
Burnout: Fußballprofis unter Druck
Burnout in der Bundesliga Magath, Miller, Mobbing
Aus Wolfsburg kam dieser Tage die Nachricht, Trainer Felix Magath habe in der Mannschaft ein neues Strafensystem eingeführt. Fehlpässe und Lauffaulheit im Spiel werden demnach mit teilweise hohen Geldbußen geahndet. Auch darf der Wolfsburger Stürmer Patrick Helmes - immerhin ein Nationalspieler mit der Erfahrung von 13 DFB-Einsätzen - derzeit einsam am Mittellandkanal vor sich hin joggen. Magath will bei ihm läuferische Defizite festgestellt haben. Man hat sich daran gewöhnt, dass der eigenwillige Coach die Profis gerne hart rannimmt.
Gleichzeitig meldet Hannover 96, der andere niedersächsische Bundesligist, dass Reservetorwart Markus Miller sich aufgrund psychischer Probleme in Behandlung begeben habe. Er leide unter einem beginnenden Burnout-Syndrom, sagte Miller am Montag und machte seine Krankheit so öffentlich. Die Verantwortlichen von 96 haben seine Entscheidung als "mutigen Schritt" gewürdigt und ihm jegliche Unterstützung zugesagt.
Vordergründig haben die beiden Meldungen nichts miteinander zu tun.
96-Keeper Miller genießt durch seinen Status als Bundesliga-Spieler eine gewisse Prominenz. Er ist aber kein Einzelfall im Fußball: Im Juli hat sich der Bielefelder Mittelfeldspieler Sevdail Selmani mit einem Burnout-Syndrom auf unbestimmte Zeit bei der Arminia, mittlerweile in der dritten Liga angekommen, abgemeldet. Der Zweitliga-Profi Mike Wunderlich vom FSV Frankfurt, auch er an Burnout erkrankt, wurde von seinem Verein für ein Jahr an Viktoria Köln in die fünfte Liga abgegeben. Wunderlich solle in Köln, woher er stammt und wo sein Vater Trainer ist, erst einmal wieder Boden unter die Füße bekommen. "Wir haben viele Leistungssportler in Behandlung", sagt Frank Schneider, Leiter der Psychiatrie am Aachener Universitätsklinikum.
In Hannover gibt es eine Sensibilität
Die Öffentlichkeit hat auf die Nachricht von Millers Burnout aufgeschreckt reagiert - zu deutlich scheinen die Parallelen zum Fall Robert Enke, der sich 2009 das Leben nahm. Auch er war Torwart bei 96, auch er litt psychisch. "Man soll das nicht miteinander vermischen", sagt Hannovers Sportdirektor Jörg Schmadtke. Aber es ist wohl unumstritten, dass Miller sich erheblich schwerer getan hätte, seine Krankheit publik zu machen, wenn es das Schicksal Enkes nicht gegeben hätte. In Hannover gibt es seitdem eine extrem hohe Sensibilität bei diesem Thema.
Sensibilität ist nicht die erste Eigenschaft, die man mit dem Wolfsburger Cheftrainer Felix Magath verbindet. Der Coach setzt Druck als systematisches Arbeitsmittel ein. Schon bei seinen vergangenen Trainerstationen hat er sich einzelne Spieler, die zuvor einen Status als Stammkraft im Team hatten, bewusst herausgegriffen und sie aus der Mannschaft verbannt. Beim FC Schalke war Führungsspieler Jermaine Jones betroffen, zuvor, in Magaths erster Zeit in Wolfsburg, Torwart Simon Jentzsch. Mit welcher Kälte Magath bei Schalke den zuvor schon umstrittenen Mittelfeldspieler Albert Streit abserviert hatte, hat selbst jene irritiert, die seine Leistungen als Trainer anerkennen. In allen Fällen handelt es sich um Spieler, die Magath nicht selbst geholt hat, sondern die er bei Amtsantritt bereits vorgefunden hatte.
Jetzt scheint sich Magath an Helmes abzuarbeiten, nachdem sein vorheriges "Opfer", Mittelfeldstar Diego, den Club verlassen hat. Dass Stürmer Helmes seine Stärken nicht unbedingt im läuferischen Bereich hat, weiß im Fußball jeder. Magath erweckt allerdings den Eindruck, als habe er dies erst jetzt festgestellt und als sei es mit einigen Straftrainingseinheiten am Kanal zu beheben. Helmes-Berater Gerd vom Bruch hat Anfang dieser Woche daraufhin offen von "Mobbing" gesprochen.
Jetzt ist das Wort in der Welt. Und es stellt sich die Frage: Produziert Magath mit seiner harten Gangart möglicherweise noch mehr Burnout-Kandidaten in der Bundesliga? Treibt seine Druckstrategie die Spieler in die Psycho-Falle?
Magaths Credo heißt Druck
In der Vergangenheit ist Magath wegen seiner Methoden mit dem fast folkloristischen Spitznamen "Quälix" belegt worden. Spitzensportler verdienen es seiner Ansicht nach nicht, zuallererst gestreichelt zu werden. Er lebt das Credo, dass Top-Leistung als Resultat von Druck entsteht; dass die Bundesliga-Profis heutzutage so viel Geld verdienen, dass sie sich als Ausgleich dafür auch allen Anforderungen eines rüden Leistungsprinzips zu unterwerfen haben.
Auch hat der 58-Jährige unter den Trainer-Ikonen Branko Zebec und Ernst Happel das Fußballspielen gelernt. Das waren zwei Übungsleiter, die mit ihren Spielern an guten Tagen drei Worte gesprochen haben. Magath ist fußballerisch in einer Zeit sozialisiert worden, in der die landläufige Ansicht existierte, Spieler bräuchten ab und an einen kräftigen Tritt in den Hintern, und Profis hätten Gras zu fressen. Unter all den Modernisierern der Szene, den Tuchels, Klopps und Favres, ist er der letzte verbliebene Bundesliga-Coach, der noch so denkt.
In Wolfsburg hat Magath zuletzt zwölf neue Leute verpflichtet, der Kader ist auf 34 Spieler aufgebläht, darunter zahlreiche Spieler, die keinerlei Chance haben werden, in die Stammelf zu rücken. Profis scheinen für den Trainer mehr und mehr Manövriermasse zu sein, Akteure, die man wie Schachfiguren hin- und herschieben kann. Gestern noch gebraucht wie Helmes, der im ersten Saisonspiel gegen seinen Ex-Club Köln zwei Treffer für den VfL erzielte, dann ausgeschlossen aus dem Mannschaftskreis und zum Straftraining verdonnert.
Stark wird ein Spieler auf diese Art nicht gemacht, er soll es auch gar nicht werden. Der Fall wäre für Magath schließlich erledigt, wenn der Spieler von selbst den Verein verlässt. Für das Selbstbewusstsein eines Torjägers wie Helmes kann so etwas allerdings nachhaltig verheerend sein.
Der Fall Miller und der Fall Helmes haben miteinander zu tun.