25 Jahre Einwurf-Tor Die Hand Reinders
Uli Hoeneß dachte eigentlich, er habe einen guten Job gemacht. Endlich, so schien es, war es dem Bayern-Manager gelungen, diese ärgerliche Lücke zu schließen, die Torwart-Legende Sepp Maier gerissen hatte, als er mit Ende der Spielzeit 1978/79 nach 442 Bundesliga-Spielen ohne Unterbrechung das Bayern-Tor verließ und seine Karriere beendete.
Die Nachfolger Walter Junghans und Manfred Müller vermochten nicht zu überzeugen, geschweige denn die "Katze von Anzing" zu ersetzen. Mehr noch: Vor allem Junghans' mitunter haarsträubende Abwehraktionen und ungewollte Slapstick-Einlagen im Strafraum hatten den Rest der Liga ein ums andere Mal über den FC Bayern schmunzeln lassen und Hoeneß die Zornesröte ins Gesicht getrieben. Doch damit sollte jetzt Schluss sein.
Dem Manager war es gelungen, den belgischen Nationalkeeper Jean-Marie Pfaff vom SK Beveren an die Isar zu locken. Der 28-jährige Lockenkopf kam mit den besten Empfehlungen. Experten rühmten einerseits bewundernd seine blitzschnellen Reflexe auf der Linie, andererseits seine Ruhe und Souveränität bei der Strafraumbeherrschung, gepaart mit enormer Sprungkraft und fußballerischen Qualitäten. Pfaff hatte maßgeblichen Anteil am Finaleinzug Belgiens bei der EM 1980 und spielte danach auch eine herausragende WM 1982 in Spanien.
An Erfahrung mangelt es dem neuen Bayern-Schlussmann also nicht, als er am 21. August 1982 zu seinem ersten Bundesliga-Spiel antritt. Für die Bayern geht es an diesem sonnigen Samstag zum starken Uefa-Cup-Teilnehmer SV Werder. Das Bremer Weserstadion ist ausverkauft. Die 35.000 erleben zunächst einen wenig aufregenden Saisonstart. Beide Teams sind zwar engagiert, doch vor den Toren ereignet sich wenig. Bis zur 44. Minute: Werder erhält auf der linken Seite einen Einwurf zugesprochen. Eine harmlose Standardsituation. Torentfernung etwa 35 Meter.
Bremens Angreifer Uwe Reinders schnappt sich die Kugel. Er wirkt in seinen Vorbereitungen so gar nicht wie ein Fußballer. Seine Körpersprache, die Art, wie er sein Arbeitsgerät locker in seiner riesigen rechten Hand hält, erinnert eher an einen Kugelstoßer oder Diskuswerfer, sein langer Anlauf von der Werbebande bis ganz an die Seitenauslinie eher an den eines Hoch- oder Weitspringers. Und auf die perfekte Bogenspannung und das katapultartige Vorschnellen des Oberkörpers beim Abwurf wäre manch Volleyballer neidisch.
Fausten oder Fangen?
Die Bayern-Verteidiger wissen, was kommt. Reinders weite Einwürfe sind berüchtigt. Jean-Marie Pfaff hat man davon aber offenbar nichts erzählt. Der Ball segelt in hohem Bogen in Richtung Bayern-Tor. Pfaff ist überrascht und deshalb etwas spät dran, als er sich in die Spielertraube mit Bremens Verteidiger Norbert Siegmann und Mitspieler Klaus Augenthaler stürzt, um die Situation zu bereinigen.
Fausten oder Fangen? Nichts von beidem gelingt. Pfaff berührt den Ball nur ganz leicht mit den Fingerspitzen und gibt ihm so neues Tempo, eine andere Richtung und einen eigentümlichen Effet. Zwar erkennt der Torwart diese neue Situation schnell, jedoch zu spät, um den Ball noch aufzuhalten. Hilflos dreht er sich um die eigene Achse und krabbelt dem Leder hinterher. Auch die artistische Einlage von Wolfgang Grobe, der bedrängt von Rudi Völler noch versucht, den Ball von der Linie zu kratzen, misslingt.
1:0 für Werder - gleichzeitig der Endstand - durch einen Einwurf! Sportschau und Sportstudio wiederholen die Szene immer wieder, Zeitungen drucken verschiedenste Fotos und sezieren die Aktion regelrecht. Tenor: Pfaff ist der Depp. Schon wieder lacht ganz Deutschland über einen Bayern-Torwart. Das Problem: Hätte Pfaff den Ball nicht berührt und einfach durchgelassen, wäre das Spiel mit Abstoß fortgesetzt worden. Die offiziellen Fußball-Regeln sind in Punkt 15 eindeutig: "Der Einwurf ist eine Spielfortsetzung. Aus einem Einwurf kann ein Tor nicht direkt erzielt werden."
Ein weiterer kurioser Fall trug sich vor knapp fünf Jahren in der englischen Premier League zu: Am 16. September 2002 warf Aston Villas schwedischer Abwehrrecke Olof Mellberg im Derby gegen Birmingham City einen Einwurf zu seinem finnischen Keeper Peter Enckelman zurück. Doch der trat in so bedauernswerter Motorik über den Ball, dass dieser ungebremst und aufreizend langsam zum 2:0 über die Linie ins Tor trudelte. City siegte am Ende klar mit 3:0.
Nicht nur die Medien spotteten am nächsten Tag über dieses Missgeschick, auch ein Fan stieg sofort nach dem Eigentor über die Bande aufs Spielfeld und lachte Enckelman aus. Der Torwart selbst gab später an, dass das Tor wohl irregulär sei, da er den Ball gar nicht berührt habe. Ein Villa-Fan merkte dazu treffend an: "Enckelman hat sich mit seiner Reaktion selbst belastet. Wer sich enttäuscht an den Kopf fasst, muss sich nicht wundern, wenn der Referee auf Tor entscheidet. Man sollte erwarten, dass ein Profi-Fußballer die Regeln beherrscht." Und die hätten in diesem Fall bei fehlender Berührung vorgesehen, dass es Eckball gegeben hätte.