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André Schürrle: Durchbruch unter Tuchel

Foto: Christof Koepsel/ Bongarts/ Getty Images

Schürrle-Wechsel zum BVB Warum er?

André Schürrle ist der teuerste Zugang in Dortmunds Vereinsgeschichte - und einer der umstrittensten. Trainer Tuchel hat Großes mit ihm vor, geht aber auch Risiken ein.

André Schürrle galt einmal als kommender Weltklasse-Fußballer, er hat das Siegtor im WM-Finale 2014 auf spektakuläre Weise vorbereitet und ist seit Freitagmittag der teuerste Zugang in der Vereinsgeschichte von Borussia Dortmund. Und trotzdem scheint es, als sei BVB-Trainer Thomas Tuchel der Einzige, der sich neben Schürrle über den Transfer freut.

Bei vielen Fans hat Schürrle einen schlechten Ruf. Überschätzt und eindimensional sei er, heißt es dann, und überhaupt passe er nicht zur Dortmunder Taktik. Doch stimmt das wirklich?

Normalerweise kennt man Schürrle vom Flügel nach innen ziehend, ehe er entweder aus 20 Metern aufs Tor schießt oder in die Sackgasse dribbelt. So war es in Leverkusen, wo er von 2011 bis 2013 spielte, in Chelsea und Wolfsburg, und auch in der deutschen Nationalmannschaft definiert sich Schürrle häufig über diese Bewegung. Er ähnelt dann einem spiegelverkehrten Arjen Robben, allerdings in der Light-Variante, weniger durchdacht, nicht ganz so reaktionsschnell wie der Bayern-Star.

Wer sich jedoch den jungen André Schürrle bei Mainz 05 in Erinnerung ruft, hat einen anderen Spieler vor Augen. Schürrle war damals gerade 18 Jahre alt und doch schon Stammspieler in der Bundesliga.

Der damals 18-jährige Schürrle (M.) im September 2009 beim Spiel in Bochum

Der damals 18-jährige Schürrle (M.) im September 2009 beim Spiel in Bochum

Foto: Christof Koepsel/ Bongarts/ Getty Images

September 2009, Mainz gastiert beim VfL Bochum, Talent Schürrle steht in der Startelf, so wie in jedem der bislang sechs Partien in seiner Debütsaison. Der Offensivspieler beginnt als verkappter rechter Mittelfeldspieler, doch auf dem Flügel taucht er nur sporadisch auf. Es zieht ihn ins Zentrum, wo er sich Lücken zwischen der gegnerischen Abwehr- und Mittelfeldreihe sucht und dort auf Pässe wartet. Wenn er an den Ball gelangt, dribbelt Schürrle nicht querfeldein, sondern auf das Tor zu.

Häufig kommt es gar nicht so weit, dass Schürrle zum Sololauf ansetzt. Sobald er im Rücken der gegnerischen Mittelfeldspieler eine Lücke entdeckt hat und angespielt worden ist, geht es schnell: eine Drehung, ein Blick, ein Pass, dann sprintet Schürrle dem Angriff hinterher, den er selbst beschleunigt hat.

An der Seitenlinie steht damals Thomas Tuchel. Er ist Schürrles Entdecker und Förderer. Tuchel war es, der drei Monate zuvor gemeinsam mit Schürrle sensationell die Deutsche Meisterschaft mit den Mainzer A-Junioren gefeiert hatte; er war es auch, der Schürrle zum Profidebüt verhalf und ihn dann zum Stammspieler machte.

Die Heatmap zeigt die Verteilung von Schürrles Dribblingversuchen in der vergangenen Bundesligasaison. 107-mal probierte er, an einem Verteidiger vorbeizukommen, meist auf dem linken Flügel. Nur 33-mal hatte er Erfolg.

Die Heatmap zeigt die Verteilung von Schürrles Dribblingversuchen in der vergangenen Bundesligasaison. 107-mal probierte er, an einem Verteidiger vorbeizukommen, meist auf dem linken Flügel. Nur 33-mal hatte er Erfolg.

Foto: Opta

Nun treffen beide in Dortmund erneut aufeinander, und es kann gut sein, dass Tuchel Schürrle wieder zu jenem Spieler machen möchte, der er einst war. Weg vom Schema des nach innen Ziehens und Schießens, hin zu einem kreativeren, zentraleren Akteur. Raus aus der Sackgasse.

Die Mittelfeldaußen beim BVB waren unter Tuchel nur dem Namen nach solche. Statt an der Seitenlinie zu kleben, rückten sie in Dortmunder Ballbesitzphasen meist hinein in die Halbräume, jene Zonen zwischen Zentrum und Außenbahn. Die Flügel überließen sie den eigenen Außenverteidigern. Gut möglich, dass Tuchel Schürrle ähnlich einplant.

Eine Versetzung in zentralere Feldbereiche könnte Schürrle guttun, dort könnte er die Ordnung des Gegners effektiver zerstören. Statt vom Flügel in einen massiven Abwehrblock hineinzudribbeln, könnte er ihn von innen heraus sprengen. Dafür benötigt er nicht einmal zwingend den Ball. Schürrle sprintet mehr als andere, er läuft besonders oft hinter die gegnerische Abwehr, die als Reaktion darauf die paar Meter mitläuft, die wiederum anderen BVB-Spielern Räume verschaffen.

Schürrles Schüsse in der vergangenen Bundesligasaison: 23 seiner 69 Versuche gab er von außerhalb des Strafraums ab. Acht seiner neun Treffer erzielte er jedoch aus dem Sechzehner heraus. Die Zahlen verdeutlichen ein Problem: Schürrle entscheidet sich oft im falschen Moment für einen Torschuss.

Schürrles Schüsse in der vergangenen Bundesligasaison: 23 seiner 69 Versuche gab er von außerhalb des Strafraums ab. Acht seiner neun Treffer erzielte er jedoch aus dem Sechzehner heraus. Die Zahlen verdeutlichen ein Problem: Schürrle entscheidet sich oft im falschen Moment für einen Torschuss.

Foto: Opta

Und doch sind Zweifel an dem Transfer nicht völlig unbegründet. Was ist, wenn niemand Räume für Schürrle schafft? Anders als zu Mainzer Zeiten entstehen die nicht von selbst, in der Bundesliga wird nur gegen Bayern München so gemauert wie gegen den BVB. Gegen kompakte Gegner Schürrles Dynamik einzubinden, wird für Tuchel zur schweren Aufgabe.

Möglicherweise will er Dortmund zu einer Dribbling-Maschine entwickeln, die den Gegner mit einer Mixtur aus Sprints und gewonnenen Eins-gegen-Eins-Duellen zerlegt. Denn kaum ein Bundesligist hat derart viele schnelle und/oder dribbelstarke Spieler in seinen Reihen wie der BVB. Gerade die Zugänge Ousmane Dembélé, Mario Götze, Emre Mor und nun Schürrle passen zu solch einer Ausrichtung.

Denkbar wäre auch, dass Schürrle ganz anders eingeplant wird. Eine Rolle als offensiver Flügelverteidiger, der aus der Tiefe überraschende Vorstöße einstreut, ist zwar nicht wahrscheinlich, bei einem Tüftler wie Tuchel aber nicht undenkbar. Oder Schürrle wird zum Nachfolger von Pierre-Emerick Aubameyang aufgebaut, dem Stürmer, der längst mit Europas Eliteklubs in Verbindung gebracht wird. Mit seinem variablen Abschluss und seinem Gespür für Strafraum hat Schürrle für Wolfsburg in der Rückrunde neun Tore geschossen. Mehr als Aubameyang.

Im Angriff spielte Schürrle zu Mainzer Zeiten häufiger. Von dem André Schürrle der vergangenen Jahre müsste man sich bei einer Rückverwandlung verabschieden. Und darüber dürfte sich nicht nur Tuchel freuen.

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