Leverkusens Sieg gegen den BVB Die WM-Profiteure
Leverkusens starker Auftritt bei Borussia Dortmund sorgte für erstaunliche Erkenntnisse: Der BVB leidet wohl noch stärker unter den Nachwehen der WM als der FC Bayern. Nutznießer sind die mutigen Leverkusener.
Ihren Humor hatten die 80.000 Zuschauer im Dortmunder Stadion auch dann nicht verloren, als längst klar war, dass dieser Fußballnachmittag keine Sternstunde der BVB-Fußballhistorie mehr werden würde. In der 83. Minute flimmerte ein Statistikschnipsel über die Anzeigetafeln, der die Leute zu selbstironischem Gelächter animierte: "Meiste Torschüsse: Matthias Ginter (1)", war dort zu lesen, und diese Information illustrierte ganz gut, wie zäh und ineffizient die Borussia beim 0:2 (0:1) gegen Bayer Leverkusen gespielt hatte.
Dass ausgerechnet Ginter in den ersten 80 Minuten den einzigen Torschuss abgegeben hatte (später gab es noch ein paar mehr), wirkte besonders komisch, weil der Neuzugang vom SC Freiburg bei seinem ersten Bundesligaspiel für die Dortmunder sichtlich nervös gewesen war. Mit seinen Fehlpässen im Spielaufbau konnte er als Sinnbild dieser noch völlig unfertigen neuen Mannschaft gesehen werden. "Das war ein sehr zerfahrenes Spiel", sagte Sebastian Kehl später, und Trainer Jürgen Klopp prophezeite: "Wir haben einiges aufzuarbeiten."
Dabei hatten viele Experten vorausgesagt, dass sich der BVB in der ersten Saisonphase einen kleinen Vorsprung auf den FC Bayern erarbeiten und auf dieser Basis dann ernsthaft um den Titel mitspielen könne. Schließlich kommt der Rekordmeister mit seinen vielen Nationalspielern nach Weltmeisterschaften traditionell nur langsam in Schwung. Dieser erste Spieltag hinterlässt nun den Eindruck, dass die Rolle des WM-Profiteurs eher Bayer Leverkusen zufallen könnte.
Die Fitness und die taktische Ausrichtung zählen sicher zu den Hauptgründen dafür, dass die Leverkusener den BVB in der ersten halben Stunde mit einem atemberaubenden Pressingfußball in der eigenen Hälfte einschnürten und bereits nach neun Sekunden durch Karim Bellarabi in Führung gingen. "So wie Leverkusen begonnen hat, wollten wir eigentlich spielen", sagte Ginter, und Bayer-Sportdirektor Rudi Völler wies stolz darauf hin, dass dieser Treffer "kein Zufall" gewesen sei, sondern das Resultat des neuen Leverkusener Mutes.
Langjährige Begleiter der Rheinländer dachten nach dem Abpfiff darüber nach, wann Bayer 04 zuletzt eine solch fantastische erste Halbzeit gespielt habe und landeten schnell bei den Champions-League-Partien der legendären Saison 2001/2002. Damals war der Klub mit hinreißendem Offensivfußball ins Finale der "Königsklasse" eingezogen, aber natürlich ist es für solche Vergleiche viel zu früh.
Denn es scheint probate Gegenmittel gegen die Furcht einflößende Leverkusener Pressing-Zange zu geben, das jedenfalls behauptete Klopp. "Die spielen so extrem ballorientiert, wenn du da einmal die Seite wechselst, läufst du mit zwei Mann aufs Tor zu", sagte er. Im gegenwärtigen Stadium der Selbstfindung ist den Dortmundern eine solche Spielverlagerung allerdings kein einziges Mal gelungen. Immerhin hatte sich Klopps Mannschaft in der zweiten Hälfte stabilisiert.
Zunächst spielte der BVB wie schon im Supercup gegen den FC Bayern in einem 4-4-2-System, offenbar wird dem neuen Stürmer Ciro Immobile die komplexe Aufgabe als einzige Spitze noch nicht zugetraut. In der zweiten Halbzeit stellte Klopp dann auf das seit Jahren gewohnte 4-2-3-1 um, und es wurde besser. "Da haben wir das Heft in die Hand genommen, waren körperlich präsenter und in allen Bereichen besser", sagte der Trainer. Auch Immobile steigerte sich deutlich, kämpfte und arbeitete, hatte viele Ballkontakte. So etwas wie Torgefahr entwickelten die Dortmunder aber erst in der Schlussphase und auch dann meist nur nach Standardsituationen. Den zweiten Treffer der Partie erzielte dennoch Bayers Stefan Kießling (90. Minute +4).
"Es wird auch andere Tage geben, wir dürfen nicht in Euphorie verfallen", mahnte Kapitän Simon Rolfes zwar, aber die Mannschaft der Stunde ist Bayer Leverkusen schon einmal.