Polizeieinsätze beim Fußball Wenn Gewalt zur Geldfrage wird

Polizei, Fußballfans bei Nordderby in Bremen: Wer zahlt die Zeche?
Foto: TeleNewsNetwork/ dpaStellen Sie sich mal vor, Sie sind Veranstalter eines Schützenfestes und zwei Straßen weiter prügeln sich ein paar Nachbarn, die Sie zu Ihrer Party nicht eingeladen haben. Die Schlägerei ist so heftig, dass die Polizei gerufen werden muss und zudem ein Krankenwagen.
Wie fänden Sie es, wenn Sie etwa zwei Wochen später eine Rechnung für den gesamten kostspieligen Einsatz der Staatskräfte erhalten würden? Wäre das fair? Mitglieder des Bremer Senats würden jetzt wohl nicken, Vertreter der Deutsche Fußball Liga (DFL) dagegen eher mit dem Zeigefinger gegen die Stirn tippen.
Das anfängliche Beispiel ist gar nicht so weit von der Realität entfernt: Denn zwischen der Stadt Bremen und der DFL ist mittlerweile ein mehrere Hunderttausend Euro teurer Streit entbrannt, der nunmehr zu eskalieren scheint. Im Kern geht es um die Fragen: Wer ist Veranstalter und wer zahlt die Zeche?
Vor einigen Monaten sprach sich die Bremer Bürgerschaft für eine Gesetzesänderung aus: Demnach dürfe die Stadt Bremen die DFL in Zukunft an den Kosten für sogenannte Risikospiele, also Fußballspiele, bei denen die Polizei Gewaltbereitschaft in den Fanlagern vermutet, beteiligen. Im vergangenen Sommer wurde der Gesetzentwurf verabschiedet, Vertreter des Fußballs waren empört.
Es entbrannte eine Debatte Gut gegen Böse. Die Armen, mit über 20 Milliarden Euro verschuldeten Bremer gegen die reiche DFL, die Jahr für Jahr neue Milliarden-Rekordgewinne verzeichnet. Man findet schnell viele Sympathisanten für eine solche Idee von etwas Umverteilung und Gerechtigkeit.
Liga droht mit Bundesverfassungsgericht
Das Problem daran: Die Bremer Forderungen wirken so überdreht, in Teilen mit großen Löchern in ihrer Argumentation. Kaum ein Rechtsanwalt kann sich vorstellen, dass die Pleitestadt die Chance hat, vor Gericht gegen die DFL zu bestehen. Der Sportrechtler Christoph Schickhardt nennt das Bremer Vorgehen "eine Luftnummer" und "reinen Populismus".
Den Bremern ist das egal.
Vor rund zwei Wochen machte die Behörde an der Weser ernst: Wenige Tage nach dem Spiel Werder Bremen gegen den HSV landete bei der DFL in Frankfurt eine Gebührenankündigung über "250.000 bis 300.000 Euro". Genauer könne man das nicht sagen, die exakte Zahl würde folgen. Die DFL will den Gebührenbescheid nicht akzeptieren. DFL-Präsident Reinhard Rauball bekräftigte umgehend, die Liga werde zur Not bis "vor das Bundesverfassungsgericht" ziehen, um die Bremer Forderung einkassieren zu lassen.
Am 6. Mai bekamen die DFL-Justiziare nun weitere Arbeit. Der Bremer Polizeivizepräsident Dirk Fasse sendete der Fußballliga eine "Unterrichtung über voraussichtliche Gebührenpflichten" zu. In dem Schreiben, das dem SPIEGEL exklusiv vorliegt, heißt es, dass das letzte Saisonspiel zwischen Werder Bremen und Borussia Mönchengladbach ebenfalls zu einem Risikospiel erklärt werde.
Zwar gäbe es, anders als im Derby mit dem HSV, keine direkte Konkurrenzsituation zwischen den Fanlagern, aber die Bremer Ordnungshüter haben nun andere Bedenken: Von beiden Fanseiten, so schätzt die Polizei, sollen rund 300 gewaltbereite oder -suchende Personen nach Bremen anreisen. Zum anderen, so heißt es in dem Schreiben, müsse "gefahrenerhöhend berücksichtigt" werden, dass es nach dem Spiel zwischen Werder und dem HSV eine "gewalttätige Auseinandersetzung" zwischen Bremer Ultras und Bremer Hooligans gegeben habe.
Langjährige Auseinandersetzungen zwischen Ultras und Hools
Die Polizei gehe nun davon aus, dass "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit ,Racheaktionen' beider Seiten zu rechnen" sei. Dies könne nur verhindert werden, indem die Stadt zwischen 600 und 700 zusätzliche Polizeikräfte einsetze. Auf die DFL komme deshalb eine Rechnung von 200.000 bis 250.000 Euro zu, die sich allerdings auch noch weiter erhöhen könnte.
In Bremen tobt seit mehr als acht Jahren eine Auseinandersetzung zwischen Bremer Ultras und Hooligans, also Anhängern ein und desselben Vereins. Die meisten Beobachter dieses gewalttätigen Streits bezeichnen diesen als "politisch motiviert". In Bremen gibt es eine zunehmend linksalternative Ultraszene, der gegenüber mehrere rechtsextreme Hooligangruppen stehen.
Laut einem Vermerk des Bundeskriminalamts, der dem SPIEGEL ebenfalls vorliegt, sind mehrere der führenden Bremer Hooligans auch Mitbegründer der Gruppe "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa). Die Stadt Bremen schafft es seit vielen Jahren nicht, diese gewalttätigen Neonazi-Zelle unter Kontrolle zu bekommen.
Die Auseinandersetzung zwischen den Gruppen nach dem HSV-Spiel fand nicht im Stadion, sondern in erheblicher Entfernung davon vor einer Kneipe statt. Viele der dort aufeinander einprügelnden Personen sind bereits mit Stadionverboten belegt. Ist das also noch ein Problem des Fußballs?
Refinanzierungsversuch für gesellschaftliche Probleme
"Wir beanstanden diese Auseinandersetzungen, weil sie im Windschatten der Fußballspiele stattfinden. Die Ultras sind zudem Gruppen, die sich immens mit dem Fußball identifizieren. Die von ihnen ausgeübte Gewalt hat ihren Ursprung im Fußball und betrifft diesen unweigerlich", sagt Rose Gerdts-Schiffler, Sprecherin der Bremer Innenbehörde.
Man könnte auch andersherum argumentieren: Politisch motivierte Gewalttäter suchen sich eine gesellschaftliche Schnittstelle, in diesem Fall den Fußball, und hauen sich die Köpfe ein. Nach dieser Lesart wirkt der neuerliche Brief der Bremer nicht mehr wie ein womöglich notwendiger Umverteilungswunsch, sondern wie der Refinanzierungsversuch jahrelanger gesellschaftlich etablierter Probleme.
Frei nach dem Motto: Einen Schuldigen muss es immer geben. "Unsere Juristen werden sich nun weiter mit dem Thema beschäftigen, zur Not auch vor höheren Instanzen", sagt Gerdts-Schiffler. Die DFL wollte sich nicht mehr äußern.
Dem Steuerzahler droht wohl ein langer Rechtsstreit.