Münchens 3:3 bei Ajax Werbung für den Fußball, aber nicht für die Bayern

Gruppensieger! Aber: Bayern Münchens mitreißendes Spektakel in Amsterdam offenbarte schonungslos die Defizite im Spiel des Rekordmeisters. Für Europas Spitze reicht es so nicht.
Bayern-Profis Ribéry, Rafinha, Gnabry (v.l.), Ajax-Star Neres (Mitte)

Bayern-Profis Ribéry, Rafinha, Gnabry (v.l.), Ajax-Star Neres (Mitte)

Foto: Sven Hoppe/ dpa

Der Sportdirektor sah blass und ziemlich mitgenommen aus. Mit der Hand strich Hasan Salihamidzic über sein weißes Hemd, Höhe linker Brustkorb, er sprach scherzend von Herz-Rhythmusstörungen, die ihn während des Spiels geplagt haben sollen. Und Salihamidzic sagte, um all der Dramatik dieses Abends die richtigen Worte zu verleihen: "Auf der Bank war das: puh. Da braucht man Nerven."

Puh, das werden auch viele Fans auf der Tribüne oder daheim vor dem Bildschirm gedacht haben, über dieses aufregende und zugleich aberwitzige Spiel.

Sechs Tore, zwei Elfmeter, zwei Platzverweise, dazu ein Duell mit diesen klangvollen Klubnamen, hier Ajax, dort Bayern München - das 3:3 in Amsterdam lieferte in all seinen Wendungen eine dieser magischen und viel zu seltenen Europapokal-Nächte. Ein grandioser Abend für den Fußball, wie ihn die findigsten Marketing-Strategen der Uefa nicht besser hätten erfinden können. "Das war Werbung pur", sagte auch Bayern-Coach Niko Kovac, "es war ein fantastisches Spiel."

Ein Spiel, das aber auch die derzeit noch großen Defizite beim FC Bayern offenbarte und das nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass dem Deutschen Meister noch einiges fehlt, um in Europa wirklich ganz nach vorne zu kommen, geschweige denn auf den Champions-League-Titel zu hoffen. Denn so reicht es noch lange nicht.

Gegentor und Gnabrys Auswechslung verunsicherten die Bayern

Dabei hatten die Münchner die Partie mindestens in der ersten Hälfte im Griff. Sie führten früh durch Lewandowski (13. Minute), waren bissig und kompromisslos. Lange zeigten die Bayern eine ihrer besten Saisonleistungen, mit Kampfgeist und Körpersprache.

Aber dann brach die Mannschaft ein. Dabei brachte sie nicht nur der Ausgleich zum 1:1 durch Tadic (61.) aus dem Konzept, sondern unmittelbar danach auch der erste Wechsel des Spiels. Kovac, der zum dritten Mal nacheinander die gleiche Startelf aufs Feld geschickt hatte, brachte Thiago für Serge Gnabry, bis dahin einen der besten Münchner. Die Idee: mehr Stabilität. Und, auch wenn Thiago ordentlich auftrat: Das System geriet so ins Wanken, dahin war es mit dem lange überzeugenden Kombinationsfluss einer spürbar eingespielten Mannschaft.

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Plötzlich wurde der Auftritt der Bayern wirr und wild, an der Grenze zur Anarchie. Auch das kurzzeitige Überzahlspiel brachte keine Sicherheit, mit einem Mann mehr spielten sie nach dem Platzverweis gegen Amsterdams Wöber (67.) ohnehin nur acht Minuten, bevor Thomas Müller mit seinem üblen Eric-Cantona-Gedächtnistritt gegen den Kopf von Nicolás Tagliafico ebenfalls Rot sah. "War keine Absicht", sagte Müller auf dem Weg zum Mannschaftsbus lapidar, deutlicher waren die Worte von Teamkollege Leon Goretzka: "Man muss sich nur angucken, wie der Junge auf dem Platz genäht wurde. Das war eine klare Rote Karte."

Deutlich fiel auch das Fazit zum eigenen Spiel aus. Der lange Zeit in der Innenverteidigung überragende Niklas Süle etwa freute sich zwar über "eines der interessantesten Spiele meiner Karriere". Erkannte aber, dass auch er im letzten Drittel der Partie ziemlich eingebrochen war. "Das waren dumme Gegentore, die wir hätten vermeiden müssen."

Es drohen Liverpool, Atlético oder Tottenham

Auch Sportdirektor Salihamidzic, der auf Bitten der Klubführung sein Profil in der Außenwahrnehmung schärfen soll, sagte: "Wir müssen das cleverer machen. Das Wichtigste aber ist heute, dass wir Gruppensieger sind." Das sind sie. Damit geht der FC Bayern im Achtelfinale den drei derzeit wohl besten Topteams Europas aus dem Weg: FC Barcelona. Paris St. Germain. Und Manchester City.

Doch selbst in den Loskugeln der Gruppenzweiten lauern bei der Ziehung am Montag (12 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) gefährliche Gegner, die mindestens so stark wie Ajax sind. Der FC Liverpool selbstverständlich, oder Atlético Madrid, die Spurs aus Tottenham. Gegen diese Gegner darf es sich der FC Bayern nicht erlauben, in der letzten halben Stunde der zweiten Hälfte drei Gegentore zu kassieren. Bis Februar müssen die Bayern stabiler und in der Lage sein, ein Spiel über 90 Minuten zu dominieren - genau das hat sie immer ausgemacht.

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"Das war ein sehr gutes Spiel, um es später zu analysieren", sagte Doppeltorschütze Lewandowski. "Da werden wir sehen, was wir besser machen können." Was sie vor allem besser machen müssen, um nicht wieder unfreiwillig für Aufregung zu sorgen.

Man denke nur ans Herz des Sportdirektors.

Ajax Amsterdam - Bayern München 3:3 (0:1)
0:1 Lewandowski (13.)
1:1 Tadic (61.)
2:1 Tadic (83. Foulelfmeter)
2:2 Lewandowski (86. Foulelfmeter)
2:3 Coman (88.)
3:3 Tagliafico (90+5.)
Amsterdam: Onana - Mazraoui, de Ligt, Wöber, Tagliafico - Blind - de Jong, van de Beek (78. Dolberg) - Ziyech, Tadic, Neres (87. Huntelaar).
München: Neuer - Rafinha, Boateng, Süle, Alaba - Kimmich, Goretzka (88. Renato Sanches) - Gnabry (61. Thiago), Müller, Ribéry (71. Coman) - Lewandowski.
Schiedsrichter:
Turpin (Frankreich)
Zuschauer: 45.000
Gelbe Karten: De Ligt, Blind, Tagliafico / Kimmich, Rafinha
Rote Karten: Wöber (67.) / Müller (75.)

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