Real Madrids Benzema triumphiert gegen FC Chelsea Der »große Karim« und das Nervenflattern der Weltklassetorhüter

Für Thomas Tuchel hat sich das Champions-League-Viertelfinale eigentlich schon erledigt. Das liegt an drei Toren von Karim Benzema, der wie schon in Paris einen Torwartfehler provozierte.
Aus London berichtet Henrik Bahlmann
Karim Benzema im Londoner Regen

Karim Benzema im Londoner Regen

Foto: ADRIAN DENNIS / AFP

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Die 46. Minute am Mittwochabend an der Londoner Stamford Bridge könnte das Champions-League-Viertelfinale zwischen dem FC Chelsea und Real Madrid bereits entschieden haben. Zumindest, wenn es nach Chelsea-Trainer Thomas Tuchel geht, der nach der 1:3 (1:2)-Niederlage fast lieber über die Ligapartie in Southampton am Samstag sprechen wollte, weil das Aufholen von zwei Toren eher unrealistisch sei.

Um Southampton mache er sich gerade mehr Sorgen als um das Rückspiel im Bernabéu am kommenden Dienstag, sagte Tuchel. Das liege am derzeitigen Auftreten seiner Mannschaft. Und das liegt an eben jener 46. Minute.

Da sprintete Karim Benzema einem Befreiungsschlag in die gegnerische Hälfte hinterher, auf Torhüter Édouard Mendy zu, der nicht nur aufgrund seiner Trikotfarbe Orange kaum darauf vorbereitet schien, dass ihm der 34 Jahre alte Stürmer wie ein Stier entgegenstürmte. Fast schon ängstlich traf Mendy den Ball rund 35 Meter vor seinem Tor beim Passversuch auf den wenige Meter entfernt stehenden Antonio Rüdiger nicht richtig, Benzema schnappte sich den Ball und schob ein.

Die Entscheidung in London

Die Entscheidung in London

Foto: IMAGO/David Klein / IMAGO/Sportimage

Es war wieder einmal der Abend des Karim Benzema; drei Toren im entscheidenden Spiel gegen Paris Saint-Germain ließ er drei Tore gegen den Titelverteidiger folgen. Nach acht Saisonspielen in der Königsklasse steht er bei nun elf Toren. Nicht nur Ancelotti suchte nach Superlativen; noch am Vortag, vor den drei Toren, hatte das bereits Tuchel getan. Bei der obligatorischen Pressekonferenz hatte Tuchel noch davon gesprochen, dass Benzema bis vor wenigen Jahren einer der unterschätztesten Spieler gewesen sei.

Nachdem Tuchel einen Tag später erklärt hatte, warum das Ding für ihn eigentlich schon durch sei, suchte Carlo Ancelotti nach den richtigen Worten, um Benzema zu beschreiben. Das war ihm, dem nach einem positiven Coronatest erst am Mittwoch nachgereisten Real-Coach, anzumerken. Für ihn sei Benzema der »große Karim«, sagte Ancelotti. Wie ein Wein, denn der werde ja auch immer besser. Ein kompletter – und da machte Ancelotti eine kleine Pause – Spieler nämlich, nicht nur ein Stürmer.

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Und obwohl Benzema am Mittwochabend gewiss nicht mehr unterschätzt wurde, brachte er die Stamford Bridge und mit ihr Tuchel zum Schweigen.

Es gab eine Phase im ersten Durchgang, in der Tuchel schier regungslos im Dauerregen an der Seitenlinie stand. Oft tigert er sonst gestikulierend durch seine Coachingzone, um Spielern mit einem durch seine Unterarme in die Luft gezeichneten X die richtigen Laufwege ans Herz zu legen. Etwas mehr als eine Viertelstunde war da aber fast nichts beim deutschen Trainer, über den Chelsea-Fans nur so schwärmen. Ein leichtes Schulterzucken, ein sich den Schal ins Gesicht ziehen und ein Abwinken. Sonst nichts.

