Bundesligaklubs kämpfen gegen Ticket-Weiterverkauf 300 Prozent über dem Originalpreis

Wer unbedingt ein Spiel seines Vereins sehen will, der zahlt unter Umständen auch einen hohen Preis
Foto:Matthias Koch/ imago images
Aus 16 können ganz schnell 450 Euro werden, wenn es um den Eintritt zum wichtigsten Spiel der Vereinsgeschichte geht.
Union Berlin spielt im Mai 2019 in der Relegation zur Bundesliga gegen den VfB Stuttgart. Union-Fan Simon* hat ein Ticket, seine Freunde aber nicht. Den Aufstieg will er mit seinen Kumpels vor dem Fernseher feiern. Also verkauft er die Karte. Er googelt kurz, wo man das schnell machen könnte, entdeckt die Ticketplattform Viagogo und bietet die Karte dort an. Angeblich auf der Basis von Vergleichsdaten teilt Viagogo ihm mit, er könne seine Karte aufgrund der hohen Nachfrage für 450 Euro weiterverkaufen.
Er dachte, das sei halt Kapitalismus, erzählt Simon dem SPIEGEL. Seinen echten Namen will er hier nicht lesen, weil er keinen weiteren Ärger mit Union will. Die Karte war schnell verkauft, den Gewinn ließ er sich überweisen. "Nach Abzug der Gebühren waren es noch etwa 300 Euro. Ein guter Teil geht an die Plattform. Das war alles kein Problem", sagt er.
Bis zum Sommer 2019. In der ersten Bundesligasaison Unions will Simon zu einem Heimspiel. Als er aber versucht, eine Karte bei Union zu bestellen, ist er für den Ticketkauf gesperrt. Er schreibt Union, will wissen, was da los ist. Die knappe Antwort: "Du stehst auf der Blacklist." Auf weitere Nachfragen reagiert Union eisern.
Die umstrittene Ticketbörse Viagogo steht schon seit Jahren in der Kritik, weil sie den überteuerten Weiterverkauf von Karten ermöglicht, antreibt und selbst kräftig daran mitverdient. Egal ob es um Sportveranstaltungen oder Konzerte geht. Anfang der 2010er Jahre schloss das Unternehmen noch Partnerschaften mit Bundesligavereinen, mittlerweile ist die Plattform für die meisten Klubs zum Problem geworden.

"Vianogo": Im Juli 2013 kündigte der FC Schalke 04 seinen Vertrag mit Viagogo - die Kritiker freute das
Foto: DPA"Bei Plattformen wie Viagogo werden Tickets teilweise für 200 bis 300 Prozent über dem Originalpreis verkauft. Das macht es für den Fan sehr teuer", sagt Tobias Fernau, Leiter Ticketing bei RB Leipzig und Sprecher des Arbeitskreises Ticketing der Bundesligavereine. Gerade wenn ein attraktives Spiel gegen Bayern München oder Borussia Dortmund ansteht. Die 450 Euro für ein 16-Euro-Ticket bei Union waren ein besonders extremer Fall.
Die Vereine befürchten, dass die Preisstruktur der Bundesliga durch den Weiterverkauf von Tickets beschädigt wird. Insbesondere wenn Händler viele Tickets beim Verein bestellen, um diese dann überteuert weiterzuverkaufen.
Auch deswegen verbieten viele Vereine den Weiterverkauf ihrer Karten über Viagogo und ähnliche Plattformen wie ebay Kleinanzeigen. Der FC Bayern München beispielsweise lässt Ticket-Gebote, die er dort entdeckt, direkt von eBay Kleinanzeigen löschen. Verkäufer erhalten dann die Nachricht, dass ein "Rechteinhaber" durch die Verkaufsanzeige seine Rechte verletzt sehe und dass wiederholte Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen eine Sperre des Kleinanzeigen-Nutzerkontos zur Folge haben könnten.
Verkäufer können sich kaum herausreden, denn sie gehen mit dem Ticketkauf beim Verein einen Vertrag ein, der in den Ticket-AGB, den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, festgeschrieben ist. Bei Union Berlin steht da beispielsweise:
Ticket-AGB von Union Berlin
Tatjana Halm von der Verbraucherzentrale Bayern sieht beim Ticketkauf über Plattformen wie Viagogo für die Fans vor allem ein Problem: die mangelnde Transparenz.
"Vielfach kriegen wir die Rückmeldung von den Verbrauchern, dass ihnen erst dann auffällt, dass die Karte zu teuer ist, wenn sie die Karten bekommen und dann sehen, dass auf dem Ticket ein anderer Preis steht", so Halm. Der Originalpreis der Karte wird auf Viagogo nämlich nicht angezeigt. Wer nur selten Karten kaufe, sei von den hohen Preisen vielleicht nicht überrascht.
Viagogo sieht in seiner Geschäftspraxis keine Probleme. "Angebot und Nachfrage folgend sind wir der Meinung, dass Sie, wenn Sie ein Ticket besitzen, dieses zu jedem Preis verkaufen dürfen, den ein Käufer zu akzeptieren bereit ist", heißt es auf SPIEGEL-Anfrage: "Es gibt eine hohe Nachfrage nach Fußball-Tickets und je nach Größe des Stadions nicht genug Angebote." Der Verkäufer setzt den Preis, der Käufer akzeptiert ihn.
Aber natürlich hat Viagogo ein Interesse daran, dass Tickets möglichst teuer verkauft werden, schließlich kassiert das Unternehmen etwa 25 Prozent des Verkaufspreises.
Klar ist: Tickets weiterzuverkaufen, ist kein Verbrechen. Für Ticketbesitzer, die beispielsweise erkranken oder aus anderen Gründen nicht zum Spiel gehen können, ist der Weiterverkauf wichtig, um nicht auf den Ausgaben sitzen zu bleiben. Deswegen ist es aus Sicht der Verbraucherzentrale ein Dilemma, wenn Vereine selbst den Weiterverkauf zum Originalpreis bei ebay-Kleinanzeigen verbieten.

