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"Die Nummer Eins - Deutschlands große Torhüter": "A bisserl a Schlagseite"

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Doku über Torhüter Schlagseite zwischen den Pfosten

Ein Keeper muss seinen Kasten sauber halten. Welche emotionale Überforderung hinter dieser Binsenweisheit steckt, zeigt die ARD-Doku "Die Nummer Eins - Deutschlands große Torhüter".

Bei der aktuellen Weltmeisterschaft dauerte es gerade mal drei Spiele bis zum ersten Torwartfehler: Spaniens David de Gea ließ einen Schuss von Cristiano Ronaldo durchrutschen. "Was für ein Riiiiesenpatzer", konzedierte der Kommentator, und die Häme des Netzes bekam de Gea umsonst dazu. "David de Karius" wurde er auf Twitter genannt, in brachialhumoristischer Anspielung auf den unglücklichen Loris Karius vom FC Liverpool, beim Champions-League-Finale wegen seiner Fehler zu trauriger Berühmtheit aufgestiegen.

"Jeder Torwart", sagt Schlussmann-Legende Sepp Maier in der ARD-Doku "Die Nummer Eins - Deutschlands Große Torhüter", "hat a bisserl a Schlagseite." Wen kann das wundern?

Die Innenkanten der Pfosten eines Fußballtores sind 7,32 Meter voneinander entfernt, die Querlatte 2,44 Meter vom Boden. Dort hinein soll die Kugel, darum geht es beim Fußball. Der letzte Mann, der das verhindern kann, ist der Torwart. Gleichzeitig ist er selten am Spiel seiner Mannschaft beteiligt - abgesehen vielleicht von Manuel Neuer -, an Torschüssen noch seltener.

Ein Torwart kann nur zum Helden werden, indem er Niederlagen verhindert. Nicht, indem er selbst für den Sieg sorgt. Andere Spieler können in der Tiefe des Spielfeldes abtauchen; die Fehler des Torhüters erkennen sogar Menschen, die sonst nie Fußball schauen. Ein Mann, prädestiniert zum tragischen Helden wie kein anderer auf dem Platz.

"Immer der Beste sein zu müssen, das ist schon eine gigantische Challenge"

Der Film "Die Nummer Eins" zollt dieser Fallhöhe angemessenen Respekt. Natürlich funktioniert die Doku auch als unterhaltsamer Rückblick auf die Fußballgeschichte. Es ist alles da. Die "G'schichten" der "Katze von Anzing" Sepp Maier, der erzählt, wie die Spieler bei der WM 1974 soffen und rauchten. Toni Schumachers "Angriff" auf Patrick Battiston im Halbfinale der Weltmeisterschaft 1982. Oliver Kahns Patzer im Finale der WM 2002. Natürlich der Zettel im Stutzen von Jens Lehmann beim WM-Viertelfinale gegen Argentinien 2006 und Neuers Heldentaten in Brasilien 2014.

Abgesehen davon, dass man sich gerade zu WM-Zeiten natürlich zu gern solcher Erinnerungs-Folklore hingibt, spiegeln sich in den saftigen Geschichten immer auch Zeitgeschichte und gesellschaftliche Zustände. Überdeutlich wird das beim Zusammenprall von Schumacher und Battiston, der bei vielen Franzosen schmerzhafte Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und den "hässlichen Deutschen" weckte.

Das Beispiel zeigt: Fußball ist eben tatsächlich mehr als ein Spiel. Ein Spektakel, das Emotionen freisetzt, die über das Spiel hinausgehen. Ein Gesamtkunstwerk; ein rituelles Schauspiel; ein Drama, das sein Publikum zur nicht von Affekten kontrollierten - also ganz direkten - Identifikation einlädt. Und natürlich ein Spielfeld für männliche Identitäten.

Gerade der Blick hinter die Maske des Heldischen ist es, was in "Die Nummer Eins" diese Dimensionen greifbar macht, ohne sie direkt zu nennen. Oder im typischen Oliver-Kahn-Sprech: "Immer der Beste sein zu müssen, das ist schon eine gigantische Challenge." Besessenheit, Wille, Ehrgeiz benennt er als typische Eigenschaften des Torhüters. Das ist das, was der Keeper selbst mitbringt. Dazu kommt die Kehrseite: der Blick der Fans, das laut Kahn "überstilisierte Heldentum". Gerade mit der Verehrung, so Kahn, sei schwer umzugehen.

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"Die Nummer Eins - Deutschlands große Torhüter": "A bisserl a Schlagseite"

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Zumal im Schauspiel Fußball zwar Rollen gespielt werden, aber eben mit dem Einsatz des eigenen Lebens. Ein Torwart ist kein Schauspieler, sondern ein Sportler. Ein Mensch, für den verstauchte Finger zum Alltag gehören, gebrochene Rippen kein Grund sind, das Spiel zu beenden. Einer, der unter aller Augen Höchstleistungen vollbringen soll, immer aufs Neue. Da ist Scheitern natürlich programmiert.

Das kann in der Tragödie enden. Wie bei Robert Enke, Torwart unter anderem bei Gladbach und dem FC Barcelona, der unter Depressionen litt und sich am 10. November 2009 vor einen Zug warf. Seine Frau Teresa tritt ebenfalls in "Die Nummer Eins" auf. In Schwarz gekleidet sagt sie: "Das ist die Logik des Geschäfts: Es muss immer aufwärts gehen." Selbstzweifel sind in diesem Drama nicht gefragt. Ein Torhüter darf kein Hamlet sein.

Düstere Innenansichten einer Welt des Profisports, die der Film dankenswerterweise nicht zu überspielen versucht. Er nimmt den zweifelsohne hoch bezahlten Menschen in den Blick, der hinter dem vermeintlichen Helden steht, und zeigt den hohen Preis, den er zahlen muss.

Sepp Maier knurrt an einer Stelle: "Ich möchte in der heutigen Zeit nicht mehr spielen." Manuel Neuer dagegen wirkt nicht gerade unglücklich, wenn er gewohnt abgeklärt, aber mit leuchtenden Augen von den Anforderungen seines Jobs erzählt. Bleibt nur zu hoffen, dass er am Mittwoch beim Spiel gegen Südkorea nicht hinter sich greifen muss.


"Die Nummer Eins - Deutschlands große Torhüter". In der Mediathek  verfügbar bis zum 29.6.2018

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