BVB vs. Bayern Dieser Weg wird kein gleicher sein

Im Duell der Titelfavoriten empfängt Dortmund am Abend die Bayern. Im Mai spielten die Clubs im Champions-League-Finale gegeneinander, entwickelt haben sie sich seither überraschend unterschiedlich.
Finaltorschütze Robben, BVB-Keeper Weidenfeller

Finaltorschütze Robben, BVB-Keeper Weidenfeller

Foto: Getty Images

Die Bilder sind heute noch präsent, obwohl die Geschichte dazu vor sechs Monaten spielt. Der eingefrorene Roman Weidenfeller, den Blick auf den Ball, daneben der leicht hochspringende Arjen Robben beim Torschuss. Die weit aufgerissenen Augen des Holländers Sekunden später beim Jubellauf. Dortmunder am Boden. Feiernde Bayern nach Schlusspfiff.

Im Champions-League-Finale am 25. Mai 2013 kulminierte die bestimmende Fußballrivalität dieser Zeit auf dramatische Weise - und nahm gleichzeitig einen neuen Anlauf. Denn nach dem Endspiel von Wembley wurde in München ein Wechsel vollzogen, der in der Geschichte des Fußballs seinesgleichen suchte: Der Trainer des Champions-League-Siegers ging im Moment des größten Erfolges, es kam Europas erfolgreichster Trainer der vergangenen Jahre. Eine Konstellation, die enorme Chance und enormes Risiko zugleich war und neuerliche Spannung versprach im Duell mit dem in London geschlagenen BVB.

Man muss ein halbes Jahr später fast drüber schmunzeln, aber zum Start der neuen Saison war ja durchaus auch ein Entwicklungsszenario denkbar, das krass abweicht von der Realität, wie wir sie jetzt erleben. Startschwierigkeiten unter Pep Guardiola, Probleme bei der Umstellung auf ein anderes System, teaminterne Reibereien, Zufriedenheit mit dem Erreichten. Alles möglich. Und auf der anderen Seite: Dortmund, eingespielt, gierig, motiviert - und mit einem Jürgen Klopp, der Druck und Erwartung schon immer kanalisieren konnte. In Leistung.

Doch es kam anders. Seit dem Champions-League-Finale hat sich ausgerechnet der Club, der sich in der Blütezeit selbst eine Revolution verordnete, erfolgreicher entwickelt als der Club, der sich der Konstanz verschrieb. Vor dem Bundesliga-Gipfel, dem ersten "echten" Aufeinandertreffen beider Teams, sind die Bayern in der Tabelle schon vier Punkte enteilt und in der Signal-Iduna-Arena leichter Favorit.

Trainer, Kader, Schlüsselspiele: Hier ist der große Vergleich.

Die Ausgangssituation

Jubelnder Robben, trauriger Blaszczykowski: Revolution vs. Konstanz

Jubelnder Robben, trauriger Blaszczykowski: Revolution vs. Konstanz

Foto: Getty Images

Wer sich vor dem Champions-League-Finale mit Philipp Lahm unterhielt, spürte keine Zweifel. Da war kein Platz für das Scheitern im Kopf des Bayern-Kapitäns, so gut fühlte sich die Gesamtsituation an. "Wir werden gewinnen", sagte Lahm ganz ruhig. Er behielt recht.

Lahm hat damals auch schon weitergedacht, über den einkalkulierten Sieg im Endspiel hinaus. Er sprach von einer Ära, die der Club prägen solle, und es wurde klar, dass der Champions-League-Titel nicht das Ziel aller Träume war, sondern nur der Anfang. Dieser dynastischen Logik allein folgten die Verpflichtung von Pep Guardiola und der Abschied von Jupp Heynckes, die ja schon Ende Dezember feststanden, ein halbes Jahr vor dem Triple. Der Sieg in Wembley änderte nicht viel, er ließ die Revolution im Nachhinein nur noch radikaler wirken.

Guardiolas Vorstellung in München war das größte Medienereignis, dem sich der Club jemals stellen musste. Und die Aussage, er wolle "nicht viel ändern", wirkt heute wie ein wirklich guter Gag. Der Trainer hat bei den Bayern seither nämlich alles verändert: den Kader, die Spielanlage, die Philosophie. Nur eins blieb gleich: der Erfolg.

