Deutscher Meister Borussia Dortmund Triumph der Vollgas-Fußballer
Wahrscheinlich ist nichts normal an diesem Abend in Dortmund. In der altehrwürdigen Kneipe Haus Semmler erhob sich irgendwann ein kleiner, untersetzter Mann und bat um Gehör. Er heiße Steven, und obwohl er Schotte sei, werde er gleich eine Lokalrunde geben, verkündete der Gast unter dem Gegröle der Anwesenden. Allerdings habe er eine Bedingung: Alle Anwesenden müssten sein Lieblingslied "Gehe auf mein Stern Borussia" anstimmen.
Natürlich wurde gesungen, immerhin gab es Dortmunds Titelverteidigung zu feiern. Die Fans wirkten wie losgelöst - und der Schotte zahlte.
Auch in Hunderten weiteren Kneipen und auf den Straßen wurde es eine lange und unvergessliche Nacht. Der BVB hat Geschichte geschrieben und sich hinter Bayern München (22 Titelgewinne) und dem 1. FC Nürnberg (9) auf den dritten Platz in der Liste der erfolgreichsten deutschen Vereine geschoben. Seit 1963 die Bundesliga eingeführt wurde, holte die Borussia zum fünften Mal die Meisterschaft, als Lohn wird es in der kommenden Saison den zweiten Stern auf dem Vereinstrikot geben.
Bayern, Schalke, Gladbach - keiner konnte den BVB aufhalten
Niemand in der Republik wird daran zweifeln, dass den Dortmundern dieser Triumph zusteht: "Wir haben binnen zehn Tagen den Zweiten, Dritten und Vierten geschlagen", sagte Sportdirektor Michael Zorc stolz: "Es gab selten einen verdienteren Meister als in dieser Saison." 2:0 hatte der BVB nach den Toren von Ivan Perisic (23.) und Shinji Kagawa (59.) den finalen Akt gegen die Borussia vom Niederrhein gewonnen. Der Sieg gegen die Gladbacher folgte den vorentscheidenden Erfolgen gegen Bayern München und dem FC Schalke 04.
Dortmund hat seine unglaubliche Erfolgsbilanz nun auf 26 Spiele ohne Niederlage ausgebaut, eine eine solche Serie in einer Saison hat es in der fast 50-jährigen Geschichte der Bundesliga noch nie gegeben. Da geraten sogar die BVB-Verantwortlichen in Erklärungsnot, wenn sie die Taten dieser schwarz-gelben Truppe beschreiben sollen. "Das ist eine außergewöhnliche Mannschaft", jubelte Trainer Jürgen Klopp, "wozu diese Mannschaft in der Lage ist, das ist einfach verrückt."

Mannschaftkapitän Sebastian Kehl sprach von der Krönung einer überragenden Saison: "Dieser Titel ist höher zu bewerten als der aus dem Vorjahr, weil wir jetzt bei allen auf dem Tippzettel waren und trotzdem unsere Leistung bestätigt haben." Auch Mario Götze, den Klopp nach langer Verletzungspause kurz vor Ende brachte, ergänzte: "Was diese Mannschaft in der Rückrunde geleistet hat, ist einfach phänomenal."
Dortmunder Erlebnisfußball
Jung, begeisterungsfähig, mitreißend: Borussia Dortmund bietet einen attraktiven Erlebnisfußball. Es ist ein Stil, der seine prägende Wirkung auf die gesamte Liga entfaltet. Weil die Erfahrung gezeigt hat, dass eine Mannschaft nicht an ihre Grenzen stößt, wenn sie immer weiter marschiert.
Das Team des BVB wird von der Euphorie eines Publikums getragen, das in Deutschland und Europa seinesgleichen sucht. Und es wird von einem Trainer geführt, der das totale Engagement vorlebt. Klopp hat die von ihm so titulierten "Vollgasveranstaltungen" zum Programm erhoben, als er vor vier Jahren seinen Job als Trainer in Dortmund antrat - und seine Spieler folgen ihm.
Zahllose Experten hatten prognostiziert, diese Mannschaft werde ihr kräftezehrendes Spiel niemals durchhalten können. Sie wurden eines Besseren belehrt. Die Dortmunder traten das Gaspedal durch, und zwar bis zum Anschlag. Trotz des Einbruchs zu Saisonbeginn - nach sieben Spieltagen hatte der BVB bereits dreimal verloren und dümpelte auf Rang elf - fanden Spieler und Trainer zurück in die Spur.
Der große Makel Champions League
Nun fragen sich nicht nur die Verantwortlichen selbst: Wo ist das Limit eines Clubs, dessen Höhenflug längst zur Dauerveranstaltung geworden ist? Im größten Stadion der Liga werden am Ende dieser Saison durchschnittlich 80.500 Zuschauer pro Heimspiel gezählt werden. Es ist eine Marke, die weltweit ihresgleichen sucht. Selbst die Giganten aus Manchester, Barcelona oder Madrid können da nicht mithalten. "Darauf sind wir stolz", sagt Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.
Ende 2009 kürte die angesehene britische Tageszeitung "The Times" die Dortmunder Arena zum schönsten Fußballstadion der Welt und empfahl der Uefa: "Jedes europäische Endspiel sollte in diesem Stadion stattfinden." In Dortmund betonen sie immer wieder, dass sie die Fans für das wichtigste Gut des Revierclubs halten. Weil sie Identität stiften, weil sie Geld bringen, und weil sie für eine einzigartige Kulisse sorgen, die Sponsoren in Scharen anlockt. Ab dem Sommer spült ein neuer Ausrüstervertrag in acht Jahren mindestens 60 Millionen Euro in die Kasse des BVB, im Erfolgsfall sogar mehr.
Doch trotz aller Euphorie - der große Makel der Saison wird nun zur größten Herausforderung: die Champions League. Um auch international zur festen Größe zu werden, muss der Club es besser machen als in dieser Saison. Als Meister in der Vorrunde auszuscheiden, ist peinlich. "Das war das Haar in der Suppe", sagte Watzke: "In der nächsten Saison werden wir international auf jeden Fall besser aussehen."