nur ein Finndingi starten darf.

Die Herren des westdeutschen Olympia-Komitees (NOK) zwickte der Argwohn: Der Start zweier deutscher Finndingis, mißtrauten sie, durchbräche erstmals das Prinzip der gemeinsamen deutschen Olympia-Mannschaft. NOK -Offizieller Dr. Max Danz: »Wenn zwei segeln, ist ja die Zwei-Staaten-Theorie ins Spiel gebracht.«

Da jedoch der Zonen-Segler Dehmel sich hartnäckig gegen ein Ausscheidungs-Segeln in Tokio sträubte, stellten die Westdeutschen schließlich ihre politischen Bedenken zurück und intervenierten bei Brundage zugunsten ihres Kuhweide. Der oberste Olympier tat es allen Deutschen recht und genehmigte den Start der beiden deutschen Boote.

Damit hatte Brundage es mit vielen nicht-deutschen Segler-Verbänden verdorben. Sie protestierten heftig dagegen, daß die Deutschen doppelt so hohe Medaillen-Chancen haben sollten wie alle übrigen Finn-Segler. Der IOC -Präsident mußte sein Plazet zurückziehen. Er wollte den Seemannsknoten nun entwirren, indem er doch eine Ausscheidung zwischen Kuhweide und Dehmel anbefahl. Ein Mittel, Ost-Dehmel zu zwingen, wußte er allerdings nicht.

Unabhängig von der Entscheidung auf fünf Qualifikations-Rennen, offerierten die West-Deutschen ihrerseits einen letzten Ausweg. Kuhweide und Dehmel sollten mitsegeln, aber nur der erfolgreichere von beiden gewertet werden: So wird die olympische Regatta zugleich zu einer innerdeutschen Ausscheidung; die Chancen der 31 außerdeutschen Finn-Segler werden dabei kaum beschnitten.

Finndingi-Segler Kuhweide

Vor Tokio ein deutscher Seekampf

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