Dortmund hat anders auf das Ereignis in England reagiert. Dortmund setzte auf Konstanz. Der Weg, der unter anderem in das Finale der Königsklasse geführt hat, soll fortgesetzt werden, auf allen Ebenen. Die im Trainingszentrum verewigten "Versprechen" gelten weiterhin: "Bedingungsloser Einsatz", "Leidenschaftliche Besessenheit", "Zielstrebigkeit unabhängig von jedem Spielverlauf", "Jeden zu unterstützen", "Jeder stellt seine Qualität zu 100 Prozent in den Dienst der Mannschaft", und "Jeder übernimmt Verantwortung".

Neu für den BVB aber sind die Folgen des Erfolgs: Die Schwierigkeit, Verstärkungen für eine sehr starke Mannschaft zu finden. Die Ablösesummen für Zugänge, die sofort weiterhelfen - und deren Gehälter. Die Vereinbarkeit von neuen Stars und der Förderung von jungen Spielern wie Jonas Hofmann oder Erik Durm. Der BVB hat seinen Status deutlich erhöht, besonders international. Die Erwartungen aber ebenfalls.

Trainer

Trainer Klopp, links, Guardiola: Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst

Trainer Klopp, links, Guardiola: Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst

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Klopp ist der Fixstern im BVB-Universum. Wenn nicht ein mittelschweres Wunder geschieht, ist er noch bis mindestens 2018 BVB-Coach. Bei seiner Vertragsverlängerung Ende Oktober überraschte nur der Zeitpunkt, der bisherige Kontrakt war noch bis 2016 gültig. Der 46-Jährige, in Dortmund Imageträger, Aushängeschild, Projektionsfläche und Menschenfänger in einer Person, prägt den Club. Er soll (junge) Spieler zum BVB losten, er soll die vorhandene Mannschaft zusammenhalten. Klopp zieht Sponsoren an und erzieht inzwischen auch englische Medien in Kloppscher Fußball-Rhetorik. In der Bundesliga ist seine Position einzigartig. Abnutzungserscheinungen sieht er nicht. Weich werden, nachlassen, sich zu sicher fühlen? "Das wird nicht passieren. Im Gegenteil."

Pep Guardiola wirkt gegen Klopp zurückhaltend, bescheiden, intellektuell. Die Kontrahenten eint jedoch die Rücksichtslosigkeit (auch sich selbst gegenüber), mit sie ihre Pläne umsetzen. Guardiola hat schon im Dezember, so beschrieb es der SPIEGEL , dem Präsidenten Uli Hoeneß bei dessen Besuch in New York seine Pläne mit der Bayern-Mannschaft am Laptop geschildert. Als er dann in München antrat, ging er sofort ans Werk. Mario Gomez? Passte nicht, durfte gehen. Luiz Gustavo? Fiel der Systemumstellung auf ein 4-1-4-1 zum Opfer. Die Forderung nach seinem Wunschspieler Thiago Alcántara äußerte Guardiola, der bei seiner Vorstellungspressekonferenz noch scheu-staunend wirkte, derart unverhohlen, dass auch dem Letzten klar wurde: Der Spanier ist sich entgegen anderslautenden Annahmen seiner starken Position bewusst und bereit, diese auch zu nutzen.

Team

Bayern-Profi Götze, BVB-Zugang Mchitaryan: Bestens aufgestellt

Bayern-Profi Götze, BVB-Zugang Mchitaryan: Bestens aufgestellt

Foto: Getty Images

Die Neuen kamen für Dortmunder Verhältnisse spät. Doch als Sportdirektor Michael Zorc im Juli die Offensiv-Kräfte Henrich Mchitarjan und Pierre-Emerick Aubameyang präsentierte, war der schmerzhafte Abgang von Mario Götze zum FC Bayern überraschend schnell vergessen. Mit dem insgesamt rund 40 Millionen teuren Duo sieht sich der BVB im offensiven Mittelfeld breiter aufgestellt, variabler. Am grundsätzlichen Ansatz von Jürgen Klopp hat sich nichts geändert. Noch immer heißen die Primärtugenden des Teams Leidenschaft und Laufbereitschaft. Eine Weiterentwicklung von der reinen "Pressing-Maschine" (Klopp) zu einer spielerisch dominierenden Mannschaft ist (noch) nicht erkennbar.

Vielleicht sieht Klopp seine Mannschaft deshalb "noch längst nicht am Ende ihrer Entwicklung". Dass sie nach Götze, Shinji Kagawa (2012) und Nuri Sahin (2011) auch weiterhin zentrale Spieler verlieren wird, ist schon jetzt gewiss. Top-Stürmer Robert Lewandowski verlässt den Club im Sommer, der Vertrag von Ilkay Gündogan (2015) ist noch nicht verlängert. Ausgang offen.

