
Ralf Rangnick: Erschöpfter Erfolgstrainer
Bundesliga nach Rangnick-Rücktritt Verletzungen der Seele bleiben tabu
Das Medienaufkommen vor der Schalker Arena war groß. Zahlreiche Fernsehkameras, Radiostationen und Reporter der schreibenden Presse wollten etwas zum Rücktritt von Ralf Rangnick erfahren. Doch nicht nur in Gelsenkirchen äußerten sich Trainer, Spieler und Funktionäre zur Krankheit des 53-Jährigen. Die Welle der Betroffenheit schwappte von Hamburg bis nach München, von Dortmund bis Berlin.
Ein wenig erinnerte die Debatte dabei an die Diskussion, die vor zwei Jahren unmittelbar nach dem Freitod von Robert Enke stattgefunden hatte. Auch diesmal wurden von allen Seiten Wünsche und Treueschwüre zum besseren Umgang miteinander abgegeben. So sagte beispielsweise Leverkusens Trainer Robin Dutt: "Wir glauben alle, dass Fußball das Wichtigste auf der Welt sei, und müssen jetzt endlich einsehen, dass es nicht das Wichtigste ist. Wir müssen alle mehr Respekt voreinander haben." Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Theo Zwanziger, erkannte sogar, dass "sich die Situation im harten Profigeschäft Fußball aufgrund der vielen Diskussionen nach dem tragischen Tod von Robert Enke ja doch ein klein wenig verändert. Vielleicht werden Schwächen und Krankheiten eher toleriert und respektiert als noch vor knapp zwei Jahren."
Doch kann man nach Rangnicks Burnout-Geständnis tatsächlich von einer Verbesserung des Umgangs mit psychischen Krankheiten im Profisport sprechen?
"Es ist nur wenig bei den Vereinen angekommen"
"In den vergangenen zwei Jahren hat sich auf diesem Gebiet schon viel getan. Insbesondere in der Wissenschaft haben wir zahlreiche Projekte und Initiativen angeschoben, die die seelischen Probleme im Profisport in den Fokus rücken", sagt Valentin Markser, der ehemalige Psychiater von Enke, SPIEGEL ONLINE. "Aber bislang ist nur wenig davon bei den Vereinen und Verbänden angekommen. So etwas braucht wohl noch Zeit."
Markser, der das Referat für Sportpsychiatrie und -psychotherapie mitgegründet hat und auch in der vom DFB unterstützten Robert-Enke-Stiftung an Themen rund um Burnout und Depressionen im Hochleistungssport arbeitet, sieht stattdessen nach wie vor die Verletzungen im Kopf als ein Tabuthema des Leistungssports an. "Noch sind diese Krankheiten nicht als solche akzeptiert, sie werden immer noch häufig verschleiert. Man gibt den Sportlern zu wenig Gelegenheit, ihre seelischen Erkrankungen zu behandeln. Wenn die Vereine dort andere Wege gehen würden, könnten sie zahlreiche Karriereabbrüche vermeiden und eine Menge Geld sparen."
Notwendigkeit von Psychiatern im Leistungssport
Dass nun neben Rangnick auch ein Torwart wie Markus Miller zu seiner Krankheit steht und damit an die Öffentlichkeit geht, wird zwar von der Profiszene mit Anerkennung wahrgenommen, aber der Kern der Problematik bleibt dabei nach wie vor verschleiert. "Wir müssen psychische Belastungen und Krankheiten viel präventiver behandeln. Nicht so lange totschweigen, bis es zu spät ist", sagt Markser.
Der ehemalige Handballprofi des VfL Gummersbach setzt sich zunehmend dafür ein, dass der Leistungssport neben der Arbeit mit Psychologen auch auf die Expertise von Sportpsychiatern zurückgreift. "Die Sportpsychologen machen in den Vereinen eine ausgezeichnete Arbeit. Viele von ihnen sind Sportwissenschaftler, haben aber keine therapeutische Ausbildung. Die Bereiche der seelischen Gesundheit und Prävention können effektiver in Zusammenarbeit mit den Sportpsychiatern bearbeitet werden", sagt Markser.
Die Psychiater sollen dabei nicht für Motivierungsmomente und primär für die Leistungsoptimierung zuständig sein, sondern eher die Gründe von Depressionen oder einem möglichen Burnout erkennen. Der Abbau der Probleme kann dann gemeinsam mit den Psychologen stattfinden. "Das versuchen wir derzeit so auch im Trainerbereich umzusetzen", sagt Markser. Mit der Initiative Mental Gestärkt hat er insbesondere die Trainerausbildung im Blick und versucht den Übungsleitern schon am Anfang ihrer Karriere präventive Hilfen bei psychologischen Problemen zu geben.
Doch diese Arbeit befindet sich noch in den Kinderschuhen. Die aktuelle Trainergeneration greift bislang kaum auf psychologisch-psychiatrische Hilfen zurück. Viele der Bundesliga-Übungsleiter haben nach wie vor kaum professionelle Lösungen innerhalb ihres sehr stressigen, erfolgsabhängigen und öffentlich völlig ausgeleuchteten Jobs gefunden. Nach wie vor gilt in der Branche das Hire-and-Fire-Gesetz: Trainer, wie zuletzt der ehemalige HSV-Trainer Michael Oenning, stehen wochenlang im Fokus der Kritik, dürfen sich keinerlei Schwäche erlauben und bekommen nach ihrer Entlassung maximal privaten Halt.
Deshalb wirken die vielen Stimmen, die Rangnick Respekt zollen oder die mittlerweile eine Veränderung im Umgang mit psychischen Problemen sehen, befremdlich. Sie beschäftigen sich nämlich nur mit den Auswirkungen der Krankheiten und dem öffentlichen Umgang mit ihnen. Die Ursachen bleiben aber im häufig knallharten Bundesliga-Alltag unter Verschluss.