Dortmunder 0:4-Niederlage bei Ajax Vorführung total

Es sollte die erste große Bewährungsprobe des BVB unter Marco Rose werden, es endete als Debakel. Seine Gemütslage beschrieb der Trainer nach der Pleite mit nur einem einzigen Wort.
Aus Amsterdam berichtet Marco Fuchs
Jubelnde Ajax-Spieler, ein enttäuschter Erling Haaland (r.)

Jubelnde Ajax-Spieler, ein enttäuschter Erling Haaland (r.)

Foto: Ulrich Hufnagel / imago images/Ulrich Hufnagel

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In der 38. Minute hatte Mats Hummels erst einmal genug gesehen. Gerade hatte Ryan Gravenberch die x-te Chance der Gastgeber vergeben. BVB-Torhüter Gregor Kobel wollte den Ball schnell ins Spiel zurückbringen, schließlich lag man 0:2 hinten, doch Hummels gestikulierte deutlich: langsam machen. In knapp 150 Länder- und Champions-League-Spielen hat der Routinier ein Frühwarnsystem für sich anbahnende Katastrophen entwickelt – in Amsterdam hatte es zeitig angeschlagen.

Ungläubig verfolgte Dortmunds Trainer Marco Rose das Geschehen durchgängig vom Rand seiner Coaching Zone aus. Fehler auf Fehler im Spielaufbau seiner Mannschaft gab es zu bestaunen, dazu »zu wenig Bewegung im vorderen Drittel und ein paar verlorene Zweikämpfe zu viel«, wie er nach der Partie monierte. Für eine tiefergehende Analyse könne man »dieses Spiel gut nutzen« ergänzte Rose nach dem 0:4 bei Ajax Amsterdam, der höchsten Niederlage des BVB in der Königsklasse überhaupt.

Und Beispiele fürs Videostudium gab es genügend: Jude Bellinghams Abwinken kurz vor Hummels' Beruhigungsanleitung, die Überforderung seiner beiden Außenverteidiger Nico Schulz und Thomas Meunier oder der nicht existente Zugriff der Offensivreihe aufs Spiel. Auch 30-Millionen-Euro-Zugang Donyell Malen wirkte völlig verloren in einem Team, das selbst Erling Haaland bei seinen beiden Chancen nicht retten konnte.

»Wir wollen Ajax richtig fordern«, hatte Julian Brandt vor der Partie erklärt. Von dieser Kampfeslust war auf dem Platz nichts zu sehen. Gleich mehrfach sprach Rose in der Pressekonferenz die Tabuwörter »Ausstrahlung« und »Körpersprache« an.

Problemzonen, über die sich Ajax-Trainer Erik ten Hag keine Gedanken machen musste. Sein Team erwies sich als die von Rose befürchtete »gut geölte Maschine«, die in fast blindem Verständnis Angriff auf Angriff Richtung BVB-Tor rollen ließ. Angeführt von einem, der aktuell die Rolle des treffsichersten Champions-League-Schützen von Haaland übernommen hat: Sébastien Haller. Sechsmal traf der Franzose bislang, wohlgemerkt in seinen ersten drei Partien in der Königsklasse.

Zielspieler Haller trifft zum sechsten Mal

Er erzielte das 4:0, aber noch wichtiger waren seine Ablagen, seine Präsenz bis zu diesem Zeitpunkt. Gemeinsam mit dem überragenden Antony, Steven Berghuis und Dušan Tadić veredelte er die zielgerichteten Passfolgen, dieses permanente Lückenreißen, prallen lassen, für einen Doppelpass zur Verfügung stehen.

Zehn Mann verteidigen, zehn Mann greifen an, der berühmte »Voetbal total« aus Amsterdam, von Jack Reynolds angestoßen, von Rinus Michels perfektioniert, von Johan Cruyff in die Welt getragen.

Ajax 2021 spielt im Stadion, das den Namen Cruyffs trägt. Vor der Partie gedachten die Fans in einer großen Choreo Trainerlegende Michels und dessen Ausspruch »Voetbal is oorlog«, »Fußball ist Krieg«. Das ist er auch bei deutsch-niederländischen Spielen zum Glück nicht mehr, aber gewonnen, das haben seine Ajax-Nachfahren dennoch. Es passte einfach alles zueinander an diesem Abend.

Foto: Dean Mouhtaropoulos / Getty Images

»Unser Hauptziel in unserem Plan war es, Ballbesitz zu haben und den Ball laufen zu lassen. Das haben die Jungs hervorragend gemacht«, lobte ten Hag. Er ist Profi genug, um an Siegen Gefallen zu finden, aber auch Niederländer genug, um sich an schönem Fußball zu berauschen. Nirgendwo sonst im europäischen Fußball ist die Art des Auftretens so wichtig gegenüber dem, was auf der Anzeigetafel steht.

2019, im Jahr nach seinem Amtsantritt, hatte er schon einmal eine begeisternde Elf zusammen. Da schaltete Ajax in der Champions League nacheinander Real Madrid und Juventus aus, nur um in der letzten Minute des Halbfinal-Rückspiels gegen Tottenham Hotspur auszuscheiden. Dem Drama folgte der Ausverkauf, Frenkie de Jong ging nach Barcelona, Matthijs de Ligt unterschrieb bei Juventus.

Anschauungsmaterial für den BVB

Nicht einmal eine Handvoll Profis des damaligen Kaders sind ihm geblieben, doch der 51-Jährige hat etwas realisiert, was sie auch in Dortmund anpeilen: eine Trainer-Mannschaft erschaffen. Über allem stehen er und sein System, und dann erst besorgt Sportdirektor Marc Overmars jene Spieler, die dieses füllen. Oder zieht die nächsten Supertalente aus »De Toekomst« hoch, dem direkt neben der Arena angesiedelten Nachwuchszentrum, das übersetzt »Die Zukunft« heißt.

Die Atmosphäre in Amsterdam war eines K.-o.-Spiels würdig

Die Atmosphäre in Amsterdam war eines K.-o.-Spiels würdig

Foto: via www.imago-images.de / imago images/MIS

Für die Zukunft des Dortmunder Spiels haben sie an diesem denkwürdigen Abend in Amsterdam vor 54.000 begeisterten Zuschauern reichlich Anschauungsmaterial erhalten: Von »der Aktivität und Flexibilität im Positionsspiel«, schwärmte Rose, der seine Mannschaft pflichtschuldig in Schutz nahm, von der »harten Arbeit« sprach, die vor ihnen »als Team, gemeinsam« liege und sich ungefragt vor seine Führungsspieler stellte.

Aspekte, die man als Trainer in einer Pressekonferenz anbringt, wenn man mit seinen Spielern noch länger zusammenarbeiten möchte. Was sich jenseits davon in ihm abspielte, entlarvte die Frage eines niederländischen Journalisten. Wie es dem Dortmunder Trainer denn nach so einem Abend ginge, wollte dieser wissen. »Scheiße«, lautete die knappe Antwort.

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