Barça unterliegt Bayern Das Ende eines Mythos

Der FC Barcelona geht nach dem Debakel von Lissabon einer ungewissen Zukunft entgegen. Die wohl spannendste Frage dreht sich um Lionel Messi.
Zukunft ungewiss: Lionel Messi und der FC Barcelona

Zukunft ungewiss: Lionel Messi und der FC Barcelona

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POOL / REUTERS

Kurz vor der Halbzeit verlor Lionel Messi im Dribbling mal wieder den Ball. Die Bayern zogen mit der Kugel weg. Ein paar Barça-Spieler liefen hinterher, um das nächste Tor zu verhindern. Messi machte keinen Schritt. Er blieb einfach stehen.

Es sind solche Szenen, die sie in Barcelona nie wahrhaben wollten. 0:3 in Turin 2017. 0:3 in Rom 2018. 0:4 in Liverpool 2019, und immer lautete die Schlussfolgerung: Messi braucht neue Mitspieler. Und wenn es dann trotzdem nicht besser wurde, hießen die Schlagzeilen: Nur Messi macht Barça noch Hoffnung. Auch vor diesem Spiel war das wieder überall zu lesen. Als ob es nicht um Fußball ginge, sondern um Bobfahren, wo ein paar nur anschieben müssen, damit es einer dann ins Ziel bringt.

2020 hieß es nun 2:8. Das wohl größte Debakel der Klubgeschichte. Und eine Lektion mit dem Vorschlaghammer: Wer stehen bleibt, hat auf höchstem Niveau keine Chance.

Bayern mit seinem Total Football demonstrierte den Unterschied eindrucksvoll. Es zeigte ein irrsinniges Offensiv-Pressing, jede Bewegung ging nach vorn. Auch Barça versuchte bisweilen auf diese Art zu pressen, es hat schließlich unter Pep Guardiola vor vielen Jahren mal das Copyright auf dieses Register erworben. Aber wenn nur acht von zehn Feldspielern - neben Messi streicht sich in der Regel auch sein Kumpel Luis Suárez – an kollektiven Unternehmungen mitwirken, dann verliert die älteste Mannschaft der Champions League (Durchschnittsalter der Startelf: 29,6 Jahre) eine offene Feldschlacht eben auf so demütigende Art und Weise.

Die spanischen Spitzenklubs haben den Anschluss an die neueste Temporevolution des Fußballs verpasst. Erstmals seit 13 Jahren steht kein La-Liga-Verein im Champions-League-Halbfinale. Aber von da bis zu einem 2:8 ist es doch noch mal ein weiter Weg. Die Zukunft des FC Barcelona nach dem Abend von Lissabon ist schwer vorherzusagen, nur soviel scheint klar: Kaum ein Stein wird auf dem anderen bleiben.

"Horrorspiel. Desaströses Gefühl. Schande ist das passende Wort": Das waren die ersten Vokabeln von Abwehrchef und Barça-Urgestein Gerard Piqué nach Spielschluss. Noch aussagekräftiger war, was der weit vor Präsident Bartomeu, Trainer Setién oder Kapitän Messi griffigste Redner des Klubs folgen ließ: "Dieses Team und dieser Verein brauchen tiefgreifende strukturelle Veränderungen. Wenn frisches Blut kommen muss, damit sich die Dynamik ändern kann, dann bin ich der Erste, der geht."

Fordert Veränderung: Gerard Piqué (rechts)

Fordert Veränderung: Gerard Piqué (rechts)

Foto: Rafael Marchante / AP

Niemand, der ihren prägenden Fußball genossen hat, konnte dieser Equipe ein solches Ende wünschen. Aber ihr Verfall wurde so lange ignoriert, dass ein Urteil in solcher Brutalität wohl nötig war. Am Freitag sah alle Welt die mitleiderregende Physis einer Mannschaft, um deren Trainingsniveau es schon lange nicht mehr gut bestellt ist. Jeder Coach, der an den Bequemlichkeiten etwas zu ändern versuchte, wurde schnell eingenordet. Abgesehen davon, dass auf der Bank auch zunehmend das Format eines Guardiola fehlte. Seit seinem Abgang 2012 gewann Barça nur einmal die Champions League, und vielleicht sollte man in diesem Moment auch noch mal an seine Begründung des Abschieds erinnern: "Wir hätten angefangen, einander weh zu tun."

