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Fanproteste in der Bundesliga Rebellion der Basis

Köln-Anhänger boykottieren das Rhein-Derby, weil der DFB ihnen weniger Karten zuteilt. Dortmund-Fans werfen Tennisbälle aus Protest gegen hohe Preise. Was bringt das alles?

Natürlich hätte Eike Lust, das Derby des 1. FC Köln bei Borussia Mönchengladbach an diesem Samstag (15.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) zu besuchen. Doch er ist der Meinung, ein Opfer bringen zu müssen für eine größere Sache. "Wir sind nicht gewillt, unter diesen Vorzeichen unseren Job zu machen." Eike gehört den Coloniacs an, eine als unproblematisch geltende Kölner Ultra-Gruppe. Seinen Nachnamen will er nicht veröffentlicht sehen.

Unseren Job, damit meint er das, was Fans eben tun: die Mannschaft mit Gesängen unterstützen, Choreografien einstudieren, eine bunte Kulisse für das Milliardenspektakel Bundesligafußball zur Verfügung stellen. Wie Eike werden viele andere Kölner Anhänger das rheinische Duell boykottieren. Stattdessen planen sie einen Protestmarsch im Mönchengladbacher Stadtteil Rheydt.

Demonstriert werden soll "für den Erhalt der Fankultur". Unter diesem Motto steht der Kölner Protest, der eine Reaktion auf eine Reaktion ist. Wegen der Ausschreitungen beim Derby vor gut einem Jahr hat der DFB das Kontingent der Auswärtstickets halbiert , von 5400 auf 2700. Die Karten werden nur personalisiert ausgegeben. Ein nicht zu tolerierender Eingriff in die eigenen Rechte, finden die aktiven Fans.

Nun bestreitet nicht einmal der harte Kern des Kölner Publikums, dass beim vergangenen Duell in Mönchengladbach allerhand schiefgelaufen ist. Fans in Maleranzügen rannten auf den Platz, bengalische Fackeln flogen.

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Rheinderby in Mönchengladbach: Randale nach dem Schlusspfiff

Foto: Federico Gambarini/ dpa

Auch die Dortmunder Fans, die in der vergangenen Woche beim Pokalspiel in Stuttgart mit Tennisbällen gegen teure Eintrittskarten demonstriert haben, sind sich im Klaren darüber, dass günstige Fußballtickets kein Menschenrecht sind. Sie kennen auch das Argument, dass sie doch einfach zu Hause bleiben oder den örtlichen Kreisligisten unterstützen könnten, wenn ihnen die Zustände in der Bundesliga nicht passten. Doch viele Fans im ganzen Land verbindet der Umstand, dass sie auf den Besuch im Stadion nicht einfach verzichten wollen. Deshalb setzen sie sich für fanfreundlichen Profifußball ein. Fragt sich, welche Chancen die Rebellion der Basis hat.

"Wir wollen nicht nur die Blase der aktiven Fans erreichen"

Jan-Henrik Gruszecki hat eigenen Angaben zufolge Anfragen aus der ganzen Welt bekommen nach dem Protest der Dortmunder Gefolgschaft im Schwabenland. Die Aktion richtete sich dagegen, dass Fans von Spitzenvereinen bei Auswärtsspielen mehr zahlen müssen als Anhänger kleinerer Klubs.

"Es ist genau das passiert, was wir erhofft haben: Es gibt Aufmerksamkeit und öffentlichen Druck auf die Vereine", sagt Gruszecki, Sprecher der Initiative Kein Zwanni, die den Protest in Stuttgart organisiert hat. Dass die Partie ein paar Sekunden unterbrochen war, und sich viele Zuschauer am heimischen TV-Gerät fragten, was die Quälgeister in der Kurve denn nun schon wieder ausgeheckt hätten, war laut Gruszecki kein Nebeneffekt der Tennisballflut, sondern oberste Absicht. "Wir wollten nicht nur die Blase der aktiven Fans erreichen."

DFB-Pokalspiel in Stuttgart: Tennisbälle als Fanprotest

DFB-Pokalspiel in Stuttgart: Tennisbälle als Fanprotest

Foto: Marijan Murat/ dpa

Die Frage nach den Erfolgsaussichten solcher Protestformen stellt sich für die Aktivisten nicht. Sie verweisen darauf, dass es schon eine lange Liste von Erfolgen gäbe. Tatsächlich haben in den vergangenen Jahren viele Klubs die sogenannten Top-Zuschläge für Auswärtsfans abgeschafft, unter anderem auch Borussia Dortmund. "Die Fans drehen an keinem allzu großen Rad. Die Vereine müssen überzeugt werden. Dann läuft das", sagt der Wissenschaftler und Fan-Fachmann Jonas Gabler. Die Chancen auf Erfolg seien deshalb relativ groß bei solchen Teilaspekten.

Die Fans erhoffen sich den nötigen Druck auf den DFB

Komplizierter ist es, wenn sich der Protest wie im Fall des Kölner Derby-Boykotts gegen den DFB richtet. Denn der Verband hat ein Interesse an Sicherheit im Stadion und sieht sich mit seinem Vorgehen im Recht nach den Ausschreitungen vor einem Jahr. Außerdem dürften sich viele Stadiongänger und wohl auch der eine oder andere Funktionär freuen, wenn der harte und nicht immer friedliche Kern der Fans freiwillig draußen bleibt.

Für Gabler ist das zu kurz gedacht. "Es kann nicht die Lösung sein, das Problem vor die Stadien zu verlagern. Der Konflikt wird verschoben, schwelt aber weiter." Dessen müsse sich der DFB bewusst sein. Die Fans hoffen, mit einem verwaisten Gästeblock und dem Protestmarsch Druck auf den Verband zu machen, dass Verfehlungen nicht einfach mit der Halbierung des Auswärtskontingents abgegolten werden.

Es ist kein Zufall, dass Fans in Deutschland zunehmend für ihre Rechte einstehen. In kaum einem anderen Land Europas ist der aktive Teil des Anhangs so gut organisiert. Die Protestkultur entstand Mitte der Neunziger, als Fußball immer mehr zum Sport der Mittelschicht wurde und die Hooligans in den Kurven von Zuschauern mit einem Bewusstsein für die eigene Sache verdrängt wurden.

Eines der ersten Anliegen der Wutbürger in den Fanblöcken war es, die Verwandlung der Bundesligastadien in reine Sitzplatzarenen nach englischem Vorbild zu verhindern. "Ohne die damaligen Proteste würde es keine Stehplätze mehr in deutschen Stadien geben", sagt Michael Gabriel von der Koordinationsstelle der Fanprojekte.

Friedhofsatmosphäre wird beim rheinischen Derby vermutlich trotz des Kölner Boykotts nicht herrschen. Choreografien gibt es allerdings keine. Denn die Mönchengladbacher Ultras wollen ebenfalls auf die gewohnte Unterstützung verzichten. Im Kampf gegen DFB-Strafen halten die Rivalen zusammen.

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