1899 Hoffenheim Team ohne Herz und ohne Seele

Hoffenheim-Trainer Stanislawski: Er vermisst die "Gier nach Siegen"
Foto: dapdSeit seinem Auftauchen im Profifußball hat 1899 Hoffenheim mit Klischees zu kämpfen. Der Club sei ein reines Kunstprodukt, er sei passiv, seelenlos, unfähig, Emotionen zu kreieren. In Hoffenheim haben sie das gerne als undifferenziertes Vorurteil abgetan, als fußballerischen Sozialkitsch, gepaart mit Neid auf die durchaus opulenten finanziellen Verhältnisse des Vereins. Spätestens nach dem uninspirierten 1:1 gegen den SC Freiburg am Samstag ist der Club von seinen Imageproblemen eingeholt worden. Die Mannschaft spielt in diesen Wochen genau so, wie Fußball-Deutschland auf Hoffenheim blickt. 1899 Hoffenheim im November 2011 ist ein Team ohne Herz. Und ohne Seele.
Dabei hatten sie doch ganz bewusst im Sommer einen Trainer verpflichtet, der Gewähr dafür schien, genau dies zu ändern. Holger Stanislawski sollte Garant dafür sein, dass in Hoffenheim künftighin ein Fußball mit Leidenschaft gespielt wird, mit Herzblut, wie eine Fankneipe des FC St. Pauli auf der Reeperbahn heißt, dort, wo sie Stanislawski hergeholt haben. So einer wie der "Stani" sollte es doch fertigbringen, Hoffenheim Leben einzuhauchen.
Nach dem Unentschieden vor drei Wochen gegen den 1. FC Kaiserslautern - noch so ein wachsweicher Auftritt des Teams - hat Stanislawski gesagt: "Ich weiß zurzeit nicht, was mit dieser Mannschaft los ist." Es hörte sich nicht einmal mehr wütend an, eher nach einer Kapitulation.
In der Zone der grauen Mäuse
Stanislawski hat danach Dinge gesagt, die eine Mannschaft nicht gerne hört. Er vermisse "die Gier nach Siegen", er verstehe nicht, warum das Samstagsspiel nicht der Höhepunkt der Woche für jeden Profi sei. Im Spiel sei alles "wie weggeblasen", was man vorher akribisch eingeübt und besprochen habe.
Anschließend fuhr das Team zur Auswärtspartie nach Hamburg, in Stanislawskis Stadt. Es ließ sich ohne große Gegenwehr 2:0 schlagen und fuhr anschließend wieder in den beschaulichen Kraichgau zurück.
Der Club steht in der Bundesliga-Tabelle mit seinen bisher erreichten 18 Punkten gar nicht einmal schlecht da. Im gesicherten Mittelfeld, auf Platz neun. Das ist die Zone der grauen Mäuse. Man kann sich nicht vorstellen, dass Stanislawski sich dort besonders gerne und lange aufhalten möchte.
Ausgestattet mit hervoragenden Spielern
Am Kader kann es nicht liegen, dass der Verein so stagniert, wie er es nach Spielweise und Ergebnissen derzeit tut. Im Team stehen feine Techniker wie der möglicherweise beste Freistoßschütze der gesamten Liga, Sejad Salihovic. Oder Roberto Firmino, der hochbegabte Brasilianer. Neben ihm kicken Sebastian Rudy, der mal als eines der größten Mittelfeldtalente in Deutschland galt, oder der elegante Ryan Babel, Stammkraft in der niederländischen Nationalmannschaft. Jeder Verein wäre froh, solche Spieler haben zu können.
Aber in Hoffenheim vereint sich dies einfach nicht zu einer Mannschaft, die signalisiert, ihr hohes Potential auch in Erfolge umsetzen zu wollen. Stattdessen herrscht Apathie. Die Spieler beteuern, es läge nicht an der Einstellung, alle wären gewillt, das Beste zu geben. Zu sehen ist das nicht.
Für Stanislawski muss dies unerträglich sein. Er hat beim FC St. Pauli jahrelang eine Mannschaft betreut, die nur von ihrem Einsatz gelebt hat. Mit spielerisch durchaus limitierten Profis wie dem wackeren Fabian Boll, der aber all seine Defizite durch unbändigen Kampf wettzumachen trachtete. Ein Einsatz, der die Truppe von letztlich zweitklassigen Kickern bis in die Bundesliga gebracht hat. Erst dort ließen sich irgendwann die Qualitätsunterschiede zu den Stars der Branche nicht mehr bemänteln.
Der Stanislawski-Effekt wirkt wie verpufft
Stanislawski hat diese Haltung über viele Jahre vorgelebt, und es war sein Auftrag, dies auch nach Hoffenheim zu transportieren. In das von der großen Mehrheit in Fußball-Deutschland ungeliebte Modell des Großsponsors Dietmar Hopp. Am Anfang schien dies auch zu funktionieren - die Profis sogen Stanislawskis Stil der zupackenden emotionalen Ansprache geradezu auf. Von dem glücklosen Vorgänger Marco Pezzaiuoli waren sie dies ebenso wenig gewohnt wie von dem distanzierten Ralf Rangnick, der die Hoffenheimer zuvor jahrelang trainiert hatte, bevor es zum Bruch mit Hopp kam.
Aber dieser Effekt ist wie verpufft. Stattdessen hat wieder die Lethargie Platz gegriffen, die in Hoffenheim schon seit zwei, drei Jahren dem Erfolg im Weg steht. Sie scheint stärker zu sein als alle Impulse, die der Trainer geben kann. Denn sie wohnt dem Verein inne - ein Club, der von seiner Herkunft her, so wie er gestrickt ist als Produkt eines Groß-Geldgebers, kein Eigenleben entwickelt hat. Das, was ein Verein benötigt, um Gefühle zu schaffen. Und Fußball braucht Emotionen.
Hoffenheim ist letztlich immer noch der Hopp-Club. Der Geldgeber hat im vergangenen Jahr viele Interviews gegeben, in denen er verkündete, wie sehr er sich die Unabhängigkeit des Vereins von seinem Geld und seiner Person wünscht. Die sogenannte Pfeifton-Affäre zu Saisonbeginn, als Auswärtsfans mittels einer technischen Anlage beschallt wurden, hat noch einmal überdeutlich gemacht, wie weit Hoffenheim von diesem Ziel in Wirklichkeit noch entfernt ist. Sie hat gezeigt, wie sehr Hopp den Verein tatsächlich noch als sein eigenes Kind betrachtet. Unrechtsbewusstsein war dem mächtigen Mann damals nicht zu entlocken. Er hat einfach nicht verstanden, warum sich so viele über die Beschallungsaktion empört haben. Es war doch nur zu seinem Besten.
Hoffenheim ist auch im vierten Bundesliga-Jahr ein Fremdkörper in der Liga. Es ist der Verein ohne Unterleib.