Thomas Tuchel

Thomas Tuchel

Foto: TONY OBRIEN / REUTERS

Zweimal hatte der Titelverteidiger die Madrilenen flanken lassen. Einmal durch eine Spielverlagerung über Toni Kroos, nachdem im Dreiecksspiel mit Benzema der so schnelle Vinícius auf die Reise geschickt wurde (20.). Das andere Mal durch einen Geistesblitz des zweiten Altmeisters im noch immer sensationellen Real-Mittelfeld, Luka Modrić (24.). Beide Male stieg Karim Benzema im Strafraum in die Luft und drückte den Ball gegen die Laufrichtung von Mendy ins Tor.

Chelsea hingegen hatte phasenweise Ballbesitz im Überfluss, spielte fleißig um den Strafraum herum, kam aber nicht hinein. Bis auf ein einziges Mal, als Jorginho aus dem Halbfeld scharf vor das Tor flankte und Kai Havertz einköpfte (40.). Beim Jubel der anderen blieb Tuchel noch wie angewurzelt stehen, ehe die Anweisungen nur so aus ihm herausbrachen. Der offensichtliche Empfänger, Christian Pulisic auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes, war der Einzige, der in die Richtung des Trainers blickte.

Tuchel hatte vor der Partie die Fans in die Pflicht genommen, die nach Sanktionen gegen den scheidenden russischen Eigentümer Roman Abramowitsch und einer Ticketsperre am vergangenen Wochenende ihr Comeback feierten und die 1:4-Heimpleite gegen Aufsteiger Brentford standesgemäß mit Pfiffen begleiteten. Nun schien er seine Spieler in die Pflicht nehmen zu wollen. Tuchel stellte zur Pause auf eine Viererkette um, um Vinícius in den Griff zu bekommen. Und dann sprintete Benzema auf Mendy zu.

Karius, Donnarumma, Mendy

Schon wieder profitierte Real von einem Torwartfehler. Nach dem denkwürdigen Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain, als Benzema Gianluigi Donnarumma zum Fehlpass zwang. Nach dem noch denkwürdigeren Fehler von Liverpools Loris Karius im Champions-League-Finale des Jahres 2018, wenn man noch etwas weiter zurückgeht. Benzema hatte damals den Fuß in einen Abwurfversuch des Torhüters gestellt und eingeschoben.

Immer wieder Benzema.

Die Fehler der Torhüter zeigen Benzemas Antizipationsfähigkeit, die sonst bei kaum einem Stürmer zu sehen sind. Und die ihn vielleicht zum derzeit Besten machen. Wenn andere Stürmer das Anlaufen stoppen, weil sie den Pass bereits gespielt sehen, zieht Benzema durch, erkennt die Millisekunde der Unachtsamkeit – und nutzt sie aus. Wie bei Mendy, der vor fast 40.000 Fans in der ausverkauften Stamford Bridge wie der einsamste Mensch in ganz London wirkte.

Vielleicht galt Benzema auch deswegen lange als einer der unterschätztesten Spieler, weil solche Momente so unscheinbar wie unwahrscheinlich wirken. Zumindest unscheinbarer und unwahrscheinlicher als Flanken in den Strafraum des Gegners, die Benzema wie selbstverständlich verwertet. Oder als seine Qualitäten als verkappter Spielmacher, wenn er sich ins Mittelfeld fallen lässt, um Angriffe kurzerhand selbst einzuleiten.

Nach dem Spiel, die Stamford Bridge war fast leer, hallte es »Karim! Karim! Karim Benzema« aus einer Ecke des Stadions. Da waren noch Hunderte Real-Fans, die ihren Kapitän und Dreifachtorschützen feierten. Und da war noch Benzema, der nicht wie die anderen Spieler bereits in den Katakomben oder zum Interview entschwunden war, sondern die Mitgereisten mit geballten Fäusten orchestrierte. So, wie er zuvor sein Team angeführt hatte.

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