Karriereende von Schiedsrichterin Steinhaus Drauf gepfiffen

Bibiana Steinhaus war die erste Schiedsrichterin in der Bundesliga der Männer und wurde zum Symbol für eine neue Zeit stilisiert. Dabei wollte sie einfach nur gute Leistung bringen.
Von Alex Feuerherdt
Bibiana Steinhaus leitete insgesamt 23 Spiele in der Fußball-Bundesliga der Männer

Bibiana Steinhaus leitete insgesamt 23 Spiele in der Fußball-Bundesliga der Männer

Foto: Alexander Hassenstein / Getty Images

Mit der Rolle, eine Pionierin und ein Symbol für Veränderungen im Männerfußball zu sein, hat Bibiana Steinhaus immer ein bisschen gefremdelt: "Für mich ist das keine große Sache, aber ich muss mich damit auseinandersetzen, weil es für andere eine ist." So stand es Anfang November 2017 in der "New York Times" , die dem deutschen Fußball gemeinhin nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenkt, der Schiedsrichterin damals aber ein großes Porträt widmete. Was genau jenen Grund hatte, den Steinhaus selbst nicht so gern in den Vordergrund gerückt sah und sieht: die erste Frau überhaupt zu sein, die Spiele in einer der Topprofiligen des Fußballs leitete.

Dabei hatte sie "nie vor, einen Emanzipationsweg zu beschreiten", wie sie einst der "Süddeutschen Zeitung"  sagte. "Ich tue nur, was ich liebe" - Fußballspiele pfeifen. In den ersten Jahren habe sie sich bemüht, "unter dem Radar zu fliegen, mit der Gruppe der Schiedsrichter eins zu werden", in der sonst fast nur Männer sind. "Bis ich gemerkt habe, dass mir das niemals gelingen wird. Diese andere Rolle anzunehmen, hat lange gedauert." Die "andere Rolle", das ist die der Vorreiterin, des Aushängeschilds. Nun beendet sie im Alter von 41 Jahren ihre Karriere. Der Supercup am Mittwoch war ihr letztes Spiel.

Steinhaus hat oft betont, dass sie vor allem genauso behandelt und bewertet werden möchte wie ihre männlichen Kollegen. Es sollte keine Benachteiligung geben, aber auch keine Bevorzugung und keine besondere Milde oder Nachsicht bei Fehlern. Wenn der Fitnesscoach im Trainingslager der DFB-Referees nach einer Einheit "Super, Männer!" rief, fühlte sich Steinhaus keineswegs ausgeschlossen. Gestört hat es sie eher, wenn ein Funktionär seine Rede mit den Worten "Liebe Bibiana, liebe Kollegen" eröffnete, die einzige Frau in der Runde also hervorhob.

Deeskalation als große Stärke

Im Fußball mit seiner oft überschießenden Männerdominanz haben viele auf den Tribünen wie in den Verbänden nur sehr langsam auch Frauen akzeptiert, für weibliche Unparteiische gilt das in besonderem Maße. Gertrud Regus aus dem oberfränkischen Hallstadt war Mitte der Neunzigerjahre die erste Frau überhaupt in einem Bundesliga-Schiedsrichterteam. Sie kam als Linienrichterin allerdings auf nur zwei Einsätze.

An Bibiana Steinhaus merkte man dagegen, dass sich die Zeiten verändern. Bereits mit 22 Jahren leitete sie Partien in der damals drittklassigen Regionalliga der Männer, das war außergewöhnlich.

Sechs Jahre später, im September 2007, war sie die erste Schiedsrichterin in Deutschland, die ein Profispiel der Männer pfiff, die Zweitligapartie zwischen Paderborn 07 und der TSG Hoffenheim. Das Medienecho war damals groß - und überaus positiv. Bald setzte der DFB die Polizistin auch als Vierte Offizielle in der Bundesliga ein, und dort spielte sie ihre Stärken aus: Konflikte durch Persönlichkeit eindämmen, Gemüter beruhigen, Situationen deeskalieren.

Es ist kein Zufall, dass die Schiedsrichter-Chefs immer wieder auf Steinhaus setzten, wenn Spiele mit impulsiven Trainern anstanden. Meist blieb es dann ruhig, sie traf den richtigen Ton und genoss große Akzeptanz.

Steinhaus wurde beim Supercup mit Blumen verabschiedet

Steinhaus wurde beim Supercup mit Blumen verabschiedet

Foto: Alexander Hassenstein / Getty Images

Als Hauptschiedsrichterin schien Bibiana Steinhaus die deutsche Eliteliga allerdings nicht zu erreichen. Während sie im Fußball der Frauen zur Weltspitze zählte und bei der WM 2011 sowie bei den Olympischen Spielen 2012 jeweils das Finale leitete, stagnierte ihre Karriere bei den Männern. Zwar forderte im Oktober 2014 sogar die "Bild"-Zeitung: "Lasst Bibi in der Bundesliga pfeifen!" Doch die Schiedsrichterkommission des DFB winkte ab. Ihr damaliger Vorsitzender Herbert Fandel sagte, es gehe "für uns nicht um Mann oder Frau, sondern allein um die gezeigte Leistung über einen längeren Zeitraum". Und die genügte den Verantwortlichen vorerst offenbar nicht, um Steinhaus mit noch höheren Aufgaben zu betrauen.

Erst als Fandel ging, erreichte Steinhaus ihr Ziel

Wichtigste Bewertungsgrundlage waren damals die – in den höchsten drei Ligen mittlerweile abgeschafften – Noten für die Spielleitungen, die außer den jeweiligen Unparteiischen nur die Kommission kannte. Steinhaus, so war zu erfahren, belegte im Saisonranking lange Zeit keinen Platz im vorderen Bereich. Die Spielzeit 2015/2016 jedoch schloss sie als punktbeste Zweitliga-Unparteiische ab. Dennoch stiegen statt ihr gleich vier andere, männliche Kollegen ins Oberhaus auf.

Dass man ihr die Bundesliga als Frau nicht zutraute und sie deshalb einfach nicht befördern wollte, mutmaßten damals viele, auch im Kollegenkreis.

In der Öffentlichkeit verstand man die Entscheidung nicht. Der Tenor bei Fans wie Medien war: Die Zeit ist reif für eine Schiedsrichterin in der Bundesliga und es gibt eine geeignete Kandidatin - wozu also noch länger warten? Steinhaus selbst dachte erstmals über das Karriereende nach, nahm dann aber doch einen weiteren Anlauf. Zumal es in der Schiedsrichterführung einen Wechsel gab: Auf Fandel, der ungern Widerspruch duldete, folgte der deutlich weniger autoritäre Lutz Michael Fröhlich. Mit ihm kehrte das Leistungsprinzip zurück, wie es Bundesliga-Schiedsrichter Manuel Gräfe einmal formulierte.

Steinhaus bei ihrem Bundesligadebüt im Olympiastadion

Steinhaus bei ihrem Bundesligadebüt im Olympiastadion

Foto: Matthias Kern / Bongarts/Getty Images

Prompt erreichte Steinhaus ihr Ziel, mit 38, nach zehn Jahren in der zweiten Liga: Am 10. September 2017 gab sie ihren Einstand in der Bundesliga beim Spiel Hertha BSC gegen Werder Bremen. Fröhlich fragt die Schiedsrichter-Aufsteiger gern, wo sie am liebsten ihr erstes Spiel pfeifen würden, und Steinhaus nannte das Berliner Olympiastadion. Die Partie zwischen Hertha und Bremen endete 1:1, Steinhaus kam mit nur einer Gelben Karte aus und erhielt viel Lob.

Verletzungen verhinderten weitere Einsätze

In ihren 23 Bundesligaspielen als Schiedsrichterin hat Bibiana Steinhaus keinen einzigen Feldverweis ausgesprochen und nur 65 Gelbe Karten gezeigt. Dass es nicht mehr Spiele wurden, lag auch an ihrer Verletzungsanfälligkeit, die sie immer wieder zu Pausen zwang. Dadurch konnte sie in diesem Sommer die obligatorische Laufprüfung des DFB im Trainingslager am Chiemsee nicht absolvieren, zum dritten Mal hintereinander.

Anders als in den Jahren zuvor verzichtete Steinhaus jedoch auf die Möglichkeit, sie bei einem individuellen Termin nachzuholen. "Nach einem sehr vertrauensvollen und konstruktiven Gespräch mit Lutz Michael Fröhlich habe ich mich nach sorgfältiger Abwägung vieler Faktoren dazu entschieden, meine nationale und internationale Laufbahn als Schiedsrichterin zu beenden", wird die 41-Jährige auf der Website des DFB zitiert. Es gab für sie auch keine realistischen sportlichen Ziele mehr, die sie nicht bereits erreicht hatte.

Zumindest auf dem Fußballfeld wird man Bibiana Steinhaus nicht mehr sehen. Als Videoassistentin wird sie der Bundesliga allerdings erhalten bleiben. Eine Nachfolgerin im Oberhaus der Männer ist derzeit nicht in Sicht - Riem Hussein (40) pfeift zwar in der 3. Liga, den Sprung gleich zwei Klassen höher wird sie altersbedingt wohl nicht mehr schaffen.

Doch Bibiana Steinhaus hat dafür gesorgt, dass weibliche Unparteiische im Männerfußball Normalität geworden sind. Das ist ihre historische Leistung.

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