
Ron-Robert Zieler: Torwart von Hannover 96: Torwart mit starken Füßen
Hannover-Torwart Zieler "Der Hype ist vorbei"
SPIEGEL ONLINE: Herr Zieler, gestatten Sie uns einen Einblick in Ihr Seelenleben?
Zieler: (lächelt) Das kommt drauf an.
SPIEGEL ONLINE: Wir versuchen es mal: Sind Sie ein glücklicher Torwart?
Zieler: Ich bin die Nummer eins bei einem Bundesligisten, darf mich Woche für Woche zeigen und in tollen Stadien spielen. Grundsätzlich bin ich glücklich. Warum fragen Sie?
SPIEGEL ONLINE: Als Sie 2011 zur Nummer eins bei Hannover 96 wurden, feierte man Sie neben Manuel Neuer als Vertreter einer neuen, modernen Torhütergeneration. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" bezeichnete Sie als "Überflieger". Die Schlagzeilen sind seitdem seltener geworden.
Zieler: Der Hype, den es rund um meine ersten Spiele gab, ist vorbei, das stimmt. Es gibt heute mehrere junge Torhüter der neuen Generation. Das Interesse der Öffentlichkeit verteilt sich da eben.
SPIEGEL ONLINE: Ist der Ausdruck "modernes Torwartspiel" strapaziert?
Zieler: Das weiß ich nicht. Das Wichtigste ist ja gleich geblieben: Ein Torwart ist vor allem da, um Bälle zu halten.
SPIEGEL ONLINE: Ach was.
Zieler: Klar ist: Als Torwart bist du heute mehr gefordert als früher. Wachsam sein und Bälle halten reicht nicht mehr. Ich bin Anspielstation und helfe der Viererkette in einer Funktion als zusätzlicher Feldspieler. Ich muss das Spiel lesen, um gefährliche Situation schon im Keim zu ersticken.
SPIEGEL ONLINE: Der Torwart als Alleskönner.
Zieler: Ja. Man sollte komplett sein, keine Schwäche haben. Torhüter sind heute sehr gut ausgebildet, unterscheiden sich nur in Nuancen. Man muss fußballerisch stark sein, öfter rauskommen, ob bei Flanken oder beim Ablaufen gegnerischer Angriffe.
Ron-Robert Zieler, Jahrgang 1989, ist seit 2011 Stammtorwart bei Hannover 96. Mit 16 Jahren geht der Sohn des Fußballtrainers Raimunt Zieler nach England, zu Manchester United. Ron-Robert Zieler spielt in der Reserve, bleibt aber ohne Einsatz bei den Profis. 2010 kehrt er nach Deutschland zurück. In Hannover wird er am 16. Spieltag der Saison 2010/2011 unter Trainer Mirko Slomka zur neuen Nummer eins. Für sein ruhiges Spiel und seine Fähigkeiten am Ball wird er bald überall gelobt. Sein Debüt in der A-Nationalmannschaft feiert er am 11. November 2011 im Testspiel gegen die Ukraine (3:3). Bislang hat Zieler zwei Länderspiele absolviert. An der EM 2012 nimmt er als Ersatztorwart teil.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Spiel wirkt sachlicher als das manch eines Kollegen.
Zieler: Ich bin keiner, der spektakulär durch die Luft fliegt. Mir ist wichtig, dass sich meine Mitspieler auf mich verlassen können.
SPIEGEL ONLINE: Ist diese Art Ihr Nachteil?
Zieler: Das ist wie bei Ihnen: Es gibt Journalismus, der darauf ausgelegt ist, spektakuläre Überschriften zu präsentieren, und es gibt Journalismus, der sachlich ist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass das Spektakuläre zu oft in den Fokus gerückt wird.
SPIEGEL ONLINE: Fühlen Sie sich falsch bewertet?
Zieler: Es gibt immer Dinge, die man als Torwart anders sieht als die Medien. Nicht jeder, der glaubt, Ahnung zu haben, interpretiert Torwartleistungen richtig. Aber damit kann ich umgehen, weil es keine neue Erkenntnis ist. Und deswegen ist mir das Feedback von meinem Trainer und meinem Torwarttrainer auch sehr wichtig.
SPIEGEL ONLINE: Oliver Kahn galt einst als bester Torwart der Welt, fußballerisch hatte er aber Defizite. Würde Kahn heute noch denselben Status besitzen?
Zieler: Kahn war auf der Linie und im Eins-gegen-Eins überragend, auf seine Weise Weltklasse. Ansonsten finde ich einen Vergleich sehr schwierig.
SPIEGEL ONLINE: Muss ein Torwart mehr von Taktik verstehen als ein Feldspieler?
Zieler: Nein. Ein Torwart muss sich sehr stark mit dem Spiel auseinandersetzen, vor allem was die Defensive angeht. Heutzutage muss aber jeder Spieler auf Bundesliga-Niveau top ausgebildet sein und Spielverständnis besitzen.
