Ajax-Stürmer Huntelaar Der Lausbub trifft sogar im Sitzen
Melkboerenhondenhaar. So nennt man in den Niederlanden Haare von undefinierbarer Farbe: Milchmännerhundehaare. Lausbuben vom Land tragen sie häufig und gewiss auch Klaas-Jan Huntelaar. Aber dieses Wort verrät mehr als die Haarfarbe. Es erzählt vom Toben im Lehm mit geröteten Wangen, und abends bringt die Mutter einen großen Topf "Hutspot" auf den Tisch, das traditionelle niederländische Gericht, einen Eintopf aus Kartoffeln, Zwiebeln und verschiedenem Wurzelgemüse.
Der 23-jährige Stürmer von Ajax Amsterdam wuchs in Hummelo auf, 15 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, in einer Welt von Rüben, Kartoffeln, Kühen und Schweinen. Seine Eltern freilich sind nicht in der Landwirtschaft tätig - der Vater ist Lehrer, die Mutter Hebamme. Dennoch hat ihn die ländliche Heimat geprägt.
Als er Anfang 2006 für neun Millionen Euro von Heerenveen zu Ajax wechselte, fiel ihm sofort auf: "Es war da so ruhig, irgendwie ein braver Haufen." Kaum dörfliche Fröhlichkeit also. Huntelaar hatte das Fußballspielen bei H&K Hummelo gelernt, für ihn der "geselligste Fußballverein der Niederlande" - wo die dritte Halbzeit am längsten dauerte und er "hin und wieder kräftig mitsoff". Sonntagnachmittags stand er als Fan des lokalen Proficlubs De Graafschap auf der Tribüne, das alles ist noch nicht allzu lange her.
In der Welt von Klaas-Jan Huntelaar spielen Superlative eine ebenso große Rolle wie die fleischgewordene niederländische Nüchternheit, die er wie kein anderer repräsentiert. Die vergangene Saison war seine beste. Er spielte vor der Winterpause für den SC Heerenveen und danach für Ajax. In 46 Pflichtspielen machte er 43 Tore. Ob es nun in der niederländischen Ehrendivision war, Pokal, Uefa-Cup oder Champions League: Huntelaar traf aus allen möglichen Positionen. Mit dem Kopf, einem Volley, einem Lupfer, einem Schlenzer, einem Abstauber, einem Fallrückzieher, aus Frei- oder Strafstößen und sogar sitzend, mit links und mit rechts. "Wie machst du ein Tor?" "Ecke aussuchen und so gut schießen, dass der Torwart nicht rankommt." "Zweifelst du manchmal?" "Ich habe noch nie gezweifelt."
Sein schönster Treffer glückte Huntelaar im Halbfinale des Pokalspiels gegen Roda Kerkrade. In der Nachspielzeit setzte er zwischen fünf Verteidigern einen Fallrückzieher zum Ausgleich in die Maschen. Noch berühmter wurde er mit dem Gesichtsausdruck, den eine Fernsehkamera eine Minute später festhielt. Huntelaar steht am Mittelkreis, noch ganz versonnen. Sein Kopf ist groß im Bild, er beugt sich ein wenig vor und spuckt auf den Boden. Dann zieht er eine Augenbraue hoch und berührt mit der Zungenspitze seine Oberlippe. Lächelnd schaut er an der Kamera vorbei zu einem Mitspieler und zwinkert mit dem Auge. Die Botschaft: "Hast du es gesehen? Ich habe es wieder gedeichselt. Und ich werde es immer deichseln." Alle hatten es gesehen.
"The Hunter" war die schönste Blume der Fußballnation und sollte letzten WM-Sommer auch in Deutschland blühen. Der Mann, der ihn schließlich stoppte, war kein Verteidiger, sondern einst Stürmer: Bondscoach Marco van Basten. Der entschied sich für die Mittelstürmer Ruud van Nistelrooy, Dirk Kuyt und Jan Vennegoor of Hesselink. "San Marco", einer der beliebtesten Niederländer, löste damit einen Sturm der Entrüstung aus. Eine Debatte war die Folge, in der van Bastens Fußballkenntnis zum ersten Mal ernsthaft in Zweifel gezogen wurde. "Kein Weltmeister", schlussfolgerten viele Niederländer frustriert. Und das nicht nach, sondern vor der WM.
Huntelaar spielte im Sommer 2006 bei der U21-EM. Die Niederlande gewannen, zum ersten Mal in der Geschichte. Torschützenkönig (wie schon in der Ehrendivision) wurde natürlich Huntelaar. Seitdem ist er auch beim großen Oranje-Team Stürmer. In seinem ersten Länderspiel gegen Irland schoss er gleich zwei Tore, ein weiteres wurde wegen Abseits zu Unrecht verweigert. Dafür lieferte Huntelaar die Vorlagen für die anderen beiden Treffer.
Van Basten ist nicht der erste Trainer, der es wagte, Huntelaar zu unterschätzen. Mit 16 Jahren unterschrieb dieser seinen ersten Profivertrag bei PSV. Nach eineinhalb Jahren und nur 15 Spielminuten in der ersten Mannschaft reichte es ihm in Eindhoven. Startrainer Guus Hiddink fand ihn nicht gut genug. "Er sagte, dass ich ein wenig schüchtern sei", so Huntelaar rückblickend, "aber das bin ich echt nicht. Nur laufe ich als Junge von 18 Jahren auch nicht einfach so zu Hiddink, um mit ihm ein Schwätzchen zu halten." Guus Hiddinks letztes Spiel als PSV-Trainer war das Pokalfinale gegen Ajax im Mai vergangenen Jahres. Amsterdam gewann 2:1. Fast logisch, wer beide Tore für Ajax erzielte.