BVB-Mittelfeldspieler Dahoud Exzellenter Erstkontakt

Mahmoud Dahoud (r.) im Hinspiel gegen City und İlkay Gündoğan: Raumgewinn durch Technik und Weitsicht
Foto:Clive Brunskill / Getty Images
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Es ist diese eine Szene, an der man deutlich erkennen kann, warum Mahmoud Dahoud auch nach fast vier Jahren bei Borussia Dortmund noch kein unumstrittener Stammspieler ist, im Moment aber trotzdem seine vermutlich beste Phase beim BVB hat.
Champions-League-Viertelfinalhinspiel vor einer Woche zwischen Dortmund und Manchester City. Es lief die 48. Minute, da hätte Dahoud seine Abwehrspieler mit einer unkonzentrierten Ballannahme beinahe in große Bedrängnis gebracht. Manuel Akanji stoppte jedoch Citys Angriff und grätschte den Ball erneut zu Dahoud. Es folgte eine fließende Bewegung des 25-Jährigen, die dem BVB innerhalb weniger Sekunden aus der Bedrängnis zu einer Großchance verhalf: Ballannahme, Drehung um Kevin De Bruyne herum, Antritt, 20 Meter enge Ballführung, und dann ein Steilpass über 60 Meter auf Erling Haaland, den nur wenige so präzise spielen können. Haaland scheiterte dann zwar an Torwart Ederson. Aber es war ein Moment der fußballerischen Extraklasse, den es braucht, um ein Team wie City in Bedrängnis zu bringen.
Weil Dahoud diese Momente kreieren kann, wird ihm am Abend, wenn der BVB nach dem 1:2 in Manchester das Rückspiel gegen City bestreitet, eine Schlüsselrolle zufallen. Es ist das erste Mal, dass er in Dortmund in dieser Rolle ist.
»Er zeigt Sachen, oh, là là«
Seit Mahmoud Dahoud 2013, damals noch im Trikot von Borussia Mönchengladbach, bei einem Bundesliga-Vorbereitungsturnier erstmals in Erscheinung trat, herrscht Einigkeit über Dahouds herausragende Fähigkeiten. Von Lucien Favre, der von öffentlichem Lob für einzelne Spieler wenig hält, ist folgender Satz über Dahoud überliefert: »Er zeigt Sachen, oh, là là.« Favre ließ den Sohn syrischer Eltern in Gladbach debütieren, in Dortmund trafen die beiden wieder aufeinander. Favre gilt als Dahouds großer Förderer. Andererseits ist er aber auch nicht unschuldig an Dahouds schleppender Karriereentwicklung.
Dahoud hat einen der besten ersten Ballkontakte in der Bundesliga. Wer den Ball trotz unmittelbarem Gegnerdruck nicht nur annimmt, sondern dank des Rundumblicks (Fachausdruck: Vororientierung) und der technischen Fähigkeiten einen Raumgewinn erzielt, verschafft sich im modernen Fußball einen großen Vorteil. Dahoud gelingt das mit seinen schnellen Drehungen regelmäßig, er ist geschaffen für Umschaltsituationen, die er mit seiner Schnelligkeit und seiner Passschärfe in die Tiefe einleiten kann.
Zu Dahouds Stärken gehört überdies sein läuferisches Vermögen, er gehört oft zu den Dortmunder Spielern mit den meisten Kilometern pro Partie. Dahoud hat einen guten Distanzschuss, er kann das Spiel von hinten heraus mit langen Diagonalpässen öffnen.
Aber warum kommt dieses hoch veranlagte Talent in fast vier Jahren beim BVB dann nur auf 93 Pflichtspieleinsätze?