SPIEGEL ONLINE: Sie überblicken als Einziger permanent das gesamte Feld.
Zieler: Ich kann aber nur auf meine Viererkette einwirken. Wenn ich etwas sehe, das nicht gut läuft, versuche ich, einzugreifen und Hilfestellungen zu geben, zum Beispiel durch laute Kommandos. Gerade mit meinen Innenverteidigern kommuniziere ich viel. Wenn einer falsch steht, bin ich da.
SPIEGEL ONLINE: Wie oft haben Sie es schon bereut, in einer Generation mit Manuel Neuer zu sein?
Zieler: Noch gar nicht. Ich bin sehr froh und dankbar dafür, im Kreis der Nationalmannschaft zu sein. Mein Hauptziel ist die WM in Brasilien. Da werden drei Torhüter nominiert, ich möchte einer davon sein. Wenn ich die Rückrunde so weiterspiele wie bisher, also wie zum Beispiel am Samstag in Augsburg, dann sind meine Chancen sehr gut.
SPIEGEL ONLINE: In der Nationalelf stehen Sie im Wettkampf mit Neuer, René Adler, Roman Weidenfeller und Marc-André ter Stegen. Für den Test gegen Chile sind Sie nicht nominiert worden.
Zieler: Das ist kein Problem. Der Bundestrainer hat für ein Spiel zwei Torhüter nominiert, nach Brasilien fliegen insgesamt drei. Insofern bleibe ich gelassen, bin aber hochmotiviert und sehr fokussiert auf mein Ziel.
SPIEGEL ONLINE: Erkennen Sie sofort, was ein Konkurrent drauf hat und was nicht?
Zieler: Natürlich beobachtet man sich im Training. Die Stärken und Schwächen des anderen erkennt man sofort. Aber beim DFB lässt keiner einfach mal so den Ball fallen. Da geht es um Nuancen.
SPIEGEL ONLINE: Was nervt Sie als Torwart im Spiel am meisten?
Zieler: (lacht) Gegentore! Und wenn wir Spiele aus der Hand geben, die wir kontrollieren. Das war zuletzt in Mainz und Augsburg so, wo wir nach jeweils guter erster Hälfte nach dem Wechsel nachgelassen haben. Letztlich muss man dann festhalten: In beiden Spielen war unter Umständen mehr drin.
SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie von dem Trend, Leistung von Fußballern zunehmend über statistische Werte zu definieren?
Zieler: Ich sehe diese Entwicklung eher kritisch. Zweikampfwerte, Laufleistung: All das wird meiner Meinung nach etwas überbewertet. Man sollte sich nicht ausschließlich auf Daten verlassen.
SPIEGEL ONLINE: Schauen Sie sich Ihre eigenen Statistiken an?
Zieler: Ja, kurz, aber das war's dann. Ich kann selbst einschätzen, wie meine Leistung war, wir analysieren ohnehin jedes Spiel. Statistiken darf man nicht zu ernst nehmen. Fußball darauf zu reduzieren, ist Quatsch.
SPIEGEL ONLINE: Woran liegt es, dass Hannover trotz des neuen Trainers Tayfun Korkut allenfalls Mittelmaß ist?
Zieler: Wir mussten erst als Mannschaft enger zusammenrücken, sowohl auf dem Feld als auch daneben. Den Zusammenhalt, den wir vor zwei, drei Jahren im Team hatten, haben wir ein Stück weit zurückbekommen. Daran haben wir bewusst gearbeitet.
SPIEGEL ONLINE: Was ist jetzt anders?
Zieler: Der Trainer legt sehr viel Wert auf Disziplin, wir müssen früher beim Training sein, verbringen dadurch mehr Zeit miteinander. In der Kabine kommunizieren wir mehr, auf dem Feld unterstützen wir uns besser. Aber wir haben in der Hinrunde zu viele Punkte liegengelassen. In dieser Saison müssen wir eher nach unten als noch oben schauen. Das ist nicht zufriedenstellend, aber realistisch. Das Mittelmaß, wie Sie es nennen, müssen wir uns hart erarbeiten.
SPIEGEL ONLINE: Das kann nicht Ihr Anspruch sein.
Zieler: Wir haben schon bewiesen, dass internationaler Fußball in Hannover möglich ist. Aber dafür muss jeder an die absolute Leistungsgrenze gehen. Das sollte langfristig wieder das Ziel für den Verein sein.
SPIEGEL ONLINE: Sind Sie im nächsten Jahr noch Spieler von Hannover 96?
Zieler: Davon gehe ich derzeit aus.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben eine Ausstiegsklausel in Ihrem Vertrag, die es Ihnen ermöglicht, im Sommer zu gehen.
Zieler: Das stimmt. Ich habe in Hannover aber einen Vertrag bis 2015 und gehe aktuell davon aus, auch in der kommenden Saison bei 96 zu spielen. Auch darüber hinaus ist noch keine Entscheidung gefallen.
