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Fotostrecke: Westfälische Exoten

Foto: Bongarts/Getty Images

Aufstiegskandidat Paderborn Das Leuchten der Provinz

Er wäre einer der größten Exoten in der Geschichte der Fußball-Bundesliga: Der SC Paderborn steht ganz dicht vor dem Erstliga-Aufstieg. Fußballnostalgiker rümpfen über den Klub die Nase. Daher wird es höchste Zeit für eine Ode an die Unterschätzten.

Ich habe 29 Jahre in dieser Stadt verbracht. Ich bin in Paderborn geboren, ich bin dort aufgewachsen, habe dort mein Abitur gemacht, meinen Sozialdienst abgeleistet. Ich habe gar noch in Paderborn studiert und dort meine ersten Jahre für die Zeitung gearbeitet.

29 Jahre sind eine lange Zeit, in Paderborn sind sie womöglich noch länger als anderswo. Der Fußball hat während all der Zeit in dieser Stadt keine Rolle gespielt.

Und jetzt steht der SC Paderborn 07 ganz ganz nah vor dem Aufstieg in die Bundesliga. Es ist eigentlich nicht zu glauben. Ich kann es jedenfalls nicht glauben.

So viel Rummel wie beim Strauß-Wahlkampf

Wenn der Klub es am Sonntag (15.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) tatsächlich schaffen sollte, und es fehlt dafür nur noch ein Heimsieg gegen den normalerweise nicht Angst und Schrecken verbreitenden VfR Aalen, dann sollen und wollen 15.000 Menschen vor dem Rathaus in Paderborn feiern. Ich erinnere mich eigentlich nur an einen Anlass, der mal 15.000 Leute auf den Paderborner Rathausplatz getrieben hat.

Das war, als 1980 Franz Josef Strauß im Bundestagswahlkampf angereist kam und ihm die Menschen im damals noch viel tiefschwärzeren Paderborn zujubelten. Strauß rief in Richtung seines SPD-Gegners Helmut Schmidt aus: "Lasst ihn doch segeln, den Mann. Aber nicht regieren." Die Masse frohlockte, und ich versteckte meinen Stoppt-Strauß-Aufkleber verschämt im Innenfutter meiner Popelinejacke.

Mein Vater nahm mich in den Siebzigerjahren mit zu dem Klub, der damals noch 1. FC Paderborn hieß. Gespielt wurde in der Paderkampfbahn, nebenan hatte die Stadt ihr Hallenschwimmbad gebaut, das hier etwas hochtrabend Schwimmoper heißt und von dem man einen unverbauten und kostengünstigen Blick auf den Fußballplatz hatte.

Beeindruckend ostwestfälische Namen

Die Spieler der damaligen Zeit trugen beeindruckend ostwestfälische Namen wie Hermann Rodehutskors, Alois Fordkordt und Theo Huschen. Mir war der unvergleichlich lässige Werner "Johnny" Brosda ans Herz gewachsen, ein Stürmer, bei dem ich immer darauf wartete, dass er sich vor lauter Coolness noch auf dem Platz die erste Kippe anzündet.

Die Mannschaft schaffte es sogar mal in ein Entscheidungsspiel um den Aufstieg in die 2. Liga. Gegner war Holstein Kiel, und in Paderborn herrschte eine Woche lang so etwas wie aufgeregte Fußballstimmung. Natürlich siegte am Ende Kiel, und es hat bis zum "Tatort" mit Axel Milberg gedauert, bis ich mich mit Schleswig-Holstein und seiner Hauptstadt wieder etwas angefreundet habe.

Tatsächlich spielte Paderborn in den Achtzigerjahren dann mal zweitklassig, aber das war der TuS Schloss Neuhaus, das war Vorstadt, da mochte Hermann Hummels, der Vater des heutigen Nationalspielers, kicken, das war egal. Als Paderborner ging man stattdessen zum Volleyball, das war wirklich 1. Bundesliga, auch Basketball war zwischenzeitlich groß in Mode. Wer Fußballfan war, fuhr am Wochenende die B1 hinunter nach Dortmund und pflegte ansonsten seine Abneigung gegen den bösen Nachbarn Arminia Bielefeld.

Dabei haben über die Jahre tolle Spieler in Paderborn ihre Karriere begonnen: Thomas von Heesen, Martin Driller, Christian Schreier, später Patrick Owomoyela. Aber am typischsten für Paderborner Fußball war für mich immer Günter Kutowski, der Junge aus Sande, der später bei Borussia Dortmund die echte Liebe der Fans gewann. So, wie er das machte, wurde bei uns Fußball "gespielt": Kutowski, einer der ganz großen Grätscher und Bolzer der Bundesliga. Bleib mir bloß weg mit Technik. Genauer: wech statt weg.

In Paderborn kennt man sich

Und jetzt ist dieser Verein, dieser künstliche Zusammenschluss aus dem 1. FC Paderborn und dem TuS Schloss Neuhaus, plötzlich ein Aufstiegskandidat, professionell und kontinuierlich nach oben geführt mit dem Geld des Möbel-Mittelständlers Wilfried Finke, dem sportlichen Sachverstand des Trainers André Breitenreiter und im Hintergrund geleitet von Manager Michael Born und Geschäftsführer Martin Hornberger, mit dem ich noch an der Uni war. Der Pressesprecher war bei mir auf der Schule. In Paderborn kennt man sich. Und der Karriere schadet das zumeist nicht.

Die Medien haben sich in ihrer Berichterstattung auf ein Plakat gestürzt, auf dem ein Fan gebeten hat: "Bitte keine Relegation. Wir haben Schützenfest." Der Spruch wird jetzt bei jeder Gelegenheit zitiert, als Beleg für die beinahe rührende Provinzialität der Region. Und als Futter für die Debatte, dass die Bundesliga einen solchen Klub und eine solche Stadt wirklich nicht brauche. Eine Debatte, die mich, der ich meine Vorliebe längst und unwiderruflich an einen anderen Verein vergeben habe, zum späten Paderborn-Fan werden lässt.

Mainz, Freiburg, die waren auch mal Paderborn, als sie aufstiegen. Wahrscheinlich war sogar Borussia Mönchengladbach, bevor der Klub in der Bundesliga groß wurde, Paderborn. Wer durch die Gladbacher Fußgängerzone läuft, könnte denken, dass sich daran auch nicht viel geändert hat.

Natürlich ist Paderborn Provinz, manchmal sogar tiefste, furchtbarste. So wie Kaiserslautern, Gelsenkirchen oder Wolfsburg auch. Manchmal sogar Berlin, und in ganz seltenen Augenblicken vielleicht sogar München. Aber es ist die Stadt, aus der ich komme. Und von daher kann ich wohl nicht umhin, dem SC Paderborn zu wünschen, dass er den Aufstieg in die Bundesliga schafft. Für das Schützenfest werden dann im kommenden Jahr mutmaßlich Bayern München und Borussia Dortmund sorgen.

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