Ist das Ticket gültig? Mit einem auf Viagogo gekauften Ticket könnte es eine böse Überraschung am Stadion-Eingang geben
Foto: Tobias Kleinschmidt/ picture alliance / dpaViagogos Geschäftspraxis lässt sich nicht einfach untersagen. Wohl aber gab es Klagen von Bundesligavereinen und der Verbraucherzentrale wegen mangelnder Transparenz. So erweckt die Plattform mit einer sogenannten Viagogo Garantie den Eindruck, Erstverkäufer der Tickets zu sein. Die Garantie soll angeblich sichern, dass jeder Ticketkäufer Eintritt zum Event bekommt. Dabei sperren die Bundesligavereine Fußball-Tickets, wenn sie feststellen, dass diese auf nicht autorisierten Plattformen verkauft wurden. Die Käufer erleben dann am Stadion eine böse Überraschung. So würde bei RB Leipzig pro Heimspiel eine dreistellige Zahl an Tickets gesperrt, die über nicht autorisierte Plattformen verkauft worden seien, sagt Leipzigs Ticketverantwortlicher Fernau. Bei anderen Bundesligavereinen seien die Zahlen ähnlich.
Einige Bundesligaklubs scannen die einschlägigen Verkaufsseiten mithilfe von Anwaltskanzleien. Wenn die Verkäufer identifiziert werden können, bekommen sie Post. Abmahnungen seien sehr wirksam, schreibt Anwalt Markus Reuter von der Kanzlei Schütz, die unter anderem mit dem VfB Stuttgart und dem FC St. Pauli zusammenarbeitet. "Ein großer Anteil von Fällen lässt sich auf diese Weise (und bei einer gewissen Einsicht aufseiten der Weiterverkäufer) erfahrungsgemäß außergerichtlich lösen." Die Ticket-AGB als Vertragsklauseln seien über die Jahre immer wieder weiterentwickelt worden und hätten sich "in zahllosen Fällen gerichtlich bewährt", schreibt der Anwalt.
Vereine bieten eigene Ticketzweitmärkte an
Die Verantwortlichen der Vereine sagen, dass es ihnen nicht um Einzelfälle geht, in denen eine Person ihr Ticket krankheitsbedingt weiterverkaufen musste. Sondern um Leute, die aus dem Ticketweiterverkauf ein Geschäft machen. Anwalt Reuter sagt, Umsätze "im sechs- bis siebenstelligen Bereich locken". Es habe auch schon den Verdacht gegeben, dass das Geschäft von "kriminellen Clan-Strukturen" entdeckt worden sei.
Die Bundesligavereine bieten für das Problem Ticketweiterverkauf eigene Lösungen an. So hat mittlerweile jeder Klub einen eigenen offiziellen Ticketzweitmarkt. Dort können bereits gekaufte Tickets ohne Probleme online weiterverkauft werden, der Preis darf dann etwa 15 Prozent höher sein als der Originalpreis, um Eigenkosten wie den Versand abzudecken. Um diese Ticketzweitmärkte bekannter zu machen, haben die Vereine in der Vergangenheit auch in Google-Werbung investiert, damit ihre Angebote über den Suchergebnissen von Viagogo erscheinen.
Die Vereine weisen zudem immer wieder über ihre Kanäle auf die Problematik der nicht autorisierten Ticketplattformen hin. Trotzdem würden Leute durchrutschen, die nichts von dem Problem mitbekommen würden, sagt Verbraucherschützerin Halm. Entweder als Käufer oder als Verkäufer - so wie Simon.
"Jetzt nach Reflexion muss ich sagen, das war den anderen Fans gegenüber nicht fair", meint der Union-Fan. Er hat sich bei dem Verein entschuldigt und seinen Gewinn aus dem Ticketverkauf an die Stiftung des Vereins gespendet. Mittlerweile darf er wieder Tickets kaufen.
*Name von der Redaktion geändert
Welche Erfahrungen haben Sie beim privaten Kauf oder Verkauf von Bundesliga-Tickets gemacht? Waren die Karten überteuert? Gab es Ärger mit einem Verein? Wurden Tickets gesperrt?
Wir würden uns freuen, wenn Sie an der folgenden Umfrage teilnehmen könnten. Sie unterstützen so unsere Recherche zum Thema privater Ticketverkauf.
Hat alles reibungslos geklappt? Waren die Karten überteuert? Ihre Angaben werden nur für die Auswertung der Umfrage benutzt, eine Eingabe persönlicher Daten ist nicht erforderlich.