Wenn nicht der Spieler, so müsste zumindest der Mythos Messi gehen

An die Stelle von innovativer Teamarbeit trat ein enthemmter Kult an Messi. Für viele ist er der beste Fußballer der Geschichte und kein Dauergast im Camp Nou könnte all die sagenhaften Momente zählen, die der kleine Argentinier ihm geschenkt hat. Doch seit gestern ist Messi auch der Kapitän der höchsten Europacup-Niederlage Barcelonas. 2:8, und er gehört mitten aufs Foto: Er ist der Kapitän dieser Mannschaft.

Vieles spricht dafür, dass Barça kein echter Neuanfang gelingen kann, ehe es sich nicht zum Königsmord aufrafft. Wenn nicht der Spieler, so müsste zumindest der Mythos Messi gehen. Sein rekordhoch-dotierter Vertrag – rund 100 Millionen Euro jährlich – läuft noch bis 2021. Inwieweit das Tabu Messi gebrochen wird, inwieweit er es womöglich selbst bricht, das ist die spannendste Frage der nächsten Tage.

Einsamer Abend: Das 2:8 dürfte Setién als Barcelona-Trainer kaum überstehen

Einsamer Abend: Das 2:8 dürfte Setién als Barcelona-Trainer kaum überstehen

Foto: Pool / Getty Images

Manches andere ist absehbar und dass Setién diesen Abend als Trainer nicht überstehen wird, die geringste Nachricht. Die katalanische Presse handelte in der Nacht den ehemaligen Tottenham-Trainer Mauricio Pochettino als Nachfolgefavoriten. Bei Barça geht der Blick aber immer auch auf das Präsidium, das in demokratischen Mitgliederwahlen bestimmt wird. Amtsinhaber Bartomeu ist nur noch "lame duck", sein Mandat läuft nächstes Jahr aus und er hat in den letzten Jahren auf sportlicher Ebene so viel Chaos gestiftet, dass Piqués Schrei nach strukturellen Veränderungen bedeuten würde, überhaupt erst mal wieder sinnvolle Strukturen und Verantwortlichkeiten zu schaffen.

Schon in einem Monat beginnt die nächste Saison

"Jetzt werden Entscheidungen getroffen, manche davon standen schon vor Lissabon fest, wir werden sie in den nächsten Tagen bekannt geben", erklärte Bartomeu in der Nacht. Einige seiner Rivalen forderten derweil vorgezogene Wahlen.

Doch ob bei Führungskräften oder Führungsspielern: die Covidkrise ist ein schwieriger Moment für einen Neustart. Schon in einem Monat beginnt die nächste Saison. Und nie war weniger Geld für einen Umbau der Mannschaft da.

Mit den Außenstürmern Pedri (17, Las Palmas) und Trincão (20, Braga) sind zwei Spieler schon verpflichtet, die zusammen mit hauseigenen Hoffnungsträgern wie Mittelfeldspieler Riqui Puig, 20, und Angreifer Ansu Fati, 17, eine neue Perspektive geben sollen. Profis wie Torwart Marc-André ter Stegen und Mittelfeldmann Frenkie de Jong kommen als künftige Leader in Frage. Sobald Bartomeu den Weg frei macht und sich der Klub beruhigt, steht das ehemalige Mittelfeldgenie Xavi als Trainer bereit.

Und dann gibt es auch noch Leute wie Antoine Griezmann, Ousmane Dembélé oder Philippe Coutinho. Profis, die jeweils über 100 Millionen Euro gekostet haben und nach kurzem Wiegen für zu leicht befunden wurden. Weil es bei Barça zuletzt eben immer das Verdienst der Alten und die Schuld der Neuen war.

Coutinho ist derzeit noch an den FC Bayern ausgeliehen. Auch dort ist er kein Stammspieler, weil andere besser sind, aber am Freitag war Coutinho trotzdem gut genug, in seinem Kurzeinsatz die Tore sieben und acht zu schießen. Es war die geradezu groteske Pointe einer Lehrstunde, über die das Barça-Mitglied Piqué sagte, ob als Spieler oder Fan: "Hoffentlich ist sie zu etwas nutze."

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