Trainer Schmidt (r.), Rolfes: "Irgendwann ist die Zeit gekommen"
Foto: Andreas Gebert/ dpaStefan Kießling humpelte in Richtung Mannschaftsbus, mehrmals verzog er das Gesicht vor Schmerzen. Das Knie tue ihm weh, sagte der Stürmer von Bayer Leverkusen mit müder Stimme, "ich habe das ein bisschen mit rumgeschleppt". Außerdem habe man sich mit dieser knappen 0:1-Niederlage beim FC Bayern München ja auch nicht belohnt für den "Riesenaufwand", den man betrieben habe.
Das, fügte Kießling an, gelte sowieso für die ganze Saison. Tabellenvierter, damit könne man nicht zufrieden sein. "Wir haben viel zu wenige Punkte gemacht für das, was wir spielen", befand er.
Es gab schon Gegner in der Münchner Arena, die eine Niederlage besser verschmerzt haben.
Doch dann wurde Kießling die Neuigkeit bezüglich Simon Rolfes mitgeteilt, und die Schmerzen und der Bundesliga-Alltag waren sofort vergessen. Der Leverkusener Mittelfeldspieler hatte wenige Stunden zuvor bekannt gegeben, seine Karriere am Ende der Saison zu beenden. Kießling riss die Augen auf und strich sich über das Kinn. Er hatte nun achteinhalb Jahre mit Rolfes in einer Mannschaft gespielt, doch er hatte keine Ahnung von dessen Entscheidung gehabt. "Tut mit leid, er ist einundrei....ja, ich bin, äh, ich bin jetzt ein bisschen geschockt", so lautete Kießlings spontane Reaktion.
Rolfes war der letzte Spieler, der durch die Mixed Zone ging. Er lächelte über Kießlings Reaktion. "Die anderen sollten sich ja auch aufs Spiel konzentrieren", sagte Rolfes zur Erklärung dafür, dass er den Mitspielern die Entscheidung noch nicht anvertraut hatte. Der 26-fache Nationalspieler hatte gerade erst einen Syndesmosebandriss auskuriert. Während seiner Absenz hatte Leverkusen fünf von 13 Pflichtspielen gewonnen, nur zwei davon in der Bundesliga, und diese auch nur knapp mit 1:0. Rolfes' Dienste haben also durchaus noch ihren Wert.
Umso überraschender wirkte die Begründung, die er Samstagabend abgab, denn fast hörte er sich so an, als ob er nicht mehr gebraucht werde: "Ich bin gesund, ich bin topfit. Irgendwann ist dann die Zeit auch gekommen." Denn er habe immer gesagt, dass er nur auf Topniveau spielen wolle, das Austrudeln der Karriere komme für ihn nicht infrage. Doch gleichzeitig ist für den langjährigen Kapitän einer Mannschaft, die von vielen nur "Vizekusen" genannt wird, die mögliche Rolle der erneuten zweiten Kraft im deutschen Fußball wohl auch keine motivierende Perspektive mehr.
Matchplan statt Qualitäten
Rolfes haderte in seiner Analyse mit der vergebenen Großchance in der dritten Spielminute durch Karim Bellarabi: "Da wäre mit Sicherheit mehr drin gewesen", sagte er. Er selbst wurde in der 62. Minute eingewechselt. Mit seiner Erfahrung trug Rolfes dazu bei, die Defensive nach einer starken Bayern-Phase wieder zu stabilisieren. Mehr aber auch nicht. "Wir haben es dann nicht mehr geschafft, so nach vorne zu kommen wie am Anfang", sagte er.
So war ein riskanter, weil erschöpfender Matchplan nicht aufgegangen. Trainer Roger Schmidt sagte später: "Ich denke, man hätte auch in Führung gehen können. Und in der zweiten Halbzeit ist leider zu früh das Tor gefallen. Nach einer Standardsituation. Ein bisschen glücklich auch." Dem 47-Jährigen war die Enttäuschung anzuhören. Aus seiner Sicht hatte nicht viel gefehlt, und die Mannschaft hätte sich belohnt. Für sehr viel Laufarbeit, die freilich angesichts eines Ballbesitzes von 35 Prozent auch nötig gewesen war. Und zusätzlich natürlich hätte das auch den Trainer belohnt, für seinen Matchplan.
Für diesen lassen momentan viele Spieler ihre ureigenen Qualitäten auf der Strecke. Einer davon ist Stefan Kießling. Auf die Frage, ob er sich mal wieder in den Dienst der Mannschaft gestellt habe, sagte er: "Ja." Und fügte nach einer sekundenlangen Pause hinzu: "Ist 'ne klare Antwort, oder?" Er war sehr viel gelaufen, er war eher der vorderste Verteidiger gewesen als ein Stürmer. Letztlich mündete diese Taktik in 9:3 Torschüssen zugunsten der Bayern. Kießling gab keinen einzigen Schuss ab. Den 30-Jährigen muss an diesem Abend das Gefühl beschlichen haben, dass zurzeit sehr viel an ihm vorbeiläuft.
Bayern München - Bayer Leverkusen 1:0 (0:0)
1:0 Ribéry (51.)
Bayern München: Neuer - Rafinha, Benatia, Boateng, Bernat - Xabi Alonso - Robben, Müller (88. Schweinsteiger), Götze (46. Rode), Ribéry - Lewandowski (90.+2 Højbjerg)
Bayer Leverkusen: Leno - Jedvaj, Toprak, Spahic, Wendell - Bender (62. Rolfes), Castro - Bellarabi, Calhanoglu, Son (62. Drmic) - Kießling (75. Kruse)
Schiedsrichter: Kircher (Rottenburg) Kircher (Rottenburg)
Zuschauer: 71.000 (ausverkauft)
Gelbe Karten: - / Bellarabi (1), Castro (2), Son (3)
Ballbesitz in %: 64,8 / 35,2
Torschüsse: 9 / 3
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Bayer-Trainer Roger Schmidt kündigte vor dem Spiel an, seine Chance in der Offensive zu suchen. Leverkusen attackierte früh, setzte die Bayern im Spielaufbau unter Druck. Das funktionierte zunächst.
Neu-Nationalspieler Karim Bellarabi (l.) hatte die erste große Möglichkeit zur Führung. Der Leverkusener bugsierte den Ball zwar an Torwart Manuel Neuer vorbei, doch der Spanier Juan Bernat konnte auf der Linie klären.
In der ersten Hälfte war es ein umkämpftes Duell. Die Bayern kontrollierten nach Leverkuseners Anfangsoffensive das Spiel, die besseren Möglichkeiten hatten aber die Gäste. Arjen Robben kann sich auch in dieser Situation nur mit Mühe gegen Emir Spahic durchsetzen.
Bezeichnend für die erste Hälfte aus Sicht der Münchner waren die zahlreichen Ballverluste von Franck Ribéry. Der 19-jährige Tin Jedvaj setzte den Franzosen früh unter Druck und zwang ihn zu Fehlern.
Zur Halbzeit wechselte Guardiola: Der Coach nahm Weltmeister Mario Götze raus und brachte Zugang Sebastian Rode. Ein kluger Schachzug des Spaniers, denn der ehemalige Frankfurter zeigte ein starkes Spiel, überzeugte mit vielen Ballgewinnen und kurbelte aus dem Mittelfeld die Bayern-Offensive an.
Jubel über den Führungstreffer: Ausgerechnet der in der ersten Hälfte schwache Ribéry erzielte das nun verdiente 1:0 für die Bayern. Für den ehemaligen französischen Nationalspieler war es der 100. Treffer in einem Pflichtspiel für die Münchner.
Xabi Alonso lenkte auch diesmal das Spiel der Münchner aus der Tiefe heraus. Sein schnell ausgeführter Freistoß hätte fast das 2:0 und die Vorentscheidung bedeutet. Doch Passabnehmer Robert Lewandowski verzog aus zwei Metern.
Leverkusen wirkte zunehmend müde. Man merkte dem Team die kräftezehrende Halbzeit an, so konnten die Gäste in der Schlussphase nicht nochmal in die Offensive kommen. Bayern konnte das 1:0 verwalten und hatte dabei keine große Mühe.
Simon Rolfes kann durchaus noch mithalten auf höchstem Niveau. Gegen Bayern München stand er nach seiner Einwechslung eine halbe Stunde auf dem Platz, kurz darauf wurde bekannt, dass der defensive Mittelfeldspieler seine Karriere beendet. "Auf keinen Fall wollte ich den Moment erleben, in dem jemand zu dir kommt, um dir mitzuteilen, dass es für dich nicht reicht", sagte er der "Welt". Rolfes wird im Januar 33 Jahre alt.
Bei seiner ersten Profistation, dem SV Werder Bremen, kam Rolfes ausschließlich in der Amateurmannschaft zum Einsatz - so wie hier (l.) im DFB-Pokal gegen den FC Bayern München. 2003 wurde Rolfes von Bremen an den SSV Reutlingen verliehen, 2004 wechselte er zu Alemannia Aachen.
Da Aachen in der Vorsaison das DFB-Pokalfinale gegen Werder Bremen erreicht hatte, qualifizierte sich der damalige Zweitligist für den Uefa-Pokal. Hier freut sich Rolfes (l.) mit seinem Aachener Teamkollegen Stefan Blank über einen 1:0-Sieg gegen den OSC Lille. Aachen überstand die Gruppenphase, im Achtelfinale scheiterte die Alemannia an AZ Alkmaar.
Nach nur einer Saison in Aachen wechselte Rolfes zu Bayer Leverkusen. Dort erkämpfte er sich schnell einen Stammplatz im defensiven Mittelfeld und wurde zum Führungsspieler, in den Saisons 2006/2007 und 2007/2008 verpasste er keine einzige Bundesligapartie. In dieser Zeit wurde Rolfes Nationalspieler, Bundestrainer Joachim Löw berief ihn in den Kader für die Europameisterschaft 2008.
Nach einer durchwachsenen Gruppenphase nahm Löw vor dem Viertelfinale gegen Portugal mehrere Wechsel in der Startelf vor. Rolfes kam zu seinem ersten Turniereinsatz - und überzeugte. Deutschland gewann 3:2, hier freut sich Rolfes (r.) mit dem Kapitän und Torschützen Michael Ballack.
Auch im Halbfinale gegen die Türkei (ebenfalls 3:2) stand Rolfes in der Startelf, nach der Halbzeitpause wurde er ausgewechselt. Die 0:1-Finalniederlage gegen Spanien erlebte er auf der Bank.
Nach der EM wurde Rolfes bei Leverkusen zum Kapitän ernannt, seit der Saison 2008/2009 bekleidet er dieses Amt.
Auch in der Nationalmannschaft war Rolfes nach dem Turnier Stammspieler - doch ab Mitte 2009 warfen ihn mehrere langwierige Verletzungen zurück.
Wegen eines Knorpelschadens im Knie fiel Rolfes lange aus. Er verpasste daher auch die WM 2010 (ebenso wie sein damaliger Leverkusener Teamkollege René Adler (l.), der Bundestrainer Löw ebenfalls verletzt absagen musste).
Nach der verpassten WM schaffte es Rolfes, bei Leverkusen erneut zu einer zentralen Figur zu werden.
In der Nationalmannschaft hingegen erreichte er nie wieder das Standing, dass er insbesondere im Jahr nach der EM genossen hatte. Eines seiner letzten Länderspiele für Deutschland absolvierte er Ende 2011 in Polen. Für die EM 2012 und die WM 2014 wurde er nicht berücksichtigt.
Im Gegensatz zu Bundestrainer Löw setzte Leverkusen weiter auf Rolfes. In dieser Saison absolvierte der Mittelfeldspieler jedoch wegen eines Risses des Syndesmosebandes bislang nur fünf Bundesligaspiele.
Zum Saisonende tritt er ab. Titel hat Rolfes in seiner Karriere keine gewonnen, wie so viele Leverkusener Profis war er aber mehrmals nahe dran. Neben dem EM-Finale mit dem DFB-Team erreichte Rolfes mit Bayer 04 das Finale des DFB-Pokals (0:1 gegen Werder Bremen im Jahr 2009), in der Bundesliga wurde er 2011 Vizemeister.
Zum Saisonende tritt er ab. Titel hat Rolfes in seiner Karriere keine gewonnen, wie so viele Leverkusener Profis war er aber mehrmals nahe dran. Neben dem EM-Finale mit dem DFB-Team erreichte Rolfes mit Bayer 04 das Finale des DFB-Pokals (0:1 gegen Werder Bremen im Jahr 2009), in der Bundesliga wurde er 2011 Vizemeister.
Foto: INA FASSBENDER/ REUTERSBernd Leno (Tor): Wirkte bisweilen unsicher bei hohen Bällen, war ansonsten in der ersten Halbzeit aber auch nur damit beschäftigt, Rückpässe nach vorne zu schlagen. Beim Tor der Bayern machtlos (51.). Hätte in der 57. Minute beinahe noch einen Schuss von Müller ins Netz gelenkt - und zeigte 30 Sekunden später gegen Robben die erste gute Parade. An ihm lag es nicht, dass Bayer verlor.
Tin Jedvaj (Abwehr): Der vom AS Rom ausgeliehene Kroate will bei Leverkusen bleiben, und Bayer würde ihn auch gerne halten - warum, konnte man auch gegen die Bayern sehen. Seine rechte Abwehrseite blieb lange Zeit dicht, weil der 19-Jährige für sein Alter ungemein viel Ruhe ausstrahlte und stets aufmerksam war. Konnte jedoch den Bayern nach der Pause nur noch wenig entgegen setzen, das junge Talent war damit aber nicht der Einzige in Leverkusens Viererkette.
Ömer Toprak (Abwehr): Konnte nach einer Innenbanddehnung wieder auflaufen und strahlte von Beginn an viel Souveränität aus. Erlaubte sich keinen einzigen groben Schnitzer, behielt auch in der zweiten Halbzeit als einer von wenigen Bayer-Akteuren weitgehend den Überblick.
Emir Spahic (Abwehr): Schoss in der 17. Minute einen Rückpass ins Toraus und wusste sich manchmal nur mit Fouls zu helfen. Doch er schaffte es lange, mit cleverem Stellungsspiel den Kombinationen der Bayern das Tempo zu nehmen. Allerdings ist der 34-jährige auf Dauer schlicht zu langsam. In der 59. Minute leitete er mit schlechtem Stellungsspiel die Riesenchance von Lewandowski ein.
Wendell (Abwehr): Ließ sich zunächst von Thomas Müller überlaufen. Gewann in der ersten Halbzeit aber recht viele Zeikämpfe - und das gegen die Robben-Müller-Angriffseite der Bayern. Durfte zumindest einen Teilsieg für sich verbuchen: Müller blieb ungefährlich, Robben nicht immer.
Lars Bender (Mittelfeld, bis zur 62. Minute): Die Hauptbeschäftigung des Mittelfeldspielers in der ersten Halbzeit: Ribéry vom Ball trennen und diesen dann schnell und mit Übersicht nach vorne spielen. Überzeugte gegen die beste Offensive der Liga mit Coolness und Übersicht. Musste allerdings recht früh ausgewechselt werden, was der Stabilität des Leverkusener Spiels nicht gerade gut tat.
Simon Rolfes (Mittelfeld, ab der 62. Minute): Übernahm von Bender die Kapitänsbinde und zugleich die Verantwortung im defensiven Mittelfeld. Hatte bei seiner zweiten Einwechslung nach einem Snydesmosebandriss zwar keine Glanzmomente, ließ aber auch nicht mehr viele Chancen zu.
Gonzalo Castro (Mittelfeld): War an diesem Abend dafür zuständig, den Bayern den Spaß am Spiel zu nehmen. Das gelang ihm zunächst auch recht häufig. So fand der 27-Jährige ein scheinbar leichtes Mittel gegen Robbens Linksfuß-Sprints nach innen: Er stellte sich einfach in den Weg und zwang den Holländer zu Rückpässen. Ließ allerdings in der zweiten Halbzeit deutlich nach und stand immer weiter von den Gegnern entfernt.
Karim Bellarabi (Mittelfeld): Hätte nach drei Minuten beinahe die Bayern geschockt, doch sein Lupfer über Keeper Manuel Neuer war zu langsam. Das blieb lange Zeit die beste Aktion des Nationalspielers, der erst lange nach dem Rückstand wieder mehr Engagement zeigte. Dies mündete aber am Ende nur noch in ein übermotiviertes Foul gegen Rode, bei dem er mit Gelb gut bedient war.
Hakan Calhanoglu (Mittelfeld): Der 20-Jährige lief viel und war offensiv wie defensiv zweikampfstark, erspielte sich jedoch keine Chancen. Konnte diesmal auch nicht mit seinen berüchtigten Standards glänzen. Seine Leistung bezeichnend für jene der ganzen Mannschaft: Mutig, aber weitgehend ungefährlich.
Heung-Min Son (Mittelfeld, bis zur 62. Minute): Für den Südkoreaner schien das Spiel oft etwas zu schnell zu sein. Als er das zweite Mal gegen einen Gegner zu spät kam, sah er Gelb, und beim Tor von Ribéry stand er zu weit weg. Wurde nach einer guten Stunde zurecht ausgewechselt.
Josip Drmic (Angriff, ab der 62. Minute): Mit der Einwechslung des Stürmers bewies Roger Schmidt, dass ihm im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen ein knapper Rückstand in München nicht genug ist. Drmic blieb allerdings blass, weil er kaum angespielt wurde.
Stefan Kießling (Angriff, bis zur 75. Minute): War der zentrale Mann einer offensiven Viererkette, die den FC Bayern vor dem eigenen Strafraum regelmäßig fleißig anlief. Konnte nach einer halben Stunde völlig unbedrängt in den Strafraum flanken, zielte aber zu ungenau. Er tat somit auch diesmal mehr für die Mannschaft als für sein dünnes Torkonto in dieser Saison (zwei Treffer). Verließ eine Viertelstunde vor Schluss erschöpft den Platz.
Robbie Kruse (Angriff, ab der 75. Minute/3.v.l.): Auch der 25-jährige Australier konnte für keine offensiven Impulse mehr sorgen.
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