
Umstrittener BVB-Ordner: Rechte Prahlerei bei Facebook
Sicherheitsdienst im Stadion Borussia Dortmunds Nazi-Problem
Marco B. ist groß, kräftig. Der Handwerker sitzt in einem Café am Domplatz in Münster, seine Hände sind spröde, voller Schwielen. Auf den rechten Fingerknöcheln hat er das Wort "Born" eintätowiert, auf den linken steht "Ugly". Es ist die Überzeugung, zur Hässlichkeit, zum Unangepassten geboren zu sein, die B. damit offen zur Schau trägt. Der 40-Jährige, der in Wirklichkeit anders heißt, ist kein Kind von Traurigkeit, Gewalt ist ihm nicht fremd.
Doch das, was B. während des Revierderbys zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04 nach eigener Aussage erlebte, hat selbst ihn verstört zurückgelassen. Denn die Geschichte, die sich an jenem 20. Oktober dieses Jahres laut B. abgespielt hat, rührt an einer Urangst des Menschen: Dass an einem vermeintlich sicheren Ort plötzlich das eigene Leben in Gefahr geraten kann.
B. erinnert sich, wie er während der Partie zwischen den beiden Lokalrivalen, kurz vor der 60. Spielminute, die Gästetoilette im ehemaligen Westfalenstadion aufgesucht habe. Er ist Schalke-Fan, seine Kumpels, mit denen er sich das Spiel anschaute, blieben im Fanblock zurück. Sie fuhren nach dem Schlusspfiff auch ohne B. nach Hause, denn der lag zu diesem Zeitpunkt blutend in einer kleinen Zelle im Dortmunder Stadiongefängnis. Später wurden festgestellt: eine Gehirnerschütterung, Rippenbrüche, Hämatome am ganzen Körper und eine Kieferprellung.
"Ich will die Toilette verlassen und werde von einem Typen angerempelt. Ich drehe mich um, will ihn fragen, was das soll und spüre direkt einen Schlag", erzählt B. Auf dem Boden liegend habe er den Schwall an Schlägen und Tritten, gegen seinen Kopf, in seinen Unterleib, über sich ergehen lassen. Irgendwann sei er bewusstlos geworden. "Ich dachte, die machen mich alle."
Die, das waren nach Lage der Dinge keine Dortmunder Fans - sondern Ordner des BVB. Die Männer, ein Polizeibeamter spricht von dreien, zogen B. schließlich aus der Toilette, riefen die Polizei und stellten Anzeige wegen versuchter Körperverletzung. Gegen B.
Rassistische und sexistische Beschimpfungen
B., das Opfer, ist kein Pazifist, die Dortmunder Polizei verortet ihn im nahen Umfeld einer Schalker Hooligan-Gruppe. Vorbestraft ist er nicht. Trotzdem ist es möglich, dass er seine Sicht auf die Dinge verharmlost darstellt, dass er den Ordnern deutlich mehr Anlass zum Eingreifen gegeben hat, als er zugeben möchte. Und es wäre am Ende wohl nur ein weiterer der derzeit diskutierten Gewaltvorfälle im Fußball, wenn B. nicht solche unverhältnismäßigen Verletzungen davongetragen hätte.
Und wenn einer der Ordner, Sascha N., nicht einschlägig vorbestrafter Hooligan wäre, ein Mitglied der rechten Schlägergruppe "Northside".
Seit Jahren halten sich hartnäckige Gerüchte, die dem BVB eine Unterwanderung des eigenen Ordnungsdienstes durch rechte Kader nachsagen. Beim Revierderby wurden Schalker Fans von BVB-Ordnern mit rassistischen und sexistischen Beschimpfungen angefeindet. "Wir vermuten schon länger, dass es auch Nazis und Hooligans im BVB-Ordnungsdienst geben könnte", sagt ein Dortmunder Polizist, der seit Jahren in der Fußballszene aktiv ist.
In einer alten, rustikalen Kneipe am Stadtrand von Dortmund sitzt Markus. Breite Schultern, Glatze, vor sich einen Cappuccino. Seit 2002 arbeitet er für den BVB als Ordner. "Ich weiß von mindestens acht Personen in unserem Ordnungsdienst, die stramm rechts und gewalttätig sind", sagt er. Vier davon sollen der Ultra-Gruppe "Desperados" angehören, die anderen sind Hooligans der "Northside". "Das sind die, die das Kommando haben. Sie kontrollieren etliche andere, jüngere Ordner. Keiner von uns würde der Gruppe widersprechen, das wäre nicht gesund", sagt Markus.
Facebook-Profil als offene Agitationsplattform
Die Ordner mit der rechten Gesinnung sollen demnach in Dienst- und Einsatzpläne eingreifen und sich strategische Punkte für Personenkontrollen sichern. In Personalgesprächen, so Markus, sei dieses Problem angesprochen worden. Wirkliche Veränderungen habe es aber nicht gegeben. SPIEGEL ONLINE konfrontierte Reinold Schiller, den Leiter des Ordnungsdienstes, mit den Vorwürfen. Doch der BVB verzichtete auf eine dezidierte Antwort und übermittelte ein allgemeines Kommuniqué.
Einige der rechten Ordner scheinen sich mittlerweile sogar so unangreifbar zu fühlen, dass sie vollkommen offen mit ihrer Gesinnung umgehen. Sascha N., der mutmaßliche Toiletten-Schläger, der mit Unterbrechungen seit 1998 für das Wachpersonal des BVB arbeitet, nutzte sein Facebook-Profil, welches er im Zuge der SPIEGEL-ONLINE-Recherche löschte, als offene Agitationsplattform. Völlig unbeeindruckt von der Tatsache, dass zu seinem Netzwerk auch der BVB-Fanbeauftragte Jens Volke zählte, der aber auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE jeglichen persönlichen Kontakt zu N. abstreitet, postete N. unter dem Pseudonym Charly Z. zahlreiche Fotos aus seiner BVB-Ordnertätigkeit.
Auf seinem Startprofil nannte er unter "Ausbildung" die "Northside", unter "Arbeitgeber" die Borussia. Mehrere seiner Postings zeigten Verherrlichungen des Hitlergrußes. Auf einen von SPIEGEL ONLINE erstellten Fragebogen, der N. übermittelt wurde, antwortete Borussia Dortmund im Namen des Ordners: "Der Ordner streitet diese (Vorwürfe des Rassismus, d. Red.) ab und schon aufgrund familiärer Wurzeln im Ausland auch generell eine ausländerfeindliche Gesinnung."
Fragen von SPIEGEL ONLINE, ob der BVB gemäß der Richtlinien des Deutschen Fußball-Bundes das polizeiliche Führungszeugnis des Ordners eingefordert und -gesehen habe oder ob er gewusst habe, dass N. ein einschlägig bekannter Hooligan ist, lässt der Deutsche Meister unbeantwortet. Dabei soll N. nach Informationen von SPIEGEL ONLINE bereits mehrfach im Stadion zugeschlagen haben. In der vergangenen Saison soll es bei Spielen gegen den 1. FC Köln und Bayern München zu ähnlichen Vorfällen gekommen sein. Durchweg auf der Gästetoilette, wo es keine Zeugen oder Videoüberwachung gibt. In Hooligan-Foren wird N. seitdem mit Gewalt gedroht. In der Szene gilt er als eine Art Verräter, der seine Schlägereien mit einer Anzeige abrundet. Bislang war dies ein Vorwurf, den Hooligans gewaltbereiten Polizisten machten.
"Dann hättest du mich richtig hassen können"
Welches Gewaltpotential tatsächlich in N. steckt, zeigt ein Chat-Protokoll, das SPIEGEL ONLINE exklusiv vorliegt. Dort droht der BVB-Ordner einem Schalker mit einem "Hausbesuch", kündigt an, dass er im Zweifel auch "mindestens 15 Jahre" ins Gefängnis gehen würde, sollte er selbst von jemandem zu Hause "besucht" werden. Zum Angriff auf B. äußert er sich darin allerdings nur ausweichend, schreibt aber abschließend: "Und dein Freund kann froh sein, dass ich in diesem Moment nicht wusste, dass er ein Blauer war. Glaube mir, dann hättest du mich richtig hassen können."* Der BVB erklärt dazu, der Ordner "sei zuversichtlich, diese Vorwürfe ausräumen zu können". Gleichzeitig einigte sich der Verein mit N., der von Marco B. ebenfalls angezeigt wurde, darüber, N. bis zum Verfahrensende nicht weiter als Ordner einzusetzen.
Doch der Verein, der seit Jahren mit einer Infiltrierung von rechts zu kämpfen hat und sich mit etlichen Arbeitskreisen, Projekten und sogar der Aufnahme einer ausdrücklichen Passage in die Stadionordnung, die jede Form von rechtem Gedankengut beim BVB verurteilt, zur Wehr setzt, wird sich vielen weiteren Fragen stellen müssen.
Insbesondere vor dem Hintergrund des neuen Sicherheitspapiers, das die DFL am Mittwoch beschließen möchte und darin eine Professionalisierung der Vereinsordnungsdienste fordert, wird vom Double-Sieger wohl eine intensive Überprüfung der eigenen Stadionsicherheit verlangt werden. Das reine Auswechseln von Personal im etwa 780 Personen starken Wachdienst scheint dabei nicht wirklich zu helfen. Denn genau das tat der BVB bereits vor der aktuellen Saison mit etlichen Ordnern.
Deren Nachfolger wurden aber bereits beim ersten Heimspiel der Saison von Personen mit einschlägig bekanntem, rechtem Hintergrund abfotografiert und, so sagt es Markus, "mit unschönen Worten auf Linie gebracht."
*SPIEGEL ONLINE korrigierte die Rechtschreibung.