Die Gründe sind vielschichtig. An erster Stelle steht sich Dahoud bisweilen selbst im Weg. So gut sein erster Kontakt auch ist, im weiteren Verlauf stimmte in der Vergangenheit zu häufig seine Risikoabwägung nicht. Riskante Pässe sind wichtig, sie können Defensivformationen auseinanderreißen und Spiele entscheiden. Wer aber, wie Dahoud, durch Unkonzentriertheiten oder zu spät gefällte Entscheidungen seinen eigenen Vorteil wieder aus der Hand gibt, ist eine Gefahr für die Balance einer oft so hoch verteidigenden Mannschaft wie Borussia Dortmund.
Große Konkurrenz, viele kleine Ausfälle
Beim BVB spielt die große Konkurrenz im Mittelfeld eine Rolle. In dieser Saison gibt es mit Thomas Delaney, Jude Bellingham, dem derzeit verletzt fehlenden Axel Witsel, Emre Can, Julian Brandt und eben Dahoud sechs Spieler für – je nach System – zwei oder drei Positionen im zentralen Mittelfeld. Das war in den Vorjahren nicht anders. Dahoud wurde zudem von diversen kleinen Verletzungen oder Krankheiten gestoppt. Er verpasste so 17 Pflichtspiele in seiner BVB-Zeit. Das klingt nach nicht viel, für einen nicht gesetzten Profi hat das jedoch größere Auswirkungen. Neuer Anlauf, wieder herankämpfen, tatenlos zuschauen, wie Konkurrenten überzeugen.

Mahmoud Dahoud: Den Status des Talents noch nicht verlassen
Foto: Tom Weller / dpaBei Dahoud kommt ein weiterer Faktor hinzu: Er gehört zu den leisen Profis. Er drängt nicht in die Öffentlichkeit. In den sozialen Medien gibt es überwiegend Bilder im BVB-Trikot von ihm. Er beschwert sich nicht über Bankplätze und ist auch intern kein Lautsprecher. Das ist nicht zwingend ein Argument für einen Stammplatz, bei Dahoud spielte es trotzdem eine Rolle. Er kam als Talent, das passt grundsätzlich zur Ausrichtung des BVB. Er hat diesen Status – anders als beispielsweise Jadon Sancho oder vor Jahren Ousmane Dembélé – jedoch nicht verlassen.
Dahoud fehlte über Jahre die Lobby bei den Dortmundern.
Kein Lobbyist in eigener Sache
Das wird besonders im Verhältnis zu Ex-Trainer Favre deutlich. Dahoud beschreibt exemplarisch in einer Dazn-Dokumentation, wie er das Auf und Ab beim BVB wahrnimmt. Am ersten Spieltag der Saison 2018/2019 stand er gegen Leipzig in der Startelf und erzielte beim 4:1-Sieg ein Tor. »Ich fand das Spiel von mir sehr gut. Ich war aggressiv, ich habe die Bälle super gespielt. Und nach drei Spielen fand ich mich wieder auf der Bank. Das war eine schwierige Phase.« Solche Phasen gab es unter Favre immer wieder, obwohl er von Dahouds Fähigkeiten überzeugt war. Acht Spiele am Stück in der Startelf, eine Art Vertrauensbeweis, das hatte es für Anti-Lobbyist Dahoud beim BVB vor dieser Saison noch nicht gegeben.
Dabei wurde es auch unter Favres Nachfolger Edin Terzić zunächst nicht besser. Nach einer verbalen Auseinandersetzung im Training war Dahoud Anfang des Jahres sogar für zwei Spiele suspendiert worden. Doch mit dem Hinspiel gegen den FC Sevilla im Achtelfinalhinspiel der Champions League änderte sich Dahouds Situation. Im Verbund mit Bellingham prägt er nun auf der Acht das BVB-Spiel, er minimiert sein Risiko – und Terzić vertraut ihm.
Lange galt Dahoud als Verkaufskandidat für den kommenden Sommer – sein Vertrag läuft noch bis 2022. Das könnte sich nun geändert haben. Zumal: Er passt gut zur Spielidee des neuen Trainers Marco Rose.