Spannung im Aufstiegskampf der zweiten Liga Wer macht hier bloß das Rennen?

Tabellenführer Schalke hat beste Chancen, in die Bundesliga zurückzukehren
Foto: IMAGO/Oliver Zimmermann / IMAGO/foto2pressDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Am Freitagabend kam Schalkes Topstürmer Simon Terodde als Gewinner zum Interview beim TV-Sender Sky. Diesmal hatte der Angreifer S04 in der letzten Minute in Sandhausen zum Sieg geschossen – und damit zurück an die Tabellenspitze der 2. Fußball-Bundesliga. Doch Terodde, 27 Saisontreffer, hatte auch etwas verloren: Seine Stimme war weg.
In äußerst hohen Tönen und hörbar heiser versuchte der Schalker zu erklären, wo er sie gelassen hatte, seine Stimme. In der Fankurve beim Feiern womöglich, vielleicht auch in der Kabine, wo er seine Mitspieler angefeuert hatte. Terodde ist nicht nur Torjäger, er ist auch Antreiber, das weiß man jetzt.
Zwei Spieltage vor Saisonende könnte der Aufstiegskampf kaum spannender sein: Terodde mit Schalke 04, Werder Bremen, SV Darmstadt, Hamburger SV, FC St. Pauli – das sind die fünf Kandidaten, die den Aufstieg schaffen können. Und jeder von ihnen könnte am Ende auch leer ausgehen.
Zwei Spieltage vor Saisonende werfen wir einen Blick auf die fünf Aufstiegskandidaten: Was spricht für sie? Und was gegen ihren Aufstieg?
SCHALKE 04

Schalke feiert den späten Sieg in Sandhausen
Foto: IMAGO/Thomas Voelker / IMAGO/Jan HuebnerDas spricht für Schalke 04
Überraschung: Wer die Tabelle jetzt anführt, ist auch Topfavorit auf den Aufstieg. Schalke hat sich das mit einer starken Serie unter Mike Büskens erarbeitet , zuletzt mit einem Sieg in letzter Minute beim SV Sandhausen, der in der Rückrunde zu den besten Mannschaften gehört und bereits viele Topteams geärgert hat. Dieser Erfolg kann Energie freisetzen. Terodde trifft, wie er will, und er steht stellvertretend für eine Offensive, die mit Marius Bülter noch einen weiteren Torjäger besitzt, der derzeit in guter Form ist. Schalkes Plus ist der Angriff, mit einer soliden Abwehr dahinter stimmt allerdings auch das Gleichgewicht.
Das spricht gegen Schalke 04
Schalke hatte unter Büskens seine ersten fünf Spiele gewonnen, um dann allerdings mit 1:4 gegen Werder Bremen unterzugehen; vor heimischer Kulisse, mit eigentlich viel Selbstvertrauen. Ganz so gefestigt, wie es derzeit aussieht, ist auch Schalke also nicht. Im nächsten Heimspiel trifft das Team mit St. Pauli auf einen Gegner, der zwar in einem absoluten Formtief hängt (siehe unten), aber nun auch mit dem Mut der Verzweiflung antritt. Das wird unangenehm. Auch der Schlusspunkt der Saison in Nürnberg wird hart. Fest steht: Auch für Schalke könnte bereits eine Niederlage oder Remis dazu führen, dass das Team am Ende nur auf Platz drei steht und in die Relegation muss.
Restprogramm: 33. Spieltag gegen St. Pauli (Heimspiel), 34. Spieltag gegen Nürnberg (Auswärtsspiel)
SPIEGEL-Tipp: Schalke 04 steigt direkt auf.
SV Darmstadt

Darmstadt ist weiter ganz vorne mit dabei
Foto: Hasan Bratic / dpaDas spricht für Darmstadt
2:5 gegen Schalke verloren, 0:1 gegen Werder, 0:5 gegen den HSV: In der Rückrunde war Darmstadt gegen die Topteams chancenlos, doch über die gesamte Saison hat sich der SVD nie eine längere Negativserie erlaubt. Deswegen ist es die Truppe von Torsten Lieberknecht, die derzeit einen der beiden Plätze für den direkten Aufstieg belegt. Mit Phillip Tietz (15 Treffer) und Luca Pfeiffer (16) verfügt sie über ein sehr ausgeglichenes Sturmduo. Immer wieder wird auch der Zusammenhalt der Auswahl betont, die nicht den einen Starspieler hat, die im Kollektiv sehr aggressiv auftritt, viele Zweikämpfe führt und den Gegner zu Fehlern zwingt.
Das spricht gegen Darmstadt
Im Restprogramm warten zwar nicht Schalke, HSV oder Werder, allerdings Fortuna Düsseldorf. Der Gegner mag mit seinem zehnten Platz etwas unscheinbar daherkommen, allein: In den elf Spielen unter Daniel Thioune hat Düsseldorf nie verloren und der Klub ist in diesen Zeitraum gar die zweitbeste Mannschaft der zweiten Liga. Das jedenfalls ist die Qualität, mit der Darmstadt in der Rückrunde Probleme hatte, zu oft unterlaufen Darmstadt auch individuelle Fehler. Mit 24 Gegentreffern gehört die Darmstadt-Defensive zu den schwächeren der Zweitliga-Rückrunde.
Restprogramm: Fortuna Düsseldorf (A), SC Paderborn (H)
SPIEGEL-Tipp: Darmstadt wird Vierter.
WERDER BREMEN

Ducksch ist eine der Tormaschinen bei Werder
Foto: IMAGO/Eibner/Memmler / IMAGO/EibnerDas spricht für Werder Bremen
Marvin Ducksch und Niclas Füllkrug sind mit 37 Treffern das beste Sturmduo der Liga, und damit sind beide auch der auffälligste Qualitätsbeweis des Bremer Kaders, der mindestens zu den Top-Drei der Liga gehört. Es ist schwer vorstellbar, dass die Bremer Mannschaft, die sich so viele Torchancen erspielt, nun in Aue (bereits abgestiegen; 0:6 in Darmstadt untergegangen) oder am letzten Spieltag zu Hause gegen Jahn Regensburg (hat den Ligaverbleib sicher) in ernsthaft große Probleme gerät. Zudem ist die Gesamtentwicklung unter Ole Werner erfolgreich, Werder hat in den 17 Ligaspielen unter Werner 37 Punkte geholt und damit mehr als jedes andere Team.
Das spricht gegen Werder Bremen
Wer in einem so wichtigen Spiel wie am Freitag gegen Kiel 2:0 führt und am Ende 2:3 verliert, kann plötzlich zweifeln. Als Werner das Bremer Team übernommen hat, stand es im Liga-Mittelfeld, es hatte den Impfskandal um Markus Anfang mitgemacht. Aber unter Werner ging es immer nur nach vorn und nun, vor dem 32. Spieltag, stand man ganz oben. Werder hatte etwas zu verlieren – und Werder hat die Tabellenführung verloren. In einem SPIEGEL-Interview zu Beginn der Rückrunde sagte Werner, er müsse erst noch herausfinden, wie seine Mannschaft auf Rückschläge reagiert. Die Pleite gegen Kiel fiel jedenfalls in die Sorte Rückschlag, der härter ausfällt. Werner bekommt nun die Antwort auf seine Frage zum wichtigsten Zeitpunkt der Saison.
Restprogramm: Aue (A), Regensburg (H)
SPIEGEL-Tipp: Werder Bremen steigt direkt auf.
HAMBURGER SV

Robert Glatzel ist mit 19 Treffern Hamburgs Toptorschütze
Foto: IMAGO/Strisch /Eibner-Pressefoto / IMAGO/EibnerDas spricht für den HSV
Als es Anfang April hieß, der Aufstieg des HSV sei bereits futsch, lag das allein an der Punkteausbeute. Die Darbietungen selbst waren meist zufriedenstellend. Unter Tim Walter strahlt der HSV eine enorme Dominanz aus, mit Sonny Kittel hat der Klub den wohl besten Ballverteiler der Liga, der auch stark bei Standards ist. Walter hat zudem einen Kader, der auch noch zum Saisonende Überraschungen bereithält und die Gegner vor neue Probleme stellt: So ist in den vergangenen Wochen der Finne Anssi Suhonen zu einem wichtigen Teil der Hamburger Offensive geworden. Mit der besten Tordifferenz der Liga (+30 Tore) hat der HSV zudem ein weiteres Pfund, das angesichts der Enge entscheidend werden kann.
Das spricht gegen den HSV
Die Hamburger haben zwar die wenigsten Gegentore der Liga kassiert, verteidigen aber teilweise zu leichtsinnig, sodass fast jeder Gegner zu Großchancen kommt. Und: Der HSV muss von allen Kontrahenten den längsten Zielsprint für den Aufstieg zurücklegen. Anfang April hatte der HSV sieben Punkte Rückstand auf Platz drei, die letzte Chance damals: alle verbleibenden fünf Spiele gewinnen und auf Patzer der Konkurrenz hoffen. Inzwischen steht der HSV bei drei Siegen, und das ist gleichzeitig auch die längste Erfolgsserie in dieser Saison überhaupt. Letztmals hat der HSV zu Beginn der Saison 2020/2021 fünf Spiele am Stück gewinnen können. Konstanz war noch nie die Stärke des Nordklubs, und selbst wenn er nun doch einmal gegen alle Zweifel alles gewinnt: Noch muss der HSV drei Punkte aufholen.
Restprogramm: Hannover 96 (H), Hansa Rostock (A).
SPIEGEL-Tipp: Der HSV wird Dritter und muss in die Relegation.
FC St. Pauli

Bei St. Pauli ist die Stimmung im Aufstiegskampf wohl am schlechtesten
Foto: Cathrin Mueller / Getty ImagesDas spricht für St. Pauli
Im direkten Duell gegen Schalke am kommenden Samstag könnte St. Pauli noch einmal Aufwind bekommen, sich mit einem Sieg Selbstvertrauen zurückholen. Doch so ehrlich muss man sein: Viel spricht nicht dafür.
Das spricht gegen St. Pauli
St. Pauli hat seit Mitte März kein Spiel mehr in der zweiten Liga gewonnen, in der Rückrundentabelle stehen die Hamburger mit 18 Punkten aus 15 Spielen nur auf dem 13. Platz. Das ist ein erstaunlicher Leistungseinbruch nach 36 Hinrundenpunkten (sieben Punkte Vorsprung auf einen Nicht-Aufstiegsplatz), aber nicht untypisch für St. Pauli, das selten über 34 Spieltage konstant punktet.
Besonders auffällig ist nun die Schwäche in der Offensive: Ballverteiler Daniel-Kofi Kyereh war einer der aufregendsten Spieler der Hinrunde, nach seiner Rückkehr vom Afrika-Cup und einer Muskelverletzung gelang dem Offensivspieler allerdings keine einzige Torvorlage mehr. Guido Burgstaller kam in der Hinrunde noch auf 14 Treffer, im Jahr 2022 sind es nur vier, und für die letzten zwei Saisonspiele fällt er verletzungsbedingt aus. Außerdem gelang es St. Pauli zu selten, Führungen zu schützen, zuletzt beim 1:1 gegen Nürnberg.
Und, noch ein letzter Punkt: Nach dem Nürnberg-Remis vermeldete der Klub einen Coronaausbruch, neun Spieler fallen vorerst aus.
Restprogramm: Schalke 04 (A), Düsseldorf (H)
SPIEGEL-Tipp: St. Pauli wird Fünfter.