
Bayern-Blamage in Mainz Schlimmer als zu Klinsmanns Zeiten
Einige Male ging am späten Samstagnachmittag im Kabinentrakt des Mainzer Bruchwegstadions die Tür zum Umkleideraum des FC Bayern München auf. Sie wurde immer wieder möglichst rasch zugeknallt, denn das, was darin zu erhaschen war, sollte eigentlich niemand zu sehen bekommen. Manager Uli Hoeneß lehnte schweigend an der Wand, Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge saß fassungslos auf einer Massagebank, Sportdirektor Christian Nerlinger starrte kaugummikauend ins Leere. Dazwischen lag ein Haufen verschwitzter Klamotten, keiner sagte einen Ton.
Der Rekordmeister und Favorit Nummer eins auf den Titel in dieser Saison hatte soeben 1:2 beim Aufsteiger Mainz 05 verloren, und damit hatte nun wirklich niemand gerechnet. Nein, nicht mit dieser Pleite und nicht mit dem schwächsten Saisonstart des Eliteclubs seit 43 Jahren.
Vielleicht hat am Samstagnachmittag ja auch Jürgen Klinsmann Fernsehen geschaut. Dann hat sich der Ex-Trainer der Bayern sicher heimlich ins Fäustchen gelacht, denn ohne ihn sollte doch alles so viel besser werden. Und wenn Klinsmann ein gütiger Mensch ist, dann kramt er sicher mal sein Telefonbuch hervor, wählt die Nummer von Louis van Gaal, dem neuen Bayern-Coach, und richtet ihm sein herzliches Mitgefühl aus.
Schließlich kann Klinsmann dem Holländer einiges von furchtbaren Auftritten dieses Vereins erzählen, in der Champions League in Barcelona (0:4) hat er mal so einen erlebt, in der Bundesliga in Wolfsburg (1:5). Genauso übel präsentierten sich die Bayern auch in Mainz. "Mit etwas mehr Glück", sagte der überragende 05-Torhüter Heinz Müller, "hätten wir noch höher gewonnen. Das soll jetzt aber nicht größenwahnsinnig klingen."
Ohne Tempo und ohne Weitsicht
Schweinsteiger, Lahm, Gomez, Rensing, van Buyten - alle stiefelten sie nach Spielende mit hängenden Köpfen in die Kabine, keiner blickte auch nur einen Millimeter nach links oder rechts. Genauso, ohne Tempo und ohne Weitsicht, waren sie auch vorher bei den kämpferisch vorbildlichen Mainzern aufgetreten.
Zwar setzte der Champions-League-Teilnehmer das von van Gaal verordnete Kurzpassspiel lange Zeit konsequent um, doch meist lief das nach dem Motto Pass-Pass-Fehlpass ab. "Wenn man sich nicht freiläuft, dann kriegt man keine Bälle und dann kann man nicht gewinnen", erkannte Kapitän Philipp Lahm. "Wir wollen eigentlich Dominanz versprühen, aber das klappt einfach nicht so recht im Moment."
Immerhin: Lahm war noch einer der wenigen, die sich nach dem lange Zeit farblosen Auftritt ihrer Elf im brodelnden Mainzer Stadion zur ersten Saisonniederlage äußerten. Torhüter Rensing und Innenverteidiger Daniel van Buyten, die mit ihren Patzern den leidvollen Nachmittag des Vorjahreszweiten verursachten, gaben sich lieber wortkarg. "Bei dem ersten Gegentor sehe ich sicher nicht gut aus. Unsere Leistung war absolut desolat", sagte Rensing.
"Eines habe ich in den vergangenen Jahren ganz besonders gelernt", sagte Rummenigge, "nach Niederlagen werden keine Entscheidungen gefällt." Es müsste noch die eine oder andere Pleite der Münchner hinzukommen - Fragen, wann es für van Gaal an der Säbener Straße kritisch werden könnte, mussten sich die Bosse des Vereins aber schon in Mainz gefallen lassen. Nach nur drei Spieltagen, damit hätte vor Saisonbeginn sicherlich niemand gerechnet.
Rensings Abwehrversuch im Zeitlupentempo scheiterte kläglich
Ein satter Linksschuss des Österreichers Andreas Ivanschitz (25.), bei dem Rensings Abwehrversuch im Zeitlupentempo kläglich scheiterte, ein platzierter Kopfstoß des wuchtigen Angreifers Aristide Bancé (37.), den Gegenspieler Daniel van Buyten wie die 20.300 im Stadion nur als Zuschauer wahrnahm. Dazu eine große Portion leidenschaftlicher Abwehrarbeit - das reichte den Gastgebern, um die Bayern in die Knie zu zwingen. "Ich bin stolz auf meine Mannschaft", sagte der freudestrahlende Mainzer Jungtrainer Thomas Tuchel lobend, dessen Mannschaft ein Eigentor durch Verteidiger Nikolce Noveski (47.) zwar ins Wanken, nicht aber zum Fallen brachte. "Unser Bollwerk hat gehalten", beschrieb Torwart Müller die energische Kampfleistung der 05er gegen die nur in der Schlussphase dominanten Bayern.
Zweimal hatte Louis van Gaal schon in der ersten Hälfte austauschen müssen, nach 33 Minuten war für Hamit Altintop Schluss, sechs Minuten später erlöste van Gaal den unauffälligen Linksfuß Daniel Pranjic. "Ich hätte noch mehr Spieler auswechseln können", sagte van Gaal, der um eine sachliche Analyse bemüht war, die aber fiel ihm freilich nicht leicht. "Ich muss härter und besser arbeiten. Und das gilt auch für die Spieler."
Bleibt die Frage, ob diese nicht mal in Mainz dominant auftretende Münchner Mannschaft überhaupt so einfach in eine erfolgreiche Richtung zu lenken ist. Immerhin könnte in der kommenden Woche ja der schmerzlich vermisste Franck Ribéry wieder mitspielen. Dass der flinke Franzose aber die ganze Mannschaft auf seinen Schultern zu einer besseren Leistung tragen kann, ist kaum vorstellbar. Zumal am kommenden Samstagabend (18.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) der Meister VfL Wolfsburg in München zu Gast ist.