Das Bayern-Team sieht dem der vergangenen Saison zum Verwechseln ähnlich und ist doch nicht wiederzuerkennen. Die Mannschaft wurde nur durch zwei Spieler verstärkt, doch die Zugänge Götze und Thiago stehen beispielhaft für den Wandel in München. Unter Guardiola geht es nicht mehr um Positionen, es geht um Variabilität - und die bieten sowohl der Ex-Dortmunder in der Offensive als auch Thiago in der Zentrale.

Guardiolas unprätentiöser Umgang mit Funktionen auf dem Feld hat sich im Verlauf der Saison immer wieder ausgezahlt. Er probierte den Außen Müller erfolgreich als zentrale Spitze und machte sein Meisterstück mit der Wahl Philipp Lahms als Sechser. Der Ballbesitzanteil im Vergleich zur Heynckes-Ära ist um etwa 20 Prozentpunkte gestiegen.

Schlüsselspiele

Jubelnde Bayern (gegen Chelsea), fluchende BVB-Spieler (in Wolfsburg)

Jubelnde Bayern (gegen Chelsea), fluchende BVB-Spieler (in Wolfsburg)

Foto: DPA/ Getty Images

Dortmund hat in dieser Saison nur wenige Partien vorzuweisen, die als Gradmesser taugen. Auch der 4:2-Sieg im heimischen Supercup gegen die Bayern im Juli, die bisher einzige Niederlage der Münchner unter Guardiola, taugt dazu nicht. Zu früh, noch mitten in der Vorbereitung, trafen beide Teams aufeinander. Wie groß die Aussagekraft dieser Partie war, zeigt sich erst am Samstag.

International schwankten die Leistungen. Dem 1:2 zum Champions-League-Auftakt in Neapel folgten Siege gegen Marseille (3:0) und in London beim FC Arsenal (2:1). Das Rückspiel (0:1) warf jedoch Fragen auf. Dortmund wirkte gegen die defensiv hervorragend agierenden Engländer erstaunlich ratlos. Genau wie drei Tage später in der Bundesliga gegen den VfL Wolfsburg (1:2).

In München blieb man nach der herben Niederlage gegen Dortmund im Supercup ruhig, es war klar: Mehr (Aussage-)Wert würde der europäische Supercup gegen den FC Chelsea haben. Die Dramaturgie des Spiels (Ausgleich in der letzten Minute der Verlängerung, Sieg im Elfmeterschießen) ließ erahnen, dass der Erfolg eine befreiende Wirkung haben könnte. Auch und vor allem für Guardiola. Tatsächlich haben die Münchner seither kein einziges Spiel verloren.

Dass die Dominanz der Guardiola-Bayern auch in Europa nachhaltig sein könnte, bestätigte sich beim ersten Champions-League-Auswärtsspiel in Manchester. Die eingespielten Engländer blieben beim 1:3 ohne jede Chance, "das war ein großes Spiel", lobte der Münchner Trainer später.

Prognose

Es ist leicht, angesichts der Abwehr-Ausfälle eine Dortmunder Niederlage herbeizuschreiben. Für die Außenseiterrolle, in die der BVB vor Duellen mit den Bayern gerne schlüpft, ist die Personallage auf tragische Weise nützlich. Seit sechs Bundesliga-Spielen hat Dortmund nicht mehr gegen den Erzrivalen verloren. Ein Ende der Serie kann sich der Tabellenzweite nicht erlauben. In der Liga wäre die Meisterschaftsfrage in diesem Fall wohl geklärt. Ein überzeugendes Unentschieden, und das ist realistisch, könnte aber immerhin die Stimmung drehen.

Die Bayern hingegen stecken in einer Zwickmühle. Demonstrativ zur Schau getragenes Selbstvertrauen wurde gegen Borussia Dortmund zu oft bestraft, und es ist vier Jahre her, dass die Münchner beim BVB zuletzt gewannen. Nicht ohne Grund zeigt Trainer Guardiola großen Respekt vor dem dezimierten Gegner, "wir dürfen sie nicht laufen lassen, dann haben wir keine Chance", sagt der Spanier.

Sechs Monate nach dem Champions-League-Finale sieht es so aus, als könnte der Außenseiter am Abend den Favoriten ärgern. Die größte Überraschung ist aber wohl, dass das durchaus eine Überraschung wäre.

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