BVB im CL-Viertelfinale "Das Ziel ist Wembley"
Eltern berichten häufig von diesem einen Augenblick, in dem sie ihre Kinder zum ersten Mal mit völlig anderen Augen sehen: als Erwachsene. Dieser Moment kann bei jedem einzelnen anders ausfallen. Es kann die erste Freundin sein, das erste Auto oder das bestandene Abitur. Für Jürgen Klopp ist es möglicherweise ein Spielzug in der 38. Minute gewesen, durch den sich sein Blick auf seine Mannschaft verändert hat.
Lukasz Piszczek leitete diesen Moment ein, indem er einen Einwurf scharf auf Marco Reus warf. Dieser passte den Ball im Tempo einer Kanonenkugel per Kopf weiter auf Robert Lewandowski. Als der Pole die Kugel mit der Brust annahm, dabei sein Lauftempo aber nicht verringerte, ging ein Raunen durch das ehemalige Westfalenstadion. Die Zuschauer erhoben sich, blickten dem sprintenden Polen hinterher. Lewandowski servierte eine zentimetergenaue Flanke in den Fünfmeterraum von Schachtjor Donezk, Mario Götze schob zum 2:0 ein. Es war die Vorentscheidung, nachdem das Hinspiel in der Ukraine 2:2 ausging.
Dieser technisch und spielerisch perfekte Angriff könnte als die Mannwerdung einer Mannschaft angesehen werden, die noch in der vergangenen Saison sang- und klanglos als Tabellenletzter aus der Champions League ausgeschieden war. Zu verspielt, zu wenig abgezockt, zu kopflos - die Vorwürfe gegen das Team des BVB waren elementar. Doch Angriffe wie der aus der 38. Minute zeigen nun, dass die Mannschaft es aktuell viel besser versteht, im entscheidenden Moment zuzuschlagen.

BVB in der Einzelkritik: Von Staubsaugern und Abstaubern
Kurz nach dem Kopfballtreffer zum 1:0 durch Felipe Santana in der 32. Minute reagierte Donezk schockiert, völlig konfus. Borussia Dortmund wartete diese Situation nicht ab, wie es viele andere Teams getan hätten, stattdessen agierte der BVB. Er wollte den taumelnden Gegner zu Fall bringen. "Das ist eines unserer Geheimnisse in dieser Saison in Europa: Wir ziehen unser Spiel vom Anfang bis zum Ende durch. In der Bundesliga gelingt uns das nicht immer so konstant, weil wir dort auch viel häufiger selbst das Spiel gestalten müssen", sagte Abwehrspieler Neven Subotic. In acht Spielen in der diesjährigen Königsklasse verlor der BVB noch nicht einmal, holte stattdessen fünf Siege. "Wir haben viele Fehler des Vorjahres abgestellt und spielen jetzt sehr viel reifer. Insbesondere das Defensivpressing gelingt uns viel besser", sagte Kapitän Sebastian Kehl.
Zudem haben mit Reus, Götze, Piszczek, Lewandowski oder Jakub Blaszczykowski bereits mehrere Spieler die Erfahrungen von mindestens einem internationalen Länderturnier sammeln können, sie sind zudem im zweiten Jahr Stammspieler in der Champions League. "Wir haben gelernt, dass wir uns auch nicht mehr von kleineren Schwächephasen aus dem Tritt bringen lassen", sagte Subotic. Das Donezk-Spiel ist ein guter Beleg für seine These: Denn weder der Ausfall von Mats Hummels (Virusinfekt), noch die verletzungsbedingte Auswechslung (Knöchelverstauchung) des im ersten Durchgang gigantisch stark aufspielenden Sven Bender ließ das BVB-Spiel zusammenbrechen. Selbst als Donezk, das nur wenig Champions-League-Niveau zeigte, Anfang der zweiten Halbzeit den Druck leicht erhöhte, ließ sich der BVB nicht verunsichern. Stattdessen konterte die Borussia eiskalt und erzielte durch Blaszczykowski das 3:0.
Teamintern scheint der erste Viertelfinaleinzug des BVB seit 15 Jahren ein vollkommen neues Selbstbewusststein freizulegen. Santana, der zuletzt für seine vielen Unsicherheiten scharf kritisiert wurde, aber gegen Donezk einen starken Auftritt hinlegte, formulierte das neue Dortmunder Anspruchsdenken am forschesten: "Unser Ziel ist Wembley." Eben dort steigt am 25. Mai das Finale der Champions League, über das Lewandowski sagt: "Wenn wir es bis dahin schaffen sollten, wollen wir auch gewinnen. Wir können alles gewinnen."
Ob der BVB nun tatsächlich bereits jetzt erwachsen geworden ist oder aktuell lediglich eine Phase des Halbstarkendaseins durchläuft, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen. Es wird spannend sein zu beobachten, ob weitere Ergänzungsspieler wie Julian Schieber, Nuri Sahin oder Moritz Leitner einen ähnlichen Weg wie Santana gehen und der Mannschaft in den Momenten, in denen sie gebraucht werden, adäquat helfen können. Denn auch dies ist eine Erfahrung der BVB-Verantwortlichen aus dieser Saison: Der Kader ist noch nicht breit genug aufgestellt, um drei Wettbewerbe ohne Kraftverlust spielen zu können. Doch ein Großteil der aktuellen BVB-Mannschaft hat noch laufende Verträge bis ins Jahr 2016, lediglich Lewandowski wird den aktuellen Deutschen Meister Richtung Bayern München verlassen.
Im Zweifel hat der BVB also noch viel Zeit, um weiter zu reifen.
Borussia Dortmund - Schachtar Donezk 3:0 (2:0)
1:0 Santana (31.)
2:0 Götze (37.)
3:0 Blaszczykowski (59.)
Dortmund: Weidenfeller - Piszczek, Subotic, Santana, Schmelzer - Bender (46. Kehl), Gündogan (82. Sahin) - Blaszczykowski (70. Großkreutz), Götze, Reus - Lewandowski
Donezk: Pjatow - Srna, Rakizki, Kutscher, Rat - Fernandinho, Hübschman - Teixeira, Mkhitaryan, Taison (46. Costa) - Adriano
Schiedsrichter: Skomina (Slowenien)
Zuschauer: 65.829 (ausverkauft)
Gelbe Karten: - / Kucher (4)