50 Jahre Fußball der Frauen beim DFB "Die guten Trainer waren bei den Männern – das ist noch heute so"

Gegen alle Widerstände: Frauenfußball beim FC Bayern München
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Die Herren sorgten sich um "das weibliche Wohl und die Aufrechterhaltung der Moral". Deshalb verbot der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in Berlin am 30. Juli 1955 auf einem Bundestag den Fußball der Frauen. "Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand", hieß es in der Entscheidung.
15 Jahre lang hielt der DFB das offizielle Verbot aufrecht. Die Frauen spielten trotzdem. Erst als in Westdeutschland die circa 50.000 aktiven Fußballerinnen damit drohten, einen eigenen Verband zu gründen, hob der DFB den Bann am 31. Oktober 1970 auf. Von Gleichberechtigung war damals dennoch keine Rede: Stollenschuhe waren untersagt, die Bälle waren kleiner, die Spielzeit zunächst lediglich 60 Minuten und erst ab 1993 90 Minuten. Die Frauen seien schließlich das schwächere Geschlecht, hieß es vom DFB.
50 Jahre ist die Aufnahme in den DFB her. Seitdem hat sich einiges getan. Aber um zu verstehen, was den Frauenfußball in Deutschland geprägt hat, muss man in seine Geschichte schauen: Wie entwickelte er sich in Westdeutschland? Wie in der DDR? War es Frauen in der BRD lange verboten zu spielen, gab es für die ostdeutschen Spielerinnen mehr Freiheiten - aber trotzdem kaum Förderung.
Silvia Neid und Sabine Seidel, zwei der größten Stars aus West und Ost, erinnern sich.

Fußball illegal: "Unziemliches Verhalten"
Bereits im Alter von elf Jahren spielte Silvia Neid neben erwachsenen Frauen, weil es nicht genügend Spielerinnen in ihrem Alter gab. Machohafte Sprüche neben dem Platz musste sich die Offensivspielerin, die später ihre Generation prägen sollte, früh anhören. Zuschauer kamen anfangs nur für einen erhofften Trikotausch ins Stadion, erzählt die spätere Bundestrainerin dem SPIEGEL. Geld konnte die mittlerweile 56-Jährige in der frühen Phase ihrer Karriere nicht mit dem Fußball verdienen.
Das änderte sich erst mit dem Einstieg des Blumengroßhändlers Gerhard Neuser beim TSV Siegen. Er bot ambitionierten Spielerinnen finanzielle Vergütungen und vermittelte Arbeitsstellen und Wohnräume in der südwestfälischen Provinz. Davon ließ sich 1985 auch die damals 21-jährige Neid überzeugen. Die gelernte Fleischerei-Fachverkäuferin erhielt 600 D-Mark und fuhr dafür 30 Stunden in der Woche Tulpen, Rosen und Orchideen durchs Siegerland. "Ich wollte unbedingt zu den besten Spielerinnen in Deutschland gehören. Die Arbeitsstelle war mir dann egal", sagt Neid, die bis 1996 mit der TSV insgesamt sechs Meistertitel und fünf Pokalsiege gewinnt.

Silvia Neid (links) schoss in 111 Länderspielen 48 Tore
Foto: via www.imago-images.de / imago images/Thomas ZimmermannDer erste deutsche EM-Titel 1989 war für die 111-fache Nationalspielerin der Durchbruch im Kampf um mehr Anerkennung. Auch wenn es als Prämie nur das legendäre Kaffeeservice vom Verband gab. Beim 4:1-Finalerfolg gegen Norwegen war das Stadion in Osnabrück ausverkauft, das Fernsehen übertrug live. Ein Jahr nach dem Triumph im eigenen Land, der der Männer-Nationalmannschaft ein Jahr zuvor verwehrt geblieben war, gründete der DFB die Bundesliga der Frauen.
Neid merkte bereits zur aktiven Zeit, dass jeder dieser Erfolge den Frauen ein Stückchen mehr Respekt einbrachte: "Die Hotels wurden besser, die Sponsoren wurden mehr, die Stadien voller und die Menschen hinter dem Team größer", sagt Neid im Rückblick: "Wir mussten wieder und wieder gewinnen, damit der Frauenfußball in aller Munde blieb."

Silvia Neid als Bundestrainerin bei der Heim-WM 2011
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In Ostdeutschland war Fußball für Frauen zwar nie verboten – allerdings wurde er in der DDR auch nicht sonderlich gefördert. Denn in der Sportgroßmacht zählten vor allem olympische Medaillen. "Am Anfang haben wir lediglich trainiert oder gegen Handballmannschaften gespielt. Einige Frauen haben am Spielfeldrand geraucht oder ein Bier getrunken - dafür habe ich mich geschämt", erinnert sich Sabine Seidel im Gespräch mit dem SPIEGEL. "Der Trainer erzählte uns etwas von Brasilien, und wir sollten das nachmachen. Die guten Trainer waren bei den Männern - das ist noch heute so."
Nummern wurden selbst eingenäht
Die gebürtige Dresdnerin entwickelte ihre athletische Spielweise in ihrer Jugend als Leichtathletin und Turnerin, ehe sie 1979 bei der BSG Turbine Potsdam anheuerte. Bis dahin hatte es in der DDR keine reguläre Meisterschaft im Frauenfußball gegeben. Seidel war die Erfolgsgarantin für Potsdam, Turbine gewann fünf Mal die landesweite "Bestenermittlung" - auch dank Seidel. Geld gab es keins - die Leidenschaft für den Sport stand im Vordergrund.
Der Fußball der Frauen wurde nie als Leistungssport angesehen, sondern gehörte zum Freizeit- und Erholungssport. Das bekamen die Turbinen schnell zu spüren. So schaffte es Trainer Bernd Schröder zwar, seinen Spielerinnen Trikots zu organisieren, allerdings mussten sie Nummern und Embleme selbst annähen. Auch bei den Spielen selbst fehlte es an Professionalität, sodass Linienrichter oder Schiedsrichter manchmal gar nicht auftauchten: "Je eindeutiger der Spielstand für uns wurde, desto weniger haben sich die Schiedsrichter um ihre Tätigkeiten gekümmert. Wir würden ja sowieso schon führen", erzählt Seidel heute.
Mit dem Fall der Mauer scheiterten viele Vereine an den marktwirtschaftlichen Bedingungen im Sport der BRD. Betriebe, die bislang die notwendigen Mittel bereitgestellt hatten, kämpften ums Überleben. Leistungsträgerinnen wechselten zu Westvereinen. Den umgekehrten Weg ging hingegen keine Spielerin. Seidel, zu dem Zeitpunkt Staffelleiterin der Oberliga Nordost, saß mit den DFB-Vertretern am Verhandlungstisch, als es darum ging, den deutsch-deutschen Fußball der Frauen zusammenzuführen.
Diskutiert wurde über eine Frage: Wie viele Mannschaften aus der ehemaligen DDR würden zur Saison 1991/1992 in die Bundesliga aufsteigen?

Ein Leben dem Fußball: Sabine Seidel begleitete bis 2019 als Zeugwartin die weiblichen U19- und U20-Nationalmannschaften
Foto: Maja Hitij / Bongarts/Getty Images"Bernd Schröders Vorschlag war, vier Mannschaften zu integrieren. Doch das war von unserem Leistungsniveau, wie man später sah, eine utopische Vorstellung. Wir einigten uns deshalb darauf, erst mal nur zwei aufsteigen zu lassen", erinnert sich Seidel. Der USV Jena und Wismut Aue stiegen in die Bundesliga auf - und nach einer Saison wieder ab.
Erst 1994 schaffte es wieder eine Mannschaft aus den fünf neuen Bundesländern nach ganz oben: Turbine Potsdam, der spätere Serienmeister. 1999 verselbstständigten sich die Fußballerinnen zum 1. FFC Turbine.
Zu diesem Zeitpunkt war die Erfolgsgeschichte des TSV Siegen, der in den Achtzigerjahren in Westdeutschland eine Ära geprägt hatte, vorbei. Da die Vereine damals sehr abhängig von einzelnen Personen waren, ging die Blütezeit des TSV nach dem Abgang vom einstigen Allesmacher Neuser zu Ende. Der Klub geriet in große finanzielle Schwierigkeiten und verschwand 2001.
Sabine Seidel
Auch 30 Jahre nach Gründung der Bundesliga der Frauen und anschließender Vereinigung des Ligabetriebs in Ost und West bleibt das Verhältnis unausgeglichen. Von zwölf Mannschaften ist Turbine als einziger Verein aus dem Osten übrig geblieben und kämpft aktuell darum, den Anschluss an die Topvereine wie den VfL Wolfsburg, Bayern München und auch die TSG Hoffenheim nicht zu verlieren.
"Die Nachwuchsförderung beginnt im Ehrenamt. Viel mehr Frauen müssten sich für ihre eigene Sache einsetzen. Denn als Frau musst du immer mehr machen, um erfolgreich zu sein", sagt Seidel, die heute Trainerin für Brandenburgs U12-Landesauswahl ist. Während in den Nordost-Verbänden etwas mehr als 21.000 Mädchen bis 16 Jahren organisiert im DFB spielen , gibt es allein in den drei Westverbänden (Mittelrhein, Niederrhein, Westfalen) über 100.000. Die Bevölkerungsdichte ist dort höher, aber Seidel sieht im Osten grundsätzlich ein Nachwuchsproblem.
Auch der Aufschwung, den die Fußball-WM im eigenen Land 2011 ausgelöst hatte, ist vorüber. Die Zuschauerzahlen in den Stadien lagen vor der Corona-Pandemie im Durchschnitt unter 1000. Eine nachhaltige Entwicklung erhofft sich der DFB nun von der Ausrichtung der WM 2027 gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden.
Silvia Neid, die an acht Titeln des DFB beteiligt war, ist das Gesicht der WM-Kampagne des DFB.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Textfassung hieß es, der Bundestag habe dem DFB den Fußball der Frauen verboten. Gemeint war, dass der DFB das Verbot auf seinem Bundestag beschlossen hatte. Zudem hieß es, dass die Spielzeit bis 1993 lediglich 60 Minuten gedauert habe. Sie war allerdings schon vor 1993 auf 80 Minuten erhöht worden.