
Schiedsrichter im Amateurfußball: Unbeliebt und unverzichtbar
Aggression auf dem Platz Amateurfußball gehen die Schiris aus
Es läuft die zweite Minute im Kreisoberliga-Spiel zwischen dem TSV Sachsenhausen und der FSG Buchenberg/Ederbringhausen. Ein harmloser Zweikampf im Strafraum, der Stürmer fällt, Schiedsrichter Matthias Henkelmann pfeift. "Noch während ich die Pfeife im Mund hatte, dachte ich: 'Junge, bist du eigentlich bescheuert?!'" Henkelmann bemerkte, dass er eine Fehlentscheidung getroffen hatte. Zum Glück sei der Strafstoß danebengegangen, "das hätten noch schöne 88 Minuten werden können".
Henkelmann ist Obmann der Schiedsrichtervereinigung Waldeck, einer kleinen Region in Nordhessen. Gelegentlich leitet er selber Spiele und weiß: So glimpflich wie in Sachsenhausen gehen Konflikte auf dem Platz nicht immer aus. Beleidigungen und Pöbeleien, das zeigen die vergangenen Monate, sind in den unteren Ligen stark angestiegen, auf dem Platz und daneben. In Waldeck seien es meistens Zuschauer, die ihrem Ärger Luft machen, so Henkelmann. "Draußen stehen immer wieder Leute, für die das Aggressionsabbau ist." Ob das die Unparteiischen beeinflusst? "Ja sicher. Es wäre ja unredlich, wenn ich sagen würde, das macht mir nichts aus", gibt er zu.
Die neue Aggression im Amateurbereich hat dramatische Folgen, die in der öffentlichen Diskussion selten auftauchen, aber die Tausende Vereine aus eigener Erfahrung kennen: Sie erschwert die Bindung neuer Schiedsrichter und schreckt Bewerber ab. "Pro Lehrgang bleiben uns langfristig vielleicht 20 Prozent", sagt Henkelmann. Ein Problem, das man in ganz Deutschland beobachten kann: Die Zahl der Neulinge steigt, doch die Gesamtzahl sinkt. Immer mehr Gewalt, immer weniger Schiedsrichter: ein Teufelskreis. Dabei sind gerade sie es, die für die Vereine immer wichtiger werden.
"Das ist der Fluch dieses Drucks"
Im Hessischen Fußballverband waren zum Jahresbeginn 6.455 Schiedsrichter gemeldet. Bei 12.277 Mannschaften sind das 0,53 pro Team. Der Verband schreibt die Regel vor, dass jeder Verein und jede Spielgemeinschaft pro Seniorenteam und Jugendabteilung jeweils einen Unparteiischen stellen muss. Schafft er das nicht, wird sanktioniert. Punktabzüge und Strafgelder sind die Folge.
"Man nimmt die Vereine in die Pflicht", erklärt Schiri-Obmann Henkelmann diese Regelung, die aber weitere Probleme mit sich bringt. "Die Vereine sind dadurch gezwungen, uns Schiedsrichter zu bringen. Da ist es ihnen völlig egal, wen sie bei uns anmelden", kritisiert er und begründet auch damit die auffällig hohe Aufhörerquote. "Das ist der Fluch dieses Drucks, der auf den Vereinen lastet."
In der Region Waldeck gibt es derzeit 121 Unparteiische, etwa 40 fehlen der Vereinigung. "Diese Zahl schwankt, aber wir hatten lange nicht weniger als 40 oder mehr als 50", so Henkelmann.

Schiedsrichter im Amateurfußball: Unbeliebt und unverzichtbar
1. Fall: SG Edertal, Kreisliga A Waldeck, Schiedsrichter aktuell: 4
Die SG Edertal ist eine Spielgemeinschaft der Region, und ihr Beispiel zeigt, welche dramatischen Folgen der Schiedsrichtermangel auch sportlich haben kann. Ihrer ersten Mannschaft fehlten in der Vorsaison zwei Punkte zum Aufstieg, drei Zähler waren aufgrund der fehlenden Referees abgezogen worden. Dieses Jahr droht eine ähnliche Situation. Wieder fehlen drei Schiedsrichter, wieder wurden drei Punkte abgezogen. "Die Spieler sehen ja selbst, wo das hinführt. Da kann von denen auch was kommen. Das ärgert mich mehr als der verpasste Aufstieg", sagt Obmann Markus Straßer. Immerhin: Drei Spieler haben sich mittlerweile zu Schiedsrichtern ausbilden lassen. Im nächsten Jahr ist zumindest das Meldesoll erfüllt.
Schmerzhaft sind auch die vielen Geldstrafen. Seit Gründung der Vereinigung im Jahr 2002 hat die SG Edertal schon 4500 Euro Strafe wegen zu weniger Schiedsrichter bezahlen müssen. Insgesamt wurden in der Zeit zwölf Punkte abgezogen.
Das soll sich ändern, zumindest bemüht sich der Vorstand darum. "Wir fragen viel und bohren bei den Leuten nach. Das ist wie die Gewinnung von neuen Spielern. Aber besser ist es, die Leute kommen von sich aus zu uns", so Straßer. Denn wozu das führen kann, weiß er selber noch sehr gut. "In einem Fall hatten wir einen Schiedsrichter, der hat uns am Ende mehr gekostet als die Strafe, die wir ohne ihn hätten zahlen müssen", erzählt er.
Erfüllt ein gemeldeter Schiedsrichter das Soll von zwölf Spielen und den Pflichtsitzungen nicht, so wird er übrigens als nicht gemeldet gezählt. Die Strafe für die Vereine wird trotzdem fällig. Daher versucht der Vorstand, Schiedsrichter nicht nur zu locken, sondern auch zu binden. "Wir bezahlen den Sprit für die Fahrten zum Lehrgang, wir stellen die Ausrüstung und die Strafen zahlen wir weiter, nur eben am Ende der Saison an unsere Leute, als Dankeschön dafür, dass sie das Soll für uns erfüllt haben", so Straßer. Vier neue Schiedsrichter hat die SG Edertal nun. Leiten alle in diesem Jahr mindestens zwölf Spiele und erscheinen zu den Pflichtsitzungen, wäre die Spielgemeinschaft strafenfrei. Das gab es in den vergangenen elf Jahren erst ein Mal.
Lesen Sie im zweiten Teil, wie es ein Hamburger Kreisligist geschafft hat, strafenfrei zu bleiben - und warum er doch ein großes Problem hat.
2. Fall: SC Wentorf, Kreisliga 3 Hamburg, Schiedsrichter aktuell: 22
In Hamburg ist die Situation eine andere: 3.660 Schiedsrichter gibt es. Aufgeteilt auf 3.199 Mannschaften sind das 1,14 Unparteiische pro Team. Alles gut also? Beim SC Wentorf war das lange Zeit anders. "Bis 2007 war es so, dass wir Strafen im vierstelligen Bereich bezahlt haben, weil Schiedsrichter fehlten", erinnert sich Schiedsrichterobmann Jorrit Eckstein-Staben. Allein in der Saison 2006/2007 waren es 2000 Euro.
Dann sei sein Vorgänger gezielt in die Jugendmannschaften gegangen und habe für das Schiedsrichterhobby geworben. "Er hatte durch seine menschenfreundliche und offene Art einen guten Draht zu den Jugendlichen. Argumente wie der kostenlose Besuch von Bundesliga-Spielen, Persönlichkeitsbildung und ein Eintrag im Lebenslauf kamen dann dazu. Einige habe den Sprung in den Leistungsbereich geschafft, das hat andere motiviert", so Eckstein-Staben. Außerdem stellte der Verein die Hälfte der Strafen als Etat zur Verfügung. Die Abteilung bezahlte davon Ausrüstungen und verteilt kleine Handgelder. "Die Jugendlichen bekommen von uns alles, was sie für ihr Hobby brauchen", sagt der Obmann.
Doch auch beim SC Wentorf bleibt das Problem, die Schiedsrichter langfristig zu binden. Jede Saison hören wieder welche auf, mal kommen mehr nach, mal weniger. "Wir arbeiten daran und entwickeln ein Konzept, denn Bedarf besteht immer", erklärt Eckstein-Staben. Die Konzepte greifen, seit drei Jahren ist der SC strafenfrei, lediglich 65 Euro Nichtantrittsstrafe musste der Verein in dieser Saison zahlen. Aktuell hat er 22 Unparteiische.
Auch die Verbände sind darum bemüht, die Vereine bei der Bindung neuer Schiedsrichter zu unterstützen. "Schiedsrichter aber auch Trainer werden in ihrer Ausbildung geschult. Gewaltprävention ist ein Thema. Außerdem gibt es ein Patenprojekt für Neulinge, die durch erfahrene Begleiter unterstützt werden", erklärt Carsten Byernetzki, Pressesprecher vom Hamburger Fußball-Verband und ehemaliger Profi-Schiedsrichter. "Die Zuschauer sehen den Schiedsrichter als eine von Woche zu Woche wechselnde Person, so behandeln sie ihn, und so muss er sich gegenüber den Leuten auch fühlen", erklärt er.
Nachwuchsprobleme gibt es nicht, das belegen auch die Zahlen. Neulinge gibt es genug, doch die Gesamtzahl sinkt. "Die Leute hören einfach zu früh wieder auf", beklagt Henkelmann. Letztendlich sind es die Vereine, die darunter leiden, doch oft sind es auch deren Zuschauer, die überhaupt erst dafür sorgen, denn: "Schiedsrichter zu sein, war und ist für mich immer noch etwas Tolles", sagt Byernetzki. "Ich mache das seit über 25 Jahren und habe immer noch einen Affenspaß dabei", so Henkelmann. Seinetwegen zahlt sein Verein keine Strafen.