Braunschweigs Niedergang Extrawürste und Selbstüberschätzung

Ehemaliger Braunschweig-Profi Breitner: Richtig Wind von vorn
Foto: dpa/dpawebLesen Sie im ersten Teil der Geschichte, warum die Leidenschaft der Braunschweiger Fans trotz des ausbleibenden Erfolgs ungebrochen ist.
Die Siebziger waren wirtschaftlich schwierige Zeiten im Zonenrandgebiet, es herrschte hohe Arbeitslosigkeit. Damals gab das Braunschweiger Team um Stars wie Bernd Gersdorff, Franz Merkhoffer und Bernd Franke mit seinen Bundesliga-Erfolgen den Menschen der Region einen Funken Selbstbewusstsein. Paul Breitner, der 1977 aus Madrid zur Eintracht wechselte, schrieb später in seiner Biographie: "Ich bin in den Tante-Emma-Laden der Liga gewechselt."
Eben flanierte der Weltstar noch über die herrschaftlichen Gestade von San Bernabeu, nun drückte er die kühlen Holzbänke in der Bundesliga-Provinz. Trotzdem gab Breitner zu, er habe zur aktiven Zeit nie mehr gelernt als hier. "Bei uns bekam er das erste Mal richtig Wind von vorn," erzählt sein damaliger Mitspieler Dietmar Erler. Das bodenständige Braunschweiger Gemüt tat sich schwer mit den Extrawürsten, die der Bajuware ab und an gebraten haben wollte.
Heute steht die Stadt Braunschweig wirtschaftlich gut da, dafür darbt der Fußball. Mit Argwohn blickt man rüber zu den Neureichen aus Wolfsburg und Hannover, diesen vermeintlichen Möchtgern-Fußballmetropolen mit ihren modernen Arenen. Im Eintracht-Stadion erneuert die Stadt gerade für sieben Millionen die Kurve der Auswärtsfans. Da werden Plätze überdacht, die im Extremfall 200 Zuschauer beheimaten. Auf Jahre hin wird nun mit Leichtathletik-Bahn gespielt. Es bleiben nur kleine Dinge, die den Fans zur Freude gereichen. Etwa, dass die lokale Brauerei "Wolters" demnächst wieder den Ausschank bei Heimspielen vom Bier-Riesen "Krombacher" übernimmt.
Wolfsburg feierte Erfolge, Braunschweig stieg ab
Dabei hätte alles ganz anders kommen können. Mitte der Achtziger wollte nämlich Karl-Heinz Briam, Chef des VW-Betriebsrats, Clubvorstand werden. Günter Mast, der Boss des Hauptsponsors "Jägermeister", gab jedoch im Vorfeld der Wahlen im "Kicker" zu Protokoll: "So lange ich hier was zu sagen habe, wird kein Gewerkschafter bei Eintracht Präsident." Briam übernahm daraufhin den Vorsitz beim VfL Wolfsburg und legte dort mit Unterstützung des Auto-Konzerns den Grundstein für den heutigen Erfolg, der mit dem Aufstieg 1997 eingeläutet wurde.
Die Eintracht hatte zu dieser Zeit gerade die Talsohle ihrer Misere erreicht, die sich nach dem Abstieg aus der Bundesliga 1985 vollzog. 1993 war man in der Oberliga angekommen. Über die anschließende Periode sagt Kult-Fan Thilo Götz: "Neun Jahre dritte Liga haben mich abgehärtet." Als dann 2002 der Wiederaufstieg gelang, entluden sich all die Entbehrungen in einer kollektiven Hysterie. Tagelang herrschte Ausnahmezustand. Handwerksbetriebe schickten ihre Mitarbeiter in Sonderurlaub. Kneipen schlossen nicht mehr. Dieser Aufstieg sprengte alles bislang Dagewesene. Dabei war man lediglich in die Zweite Liga aufgestiegen.
Mit dem Aufstieg erwachte bei den handelnden Personen der Wunsch, nun bald auch der großen Tradition des Clubs zu genügen. Eine grandiose Selbstüberschätzung. Die folgenden Jahre wurden zu einer Aneinanderreihung von Pleiten, Pech und Pannen, die in der Saison 2006/07 einen grotesken Höhepunkt erreichten.
Fünf verschiedene Trainer in einer Saison
Nach einem Abstieg und erneuten Aufstieg spielte Eintracht wieder in der Zweiten Liga. Die Vorzeichen waren gut, aber eine Fehde auf der Geschäftsführerebene und sportlicher Misserfolg führten dazu, dass Hauptsponsor Jochen Staake - Eigentümer einer Supermarktkette - das Kommando an sich riss. Unter seiner Federführung schlingerte Eintracht durch eine katastrophale Saison, an deren Ende fünf verschiedene Trainer - mit Michael Krüger, Djuradj Vasic und Willi Reimann allein drei Vollzeitkräfte - auf der Bank gesessen hatten und der Club abgeschlagen mit 23 Punkten abstieg.
Durch Staakes Finanzspritze von 1,1 Millionen Euro waren in der Winterpause noch elf neue Spieler eingekauft worden, von denen sich jedoch kein einziger als durchschlagskräftig erwies. Im Rückblick sagt Unternehmer Staake: "Der Club hat durch die Meisterschaft '67 einen zu großen Schluck aus der Pulle genommen. Das Umfeld hat nie Zeit zur Verfügung gestellt. So hat man immer wieder versucht, hohe Erwartungen mit Bordmitteln zu befriedigen - und brachte damit den Club in wirtschaftliche Schieflage."
Als Heilsbringer für die Saison 2007/08 galt Benno Möhlmann, der für viel Geld aus Fürth losgeeist und mit allen Freiheiten ausgestattet worden war, um den Wiederaufstieg zu schaffen. Doch auch seine Spieler blieben hinter den Erwartungen zurück, obwohl der Coach sie mit fürstlichen Verträgen ausstatten ließ. Der verantwortliche Schatzmeister wurde von den Mitgliedern auf der Hauptversammlung nicht entlastet. Der glücklose Trainer trat drei Spieltage vor Saisonende zurück. Eintracht gehörte zu diesem Zeitpunkt nicht mal mehr zu den Qualifikanten zur neuen dritten Liga. Die Insolvenz drohte. Womöglich wollte Möhlmann nicht als Totengräber des Traditionsclubs gelten. Das Himmelfahrtskommando übernahm A-Juniorentrainer Torsten Lieberknecht: "Ich kam auf die Geschäftsstelle, es ging um die Existenz - und im Präsidium richteten sich plötzlich alle Augen auf mich." Am letzten Spieltag gelang mit ihm der Sprung auf Rang zehn - der rettende Platz für die Qualifikation zur dritten Liga.
Lesen Sie morgen im dritten und letzten Teil, wie sich die krisengeschüttelte Eintracht für die Zukunft rüstet und wo die Tradition in Braunschweig weiterlebt.