Argentiniens Nationaltrainer Maradona Ein Team in Gottes Hand
Über Diego Maradona zu lachen, ist leicht. Wie er da am Rand des Trainingplatzes in München steht, die dicke Zigarre im Mundwinkel - wer die Karikatur eines Trainers sucht, wählt dieses Bild. Natürlich kommt Meister Diego fast eine Stunde zu spät zur Pressekonferenz, da er es vorzog, lieber ausführlich zu duschen, als pünktlich bei den Medienvertretern zu erscheinen. Maradona, die Hand Gottes, der Kokser, der Fidel-Castro-Buddy, das ewige Kind - jetzt in einer kollegialen Reihe mit den geborenen Trainern Otto Rehhagel, Ottmar Hitzfeld oder Joachim Löw. Es ist immer noch kaum zu glauben.
"Es wird ein spektakuläres Spiel werden", prophezeit Maradona, als er dann doch noch vor die Journalisten tritt, für die Partie gegen Deutschland (Mittwoch, 20.45 Uhr Liveticker SPIEGEL ONLINE). Wer möchte daran zweifeln? Für das Spektakel garantiert ja schon die Person des Trainers.
Über Diego Maradona zu lachen, ist gefährlich. Man kann ihn als komplett überspannt abtun, als irrational, als nur von seinem Bauchgefühl gesteuert - er betreut immer noch ein Team, in dem einige der besten Fußballer der Welt spielen. Er ist der Nationaltrainer eines Weltfußballers Lionel Messi, eines Top-Torjägers Gonzalo Higuain, eines Stürmerstars Carlos Tevez. Wer diese Mannschaft unterschätzt, weil er den Trainer nicht für voll nimmt, wird in Südafrika seine Überraschung erleben.

Maradona ist erst seit 15 Monaten Nationalcoach der Weiß-Blauen, aber er ist, wie es für ihn üblich ist, in dieser Zeit bereits durch Himmel und Hölle gegangen. Als Heilsbringer hat er sich zum Amtsantritt 2008 selbst inszeniert mit Sätzen wie: "Wir müssen wieder zeigen: Hier kommt nicht irgendeine Elf dahergelaufen." Danach hat sie zumeist gespielt wie eine dahergelaufene Truppe. Das Team wurde in der WM-Qualifikation von Brasilien gedemütigt, in der Höhenluft von Bolivien mit 6:1 aufgerieben, von Ecuador und Paraguay geschlagen. Mit dem letzten Quäntchen Glück qualifizierte sich die Elf gegen Uruguay für Südafrika - ein dreckiges 1:0 ohne jede Inspiration, ohne Anmut, ohne Genialität ohnehin, mit anderen Worten: Ohne alles, für das der Spieler Maradona je stand.
Maradona nominierte ohne Plan
Und mittendrin ein Trainer ohne Plan, der nach Gefühl und Wellenschlag Spieler im Dutzend nominierte und wieder aussortierte. Der versehentlich Profis in sein Aufgebot berief, die gar nicht auflaufen konnten, weil sie nach einer Operation noch im Krankenhaus lagen. Andere Nominierte mussten für Länderspiele absagen, weil der Nationaltrainer Maradona bei ihrer Berufung übersehen hatte, dass sie in derselben Woche wichtige Spiele für ihren Verein zu absolvieren hatten.
102 Spieler hat Maradona berufen, gesichtet, wieder nach Hause geschickt - zwischendurch war er monatelang gesperrt, weil er in einer legendären Pressekonferenz nach der gelungenen WM-Qualifikation seinen Kritikern gegenüber Worte benutzte, die ein Auswahltrainer in der Öffentlichkeit besser nicht sagen sollte. Wobei Maradonas Gegner froh sein können, dass er sie nur beschimpfte. Schließlich hat El Diez auch schon einmal mit einem Luftgewehr auf Journalisten geschossen.
Maradona wird in diesem Jahr 50. Es ist eigentlich ein Wunder, dass er noch lebt. Nach seinem Drogenentzug, nach all den Exzessen, nach seinen schweren Krankheiten. Fast sein ganzes Leben lang ist er als Heiliger durchs Fußballdasein gewandelt. Manchmal ein komischer Heiliger, oft ein gefallener Engel. Er hat seine eigene Kirche. Da ein normaler Mensch zu bleiben, ist unmöglich. Logisch, dass er auch kein normaler Trainer sein kann.
Man mag sich schwerlich vorstellen, dass der Fußballgott El Diego in die Niederungen hinabsteigt und nächtelang Videostudien der gegnerischen Nationalteams betreibt, wo die Nächte doch auch anders zu nutzen wären. Man mag sich nicht vorstellen, dass ihm pseudo-moderne Trainersprüche über die Lippen gehen à la, man habe gut gegen den Ball gearbeitet. Maradona hat immer mit dem Ball gearbeitet.
Lobeshymne von Demichelis
All das mag man sich nicht vorstellen, wenn man ihn mit seiner dicken Sonnebrille bewaffnet in München aus dem Mannschaftsbus steigen sieht. Aber da gibt es den argentinischen Nationalspieler Martin Demichelis vom FC Bayern München, der sagt: "Er guckt in Argentinien jedes Spiel vom FC Bayern am Fernsehen. Er ist kein Trainer, der auf Distanz geht, sondern kommuniziert sehr viel." Demichelis hat unter Hitzfeld trainiert, jetzt unter Louis van Gaal. Er müsste wissen, was ein guter Trainer ist.
Maradona wird nie ein Trainerguru sein, taktische Finessen dürften ihm verschlossen bleiben. Für ihn zählen andere Dinge. "Zu einer WM zu fahren, ist wie für einen kleinen Jungen nach Disneyland zu kommen", sagt er. Und: "Bei der WM auszuscheiden, ist wie wenn man deine Mutter verprügelt, und du bist an einen Stuhl gefesselt und kannst nichts tun." Nach moderner Trainingslehre klingt das nicht. Es klingt nach purer Motivation. Den Rest müssen die Fachleute im Hintergrund besorgen. So wie Teammanager Carlos Bilardo, der als Trainer mit dem Spieler Maradona 1986 Weltmeister wurde. Bilardo macht die Arbeit, Maradona sorgt für die Stimmung. Wie weit eine solche arbeitsteilige Konstruktion führen kann, hat die deutsche Elf beim Turnier im eigenen Land 2006 erfahren.
Argentinien kann in Südafrika Weltmeister werden. Trotz Diego Maradona. Oder wegen Diego Maradona.