Aus für Gastgeber Türken schockieren Schweizer in der Schlussminute
Es regnete. Stark, ohne Ablass, 45 Minuten lang. Wer in ein paar Jahren auf das Duell Schweiz gegen Türkei bei der EM 2008 zurückblickt, wird sich an ein denkwürdiges Match erinnern. Eines, das im Vorfeld heiß diskutiert wurde, schlussendlich aber nicht nur durch Feuer im Spiel, sondern auch dank Wasser auf dem Rasen Einzug ins Buch der Europameisterschaften finden wird. Da stört auch nicht, dass die Ergebnistafel nach 90 Minuten keine historischen Zahlen präsentierte. 1:2 unterlag die Schweiz in letzter Minute gegen die Türkei, was für die Schweiz, einen der beiden Gastgeber, das Ausscheiden bei der Heim-EM bedeutet. Das Spiel der Schweizer gegen Portugal, die bereits als Gruppensieger feststehen, am kommenden Sonntag ist nun ohne Bedeutung. Die Türkei, mit drei Punkten nun auf Platz zwei der Gruppe A, punktgleich mit den Tschechen, hat im direkten Duell nun weiter die Chance auf das Viertelfinale. Sollte dieses Unentschieden ausgehen, würde der Sieger (und damit der zweite Viertelfinalist) im Elfmeterschießen gesucht werden, da beide Teams ein Torverhältnis von 2:3 aufweisen - ein Novum in der EM-Geschichte.
Angesichts dieser knappen Konstellation vor und während des Spiels ist es umso erfreulicher, dass die Begegnung weitestgehend äußerst fair vonstatten ging. Die körperlichen Auseinandersetzungen, die das WM-Qualifikationsspiel zwischen der Türkei und der Schweiz 2005 zwischen Spielern und Verantwortlichen beider Teams überschattete, war stets in den Hinterköpfen. Und auch wenn der türkische Trainer Fatih Terim vor dem Spiel ungewohnt zahm agierte ("Wir kommen als Freunde") und die Schweizer Auswahlspieler türkischer Herkunft nicht mit den Medien sprachen - ein letztes Quentchen Unbehagen konnte von den Beteiligten nicht ausgeräumt werden.
Doch die Sorge war unberechtigt. Die Stimmung drei Jahre später passte sich dem versöhnlichen Prolog zu diesem Spiel an. Zwischenfälle blieben aus. Die Stimmung sei friedlich, waren Basler Polizeisprecher erfreut, zu verkünden - trotz der mehr als 100.000 Fans in der drittgrößten Schweizer Stadt. Welche Rolle das schlechte Wetter hierbei spielte, lässt sich im Nachhinein nicht herausfinden.
Im vollbesetzten St.-Jakob-Park war es zwar laut, doch nie feindselig. Nur vereinzelte Pfiffe waren während der türkischen Nationalhymne zu hören. Die türkischen Fans verzichteten sogar gänzlich auf störendes Geräusch, als die Einheimischen unter den knapp 40.000 Zuschauern die Schweizer Hymne intonierten.
Es blieb laut in Basel, auch als der Ball rollte. Die Nervosität aber, die beide Teams noch bei ihren Auftaktpartien gezeigt hatten, konnten die Anhänger nicht mehr herbeipfeifen. Besonders die Türken ließen ihre Körper von Beginn an eine ganz andere Sprache sprechen, als die, die der ängstliche Auftritt gegen Portugal offenbart hatte. Die Schweizer, im Takt der "Hopp Schwyz"-Sprechchöre kämpfend und spielend, hielten dagegen.
So entwickelte sich ein Spiel, das die erwartete Brisanz nicht aus seiner Vorgeschichte bezog. Nein, ein Dreiklang aus der drohenden Endgültigkeit eines EM-Fiaskos bei einer Niederlage, der ohrenbetäubenden Atmosphäre, die die zwei Fangruppierungen produzierten und dem apokalyptischen Regen machte das Duell zu einem Kampfspiel ungeheurer Intensität, bei dem auch der Zufall seinen Teil dazu beitrug. "Man konnte nicht mehr Fußball spielen", kommentierte Hamit Altintop die Platzverhältnisse.
Chancen entwickelten sich entweder aus den besonderen Umständen, wie beim Schuss Gökhan Inlers nach 19 Minuten, den der türkische Torhüter Volkan Demirel aufgrund des nassen Bodens erst im Nachfassen sicher fassen konnte. Oder es waren Standardsituationen, wie beim Kopfball des türkischen Mittelfeldspielers Arda Turan, der am Pfosten landete (29.), die für Gefahr sorgten.
Je länger die Partie andauerte, je unaufhörlicher der Regen in Basel niederprasselte, desto mehr Nutzen zogen die Schweizer daraus. Die Gastgeber kamen gegen die zunächst überlegenen Türken nun besser ins Spiel und konterten geschickt. Sogar so geschickt, dass Yakin innerhalb von drei Minuten gleich zweimal die Möglichkeit hatte, den Ball ins leere türkische Tor zu schieben. Da er die Möglichkeit zur Vorentscheidung verpasste und nur eine der beiden Möglichkeiten nutzte, nämlich als ausgerechnet der Schweizer Sohn türkischer Eltern, Eren Derdiyok, flach auf Hakan Yakin, Schweizer Sohn türkischer Eltern, flankte und dieser nur einschieben musste (32.), verlor die Partie nichts von ihrer Intensität.
Auch als der Regen zur Halbzeit ein Einsehen hatte und sein Wirken über Basel einstellte, gönnte die Begegnung weder Akteuren noch Zuschauern Verschnaufpausen. Die türkische Mannschaft drängte auf den Ausgleich, auf abtrocknendem Untergrund entwickelte sich schnelles und hochklassiges Spiel, das zunächst die Türken belohnte: Semih Sentürk köpfte eine Flanke von Nihat unter die Latte - 1:1 (57.).
Das Spiel entwickelte sich nun endgültig zur Nervenschlacht. Mehr als zu Beginn versuchten beide Teams, nur bloß den Rückstand zu vermeiden. Die schwindenden Kräfte bescherten der angreifenden Mannschaft aber immer wieder Lücken, in die sie stoßen konnte. Nihat (73.) und Aurelio (80.) auf türkischer Seite und Ludovic Magnin (61.) und Yakin (84.) bei den Schweizern konnten diese aber nicht nutzen.
Als sich die Schweiz in der Nachspielzeit ein Übergewicht erarbeitete und das Tor der Türken belagerte, konterte der Gast eiskalt. Arda Turan traf mit einem abgefälschten Schuss von der Strafraumgrenze (93.). "Wir haben zweimal gut gespielt und sind dann dumm in letzter Minute in einen Konter gelaufen", sagte Yakin. "Wir hätten mehr verdient, die Enttäuschung ist riesengroß - das ist alles sehr schwer in Worte zu fassen."