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Ancelotti-Aus beim FC Bayern Eine Entfremdung

Carlo Ancelotti gilt als Coach, der ein Händchen hat für ein Team, auch hochkapriziöse Spieler. Nach der Trennung redet Bayern-Präsident Hoeneß nun vom "Feind im Bett". Was ist da passiert?
Von Christoph Leischwitz

Wenn es um die Qualitäten von Carlo Ancelotti geht, dann wurde bisher immer gelobt, wie gut er mit Super-Egos von Spielern wie Cristiano Ronaldo und Zlatan Ibrahimovic umging. Ein Händchen für die Stars habe der Italiener, hieß es. Zumindest war das bisher so. Jetzt spricht vieles dafür, dass ein wichtiger Grund, warum Ancelotti in München scheiterte, das Missverhältnis zu Teilen der Mannschaft war.

Am Abend sagte Uli Hoeneß dem Radiosender FFH: "Der Trainer hat fünf Spieler auf einen Schlag gegen sich gebracht. Dass hätte er niemals durchgestanden. Du darfst als Trainer nicht die prominentesten Spieler gegen dich haben." Er habe in seinem Leben gelernt, dass "der Feind in deinem Bett der gefährlichste ist", so Hoeneß: "Deshalb mussten wir handeln."

Es war ein schleichender Prozess, der am Mittwochabend in Paris dann auf einmal enorm Fahrt aufnahm. Xabi Alonso war beim Bankett nach dem 0:3 zu Gast, der spanische Weltmeister, der in seinem letzten Jahr als Profi noch einmal die deutsche Meisterschaft mit den Münchnern gewonnen hatte.

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Ancelotti-Aus beim FC Bayern: Ein Titel war zu wenig

Foto: Christophe Ena/ dpa

Als sich Ancelotti und Alonso begrüßten, wirkte kurz alles wie in guten alten Zeiten. Am Tisch allerdings saß der Trainer direkt neben dem Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge, und selbst auf jenen Bildern, die vom Verein veröffentlicht wurden, war die Körpersprache eindeutig: Man lehnte sich weit weg voneinander, ging sich so gut es ging aus dem Weg.

Einiges spricht dafür, dass Rummenigge schon in Paris die Entscheidung getroffen hatte, Ancelotti zu entlassen, als er allen Anwesenden "trotzdem einen schönen Abend" wünschte. Er konnte die "bittere Niederlage", nicht unerwähnt lassen, doch er wollte den Abend noch retten, mit altgedienten Spielern wie Alonso oder auch Bixente Lizarazu im Saal.

Doch zu viel war passiert, als dass er mit den angedrohten "Konsequenzen" etwas anderes hätte meinen können. Die obligatorische E-Mail, die normalerweise zur Pressekonferenz mit dem Trainer vor dem nächsten Bundesliga-Spiel einlädt, wurde schon gar nicht mehr verschickt. Die Trennung war keine Reaktion auf eine schlechte Leistung in einem wichtigen Spiel, sondern das Ende eines Wochen, wenn nicht gar Monate andauernden Prozesses.

Ancelotti kündigte Besserung an - und behielt oft Recht

Eigentlich sind die ewigen Guardiola-Ancelotti-Vergleiche müßig, doch in gewisser Weise hatte der 58-Jährige selbst dafür gesorgt, dass ständig Parallelen zu seinem spanischen Vorgänger gezogen wurden. "Ich bin nicht hier, um eine Revolution zu starten", hatte Ancelotti bei seinem Amtsantritt am 11. Juli 2016 gesagt, und gemutmaßt, er werde das Spielsystem Guardiolas beibehalten.

Nach einem guten Start fehlte allerdings im Spiel nach vorne bald die Verve, die Bayern taten oft nur noch das Nötigste, um die Meisterschaft zu gewinnen. In der vergangenen Saison war es allerdings so: Wenn Ancelotti nach mäßigen Spielen kritische Fragen gestellt bekam, dann kündigte er Besserung an, die dann oft auch eintrat. Wie zum Beispiel vor dem Champions-League-Achtelfinale gegen Arsenal, das die Bayern dominierten. Eine zumindest kämpferisch starke Leistung kaschierte dann auch im Viertelfinale das Ausscheiden gegen Real Madrid. Rummenigge jedenfalls machte unter anderem den Schiedsrichter für das Ausscheiden verantwortlich.

Jetzt ist niemand mehr da, der dauerhaft kaschiert: Philipp Lahm hat seine Karriere beendet, Manuel Neuers Glanzparaden fehlen, die Abwehr wirkte plötzlich enorm anfällig. Andere entsagten den unbedingten Gehorsam. "Meine sind scheinbar nicht hundertprozentig gefragt", sagte Thomas Müller vor einem Monat über seine spielerischen Qualitäten, als er gegen Werder Bremen nur zu einem Kurzeinsatz kam.

"Wir waren langsam"

Franck Ribéry, mit dem Guardiola nie richtig warm geworden war, hatte Ancelotti im Sommer 2016 "ein Geschenk für den Verein" genannt und geschwärmt, er spüre wieder "Vertrauen, Respekt und Nähe" und könne deshalb wieder 150 Prozent geben. Vor zweieinhalb Wochen dann schleuderte Ribéry nach seiner Auswechslung gegen den RSC Anderlecht sein Trikot gegen die Bank.

Ein Bild, das viel sagt über die Entfremdung Ancelottis von seiner Mannschaft.

Besonders in den vergangenen Wochen wurde die Stimmung immer schlechter. Auch Robert Lewandowski war das anzumerken. Nicht nur in seinem Interview mit dem SPIEGEL, in dem er Bayerns Transferpolitik ohne Rücksprache mit dem Verein kritisierte, sondern auch auf dem Platz. Am Mittwoch brach der Pole mehrmals Sprints ab, als er PSG-Spieler mit Ball verfolgte. Dabei hatte Ancelotti das Verhindern von Kontern zur wichtigsten Aufgabe erkoren.

Nach den Patzern am vergangenen Wochenende, die zum 2:2 gegen den VfL Wolfsburg führten, stellte sich Ancelotti auch nur noch bedingt hinter die Mannschaft. "Wir waren langsam", sagte er. Und als er am Mittwoch in Paris dem Kader die Startelf mitteilte, müssen sich gleich mehrere Spieler brüskiert gefühlt haben. Nur persönliche Dissonanzen können erklären, warum Ancelotti auf zwei Weltmeister (Jérôme Boateng, Mats Hummels) und die Platzhirsche Arjen Robben und eben Ribéry verzichtete.

Im Keller des Prinzenpark-Stadions war am Mittwochabend eine der letzten Fragen an Ancelotti gestellt worden. Sie lautete: "Sie haben viele gute Spieler draußen gelassen, wussten Sie schon vorher, dass Sie das Spiel verlieren würden?" Nein, sagte Ancelotti, er habe geglaubt, das Spiel gewinnen zu können. Da hatte sich einer der erfolgreichsten Fußballtrainer gewaltig geirrt.

Zusammengefasst: Seitdem Carlo Ancelotti das Traineramt von Pep Guardiola im Sommer 2016 übernahm, verlor die Mannschaft nach und nach ihr spielerisches Konzept. Für die Meisterschaft reichte es, für die Champions League war es zu wenig. In den vergangenen Wochen kamen dann Differenzen mit wichtigen Spielern hinzu, dies, so bestätigte Präsident Uli Hoeneß, war am Ende zu viel: "Dass hätte er niemals durchgestanden."

